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Kategorie: G Reportagen (Seite 2 von 5)

Saisonstart 2019

Der Lenz als Solches. Überall grünt und blüht es, die blauen Bänder flattern wieder, die Pappnasen machen sich zum Narren, es weht ein laues Lüftchen, die Blüschen werden luftiger und die Röckchen kürzer. Pollen schwirren unbeirrt durch die Lüfte, auf der Suche nach empfangsbereiten Schleimhäuten. Frühlingsgefühle übermannen nicht nur Männer. Die Bauern spannen ihre Rösser an und die Hamster greifen wieder ins Rad. Auch wir, will heißen, Schorschi, mein kongenialer Routenplaner und Navigator und eben ich steigen auf unsere Stahlrösser,  um der aufkeimenden Kraft die Spitze zu nehmen. Soviel zu der emotionalen Großwetterlage, denn es ist erst Ende Februar und die Bäume verschwenden noch keinen Gedanken daran auszuschlagen. Dennoch ist die 2019er Jungfernfahrt kurzerhand geplant und konsequent durchgezogen. Die Wetterfrösche schwören bereits wieder jahreszeitenübliche Tiefzonen herauf.

Was ist eigentlich das Gegenteil von „Jungfernfahrt“? Logisch analysiert müsste es doch „Altnahfahrt“ betitelt werden. Oder? Ich frage deshalb, weil die Tour gleich beides war. Jungfernfahrt, weil die erste in 2019, und Altnahfahrt die letzte mit meinem treuen Weggefährten. Nein, nicht die mit Schorschi, sondern natürlich die mit meinem altgedienten M*-Bike. Tja, ihr habt richtig gelesen, in wenigen Tagen, nach den prophezeiten Tiefs, werden meine durchtrainierten Muskeln durch E unterstützt. So weit, so gut.

*M – steht für physikalisch muskelbetrieben!

Die Tour war fix erkoren. Ohne jedes Risiko zum Saisonstart wählten wir eine altbekannte Route – Renchtal – Biergarten beim Bauhöfer – Eisbude in Appenweier – und gut ist. Gesagt, getan. Jeglicher Staumeldungen zum Trotz trafen wir uns pünktlich bei Schorschi. Er hatte es ja nicht ganz so weit, quasi gerade einmal um die Ecke. Auf der To-Drive-Liste stand als allererstes Etappenziel der Bahnhof in Appenweier. Von dort mit dem Regio-Express (den reiferen Alphabeten besser als Bummelzug geläufig!) nach Bad Peterstal und per Velo retour, wie zuvor beschrieben. In Appenweier wartete bereits der Fahrschein-Automat mies gelaunt auf uns. Er wollte kurzfristig seinen Dienst quittieren, als er uns in prächtigster Frühlingslaune auf den Bahnsteig einbiegen sah. Hatte er doch noch unsere verzweifelten Versuche von damals auf der Saldoseite seiner Festplatte gespeichert. Doch allen Unkenrufen zum Trotz zaubern wir in Teamarbeit bereits nach dem dritten Anlauf die ersehnten Tickets aus dem digital empatielosen Automaten.

Im krassen Gegensatz zu uns, die Bahn war unpünktlich. Auch wenn es sich nur um Minuten handelte. Mit Sack und Rad enterten wir den letzten Wagon. An den Wänden, neben Sicherheitsanweisungen und graphischer Streckenübersicht, prangten Fotos von uns unter dem Bahn-Logo: DB = Die Beiden vertrauten sich uns an! Mit Original-Unterschriften, die allerdings schon etwas verblasst waren. Um dem ganzen Fantrubel zu umgehen wählten wir nicht, wie derzeit bei der ersten Erkundungsfahrt, als Zielbahnhof Oppenau. Nein, geschickter Weise fuhren wir direkt durch bis Bad Peterstal. Beim passieren der wartenden Oppenauer Fangemeinde registrierten wir allerdings, wie sich sehnsuchtsvolle Freude in ernüchternde Enttäuschung wandelte. Außer von einigen weiblichen Mitreisenden blieben wir von stundenlangen Autogramm-Wünschen verschont. Wir wollten den unbeschreiblich schönen Tag ohne Signaturen erleben. Die Sonne strahlte mit ganzer Kraft. Obwohl Vorsicht geboten war, schließlich herrschte nächtens noch der Bofrost und Eismann.

Als ob es uns die enttäuschten Fans hätten heimzahlen wollen, der Weg zurück nach Oppenau war unserer nicht würdig! Aus Respekt vor dem Peterstaler Sprudel möchte ich auf peinliche Details verzichten. Es, das Mineralwasser konnte schließlich nichts für ein mangelndes Radnetz. Gespickt mit steilen Anstiegen und lächerlich präparierten Waldwegen, bahnte sich eine unvorhersehbare Pannenserie an. Ich möchte vorwegschicken, dass sowohl meine Muskelkraft, als auch mein mechanisches Getriebe reibungslos funktionierte. Der aufmerksame Alphabet sowie Mathematiker wird sofort erkennen, wer und was derart vom Schicksal heimgesucht wurde. In Persona war es Schorschi, de facto seine Thermoskanne*. Wen jetzt Unwissenheitsfalten die Stirn zerfurchen, dem sei geraten, entweder meinen Bericht: „McPomm“ aufmerksam zu studieren, oder das Kleingedruckte unten auf der Seite.

Kurz und gut kann man es so beschreiben: die Thermoskanne, genauer gesagt deren Funktionsleuchten, fackelten ein Farbenspiel ab, bei dem jede Geisterbahn ihren Geist aufgegeben hätte. Es wäre wohl nicht so schlimm gewesen, wenn sich nicht das Blau als penetrant erwiesen hätte, was unzweifelhaft mit einem elektronischen Fehlverhalten dokumentiert war. Allein die Farbe wäre nicht weiter schlimm gewesen – es war die damit einhergehende sofortige Einstellung der E-Schubkraft, die letzte körperliche Reserven aus dem Stählernen herauspressten. Was folgte? Richtig: erzwungene Pausen im Rhythmus der Farbwechsel: Grün, Rot, Orange, Gelb und eben Blau! In 40 Sekunden sollte, lt.Bedienungsanleitung, ein Reset erfolgt sein, die Fehlfunktion behoben. Und so stoppten und goten wir, wie auf der A5, zum Biergarten, weiter zur Eisbude und schließlich heim ins Reich. Dennoch, es war ein schöner Tag. Für Übermorgen ist die Rückkehr des Winters vorhergesagt. Wandern in der Ravennaschlucht ist angedacht. Schaun wir mal.

Zusammenfassung: 59,76 km / 3,23 Std. reine Fahrzeit / insgesamt ca. 400 Sek. drücken des Resetknopfes / Durchschnittsgeschwindigkeit 18,03 km/Std. / 4 Frikadellen / 2 Portionen Kartoffelsalat / 4 Tütchen mittelscharfer Senf / 2 Halbe, sauer gespritzt / 7 Kugeln Eis!

*Bei besagter Thermoskanne handelt es sich um den nachträglich eingebauten E-Antrieb an Schorschis Radel. Mit dem erschlich er sich leichte Vorteile mir gegenüber in McPomm und auf weiteren Tour! Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen.*

Das durstige Dutzend

Vorwort: Aus datenschutzrechtlichen Gründen bleiben die Namen der Entourage auf Abkürzungen der Vor- und Zunamen beschränkt, sowie der Anfangsbuchstabe des zuzuordnenden Ortes, um bei unvermeidlicher Namenskürzelgleichheit vermeidbare Verwechselungen zum Nachteil Einzelner auszuschließen. Soweit, so gut.

Dem aufmerksamen Leser, sowie der Entourage selbst, wird es nicht verborgen bleiben, dass wir lediglich elf Trinkfeste waren, die abermals in Südtirol einfielen. Eigentlich wären wir sogar stolze vierzehn Gleichgesinnte gewesen, aber drei fehlten mehr oder weniger entschuldigt. Einschränkend muss auch erwähnt werden, dass ein Quotenrentner altersgerecht betreut wurde, aber auch ein rüstiger Zeitgenosse mit kurzen Auszeiten glänzte. Gefühlt war es die zwanzigste Tour. Wer exakte Aufzeichnungen sein Eigen nennt, der möge sie der Korrektheit halber dem Chronographen mitteilen.

Der Passivsportkamerad A.E. aus O. hatte das Vergnügen mit dem Organisatoren W.H. aus O. die Anreise gemeinsam anzutreten. Aus ökologischen Gründen und zur Reduzierung der Feinstaubbelastung* schlossen sich weitere Fahrgemeinschaften zusammen. *Die Kollegen aus dem Großraum S. wissen wovon ich rede! So sieht T.E. aus R. z. B. nachvollziehbar den Gebrauchtwagenpreis seines Wohnmobils mit Dieselmotorantrieb in eklatantem Verfall. Er befürchtet in die Camperarmut abzurutschen.

Die Entschuldigten hätten den Anteil der Passivsportskameraden deutlich erhöhen können. So ergab es sich, dass die Skifahrer in überproportionaler Überzahl waren. Geschuldet auch der Tatsache, dass die Aktiven dieses Jahr von körperlichen Unversehrtheiten verschont geblieben waren. Und diverse Defizite an weißen Blutkörperchen konnten in der schwindelerregenden Höhe Südtirols durch die beachtliche Hangabtriebskraft wettgemacht werden. Abstürze fanden lediglich im Steilstück der vier Hotelstufen und beim Aprèsski statt.

Apropos Aprèsski: Hier konnten auch dieses Jahr wieder über Generationen antrainierte und genetisch bedingte Verhaltensmuster erforscht werden. Die Balztänze paarungswilliger Galane nehmen mit der Entfernung zum heimischen Revier in Potenz  zu. Da auch die Getränke nicht nach Prozent respektive Volumen, sondern ausschließlich nach Metern bemessen wurden, verlängerten diese den angeheirateten Abstand rundenweise. Ob, wie bei der existenziellen Frage, ob das Huhn oder das Ei den Stall zuerst bevölkerten, hier die Musikdarbietungen vor der Volltrunkenheit waren, oder sie die Balztänzer quasi in die Volltrunkenheit zwangen, ist nicht hinreichend geklärt. Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu finden täglich, und nicht nur in Südtirol statt.

Parallel zu den Fahrgemeinschafen bildeten sich mehr oder weniger freiwillige Paarungen, die in Schlafgruppen die verschwendete Zeit zwischen Frühstück und Aprèsski totschlugen. Heintje, Cordula Grün und Heidi sorgten für eine IQ-reduzierte

Überbrückung der Nachtruhe. Auf das kulinarische Highlight gierten die Probanden bereits seit Monaten. Finschgauer Brot, mit röscher Kruste, die den Trägern dritter Zähne erhebliches Durchbeißvermögen abverlangte, im Dialog mit streichfähigen Vollfettkäseecken. (Ganz nebenbei: Ich finde, dass das Wort Vollfettkäseecken irgendwie geil aussieht. Man spricht das meist einfach nur so dahin. Aber geschrieben erkennt man die wahre optische Besonderheit. Oder?) Im Rausch des Genusses und im Überschwang der Gefühle kreirrten M.E. aus M. und A.E. aus O. einen neuen profitablen Geschäftszweig: Quadratische Vollfettkäseecken! Zwei marktentscheidende Vorteile versprechen für einen durchschlagenden Erfolg: 1. Quadratische Vollfettkäseecken lassen sich vielbesser stapeln, sowie besonders platzsparend in den Kühltheken der Verbrauchermärkte und ergeben 2. für den Einsatz auf den allzeit beliebten Käseigeln ganz neue spielerische Gestaltungsvarianten. In harmonischem Einklang mit Salzstangen, Zwiebelringen und geschmackvoll dekoriert mit Paprikapulver edelsüß sind diese der absolute Renner jeder Hauspartie, neben den nicht minder beliebten russischen Eiern. An dieser Stelle halte ich es für angebracht ein Toast auf unseren Kräuterpapst, respektive der Mutter aller Kräuterlinge, M.E. aus M. anzusprechen. Ihm ist es unter tatkräftiger Mithilfe seiner Bewunderer gelungen, in Bruneck eine individuell, variabel abgewogene Menge seltener Gewürze zu ergattern. Apropos gattern: Es war W.H. aus O. nebst mir eine besondere Ehre am Grab von Rosa Gatterer eine rosa Rose niederzulegen und stellvertretend in stillem Gedenken an unsere langjährige Gastgeberin eine Schweigeminute einzulegen. Danke Rosa!

Am letzten Abend wurde die malträtierte Muskulatur noch einmal inwendig und intensiv eingerieben. Mit Stolz über die zurückgerutschten Kilometer hangabwärts, gepaart mit Glücksgefühlen beinbrechende Stürze vermieden zu haben endete, wieder einmal zu früh, das jährliche Vergnügen. Wir freuen uns schon jetzt auf 2020. Eine Schnapszahl, die wir sicher entsprechend zu feiern wissen werden.

Post Skriptum: Dem Quotenrentner sei es gestattet, sich stellvertretend bei den Organisatoren und Spendern ganz herzlich zu bedanken! Besonders erwähnen möchte ich M.S. aus D., W.H. aus O, sowie dem weltweit führenden und allseits beliebten Unternehmen H. aus O.

Herbst – Tour de France

Wir schreiben den 10.10.2018 als wir die möglicherweise finale Radtour in diesem Jahr in Angriff nehmen. Eckartsweier – Straßburg – Saverne. Immer entlang des Canal de la Marne au Rhin. Gesamtlänge 293 km mit 154 Schleusen. Nein, nein, wir sind lediglich ein Sechstel der Strecke gefahren, also in der Region Grand Est, mit ca. 25,6 (Periode) Schleusen. Ich erwähne dies deshalb, weil an jeder Schleuse erstens die Urlaubskapitäne der Hausboote freundlichst gegrüßt haben, und zweitens es leicht bergauf ging, sowie über  eine Bahnlinie, die Autobahn oder über einen holländischen Deich.

Die Wetterfrösche meldeten bereits seit Tagen strahlenden Sonnenschein und Temperaturen jenseits der 20°C. Aber: Wir hatten mindestens zwei Farben der Trikolore (blau / weiß) auf dem Schirm. Die Realität bescherte uns hingegen ein durchgängiges Grau, entsprechend RAL 7035.

Auf geht’s, folgt uns in diesem Bericht durch die Grand Nation in drei Episoden.

Episode 1: Die Verabredung

„Es ist tolles Wetter angesagt. Wollen wir nicht noch eine Herbsttour machen?“

„Gute Idee. Wann und wohin?“

„Wir können ja mal nach Saverne radeln. Das wollten wir doch schon immer mal angehen.“

„OK!“

Episode 2: Die Tour

Start in Eckartsweier um 10:00Uhr. Durch Straßburg, vorbei am Eur-OPA-Parlament Richtung Saverne. Immer geradeaus. An den Schleusen mal ein paar Meter bergauf und wieder runter. Immer geradeaus. Mal rechts, mal links des Canale Grande. Immer im Nebel. Einzige Höhepunkte etwa zwei Dutzend Schwäne, sowie diverse Großfamilien Enten, bei denen die Erpel eindeutig in der Überzahl waren und ein Hopfenfeld linker Hand. Sonst weiter geradeaus im Nebel.

Episode 3: Am Zielort

Um die Rückfahrt via sncf nach Straßburg bei Zeiten zu garantieren, konsultierten wird zu aller Erst den Bahnhof. Schorschi, seit Jahren erfahren in französischen Gauen, informierte sich am Schalter, ob der Möglichkeiten für uns und unsere Velos. Zur Sicherheit stand ich im Hintergrund für zügiges Einschreiten bereit. Der Gallier an der Auskunft sprach übrigens perfekt deutsch!

Der anschließend geplante Besuch eines einschlägig vorbekannten Restaurants und die dringend erforderliche Nahrungsaufnahme scheiterte daran, dass die Küche bereits geschlossen hatte. Es war mittlerweile 14:00Uhr. Im nahen Café fanden wir neben freien Plätzen auch interessante Angebote in der Auslage-Theke. Je ein Eclair, eine Tarte Tatin und Schorschi zusätzlich eine etwa handtellergroße Quiche Jambon (im Mikro erwärmt) versöhnten uns für die eintönige Nebelfahrt und das ewig währende Geradeaus. In diesen Glücksminuten wagte auch die Sonne erste zaghafte Strahlen auf Mutter Erde zu senden. In den vollen Sonnengenuß kamen wir dann auf der Heimfahrt im Zug. Dieser hatte, wie in Deutschland auch, gut zwanzig Minuten Verspätung. In der französischen Rush Hour gings Retour durch Straßburg zurück nach Eckartsweier.

Zusammenfassung: 74,6 km / reine Fahrzeit 4,17 Std. / 0 Kugeln Eis!!!*

*Ich kann mich in all den Jahren an keine einzige Fahrt erinnern, die wir ohne jegliches Eis absolviert haben! War es dem Nebel geschuldet, oder weil wir die vielen Sorten nicht akzentfrei auf Französisch benennen konnten oder das Hopfenfeld linker Hand? Man kann nur inständig hoffen, dass das das einzige Mal bleiben wird!

Mc Pomm

Im Laufe des Jahres wurden viele euphorische Pläne brachial Opfer diverser menschlicher, körperlicher Unwägbarkeiten. Was für die ersten lauen Maiennächte vorgesehen war, sollte der frühe Herbst richten. Erstaunlicher Weise fand eine Zustimmung für das auserkorene Ziel, unmittelbar nach dem ersten Vorschlag, das einvernehmliche Votum: Mc Pomm.

Die angedachte Tour, und jeden Tag ein neues Bettchen, wurde jäh zerstört – es mangelte an geeigneten Herbergen. Welche Routen auch in Frage kamen, eine unumgängliche Nacht im Freien brachte die Vorfreude rasant zum Einsturz. Auch die Gepäckaufnahmekapazität sowie das zulässige Gesamtgewicht durch eine mitzuführende Campingausrüstung würden an ihre Grenzen stoßen. Da die Detailplanung sicherheitshalber mir oblag, überzeugte die vorgeschlagene Alternative ebenfalls auf Anhieb. Der langen Anreise wegen wurden zwar gelegentlich immer wieder Zweifel angemeldet, jedoch bereits kurz nach dem Andenken im Keim erstickt und vor dem Aussprechen verworfen. Liefen doch seit Jahren die allerschönsten Filme in unseren Kopfkinos ab: Mc Pomm, Land unserer Mutti, Land der Rauten, Seen und einer nicht enden wollenden Gegend. Wir konnten bereits am Morgen unsere Ankunft am Abend sehen. Dachten wir, nach ausgiebigem Studium der Atlanten. Wie sich alsbald herausstellen sollte, hat sich die Zweidimensionalität der Karten in der Realität nicht bewahrheitet. Es erhob sich überraschend noch eine dritte Dimension. Aber dazu später Genaueres.

Der erste tiefe emotionale Niederschlag ereignete sich knapp 14 Tage vor dem Start. Noch bevor die Pneus auch nur einen einzigen Millimeter Profil auf dem Asphalt hingelegt hatten, ließ der Etappenhengst sich einen E-Antrieb nachrüsten. Nun gut, Schorschi war exakt ein Jahr und zwei Tage älter, also musste ich schon auf die präsenilen körperlichen und muskulären Defizite Rücksicht nehmen. Sicherheitshalber erwäge ich ein Abschleppseil in die Standardausrüstung aufzunehmen. Man weiß ja nie ob das E-Modul ausreichend geladen ist und ich ihn über alle Höhen und Tiefen durch Mc Pomm schleifen muss. Auch sehe ich mit seinem weißen Rad schwarz. Das Design stammt sicher noch aus der Gänsekielfeder eines gewissen Herrn Drais, es ist nicht wirklich en vogue. Das wird auch durch einen E-Antrieb nicht übertüncht. Der Akku ähnelt eher einer amorphen Thermosflasche. Deshalb fürchte ich auch, dass die durstige Seele öfter mal den Energieschub versehentlich aus dem Akku, statt der Flasche mit Cerealien zu sich nehmen will.

Schier zur Verzweiflung trieb mich die Frage welches Navi denn zum Einsatz kommen sollte. Die Erfahrungen der diversen Touren hatten Narben hinterlassen. Sowohl Falk, als auch G-Punkt hatten kläglich versagt. Ich ignorierte deshalb diese Nachfrage, stellte mich alterstaub und verwies auf die besonders ausgelobten, bestens ausgeschilderten Routen rund um und mitten durch die Seenplatte. Also zwischen den Seen! Tretbooträder sollten nicht zum Einsatz kommen.

Nur die engsten Vertrauten waren in unsere Pläne eingeweiht, sodass sich der ganze Medientrubel und die Belagerung durch Fangruppen auf einem überschaubaren Level hielten. So hatten wir die erforderliche Ruhe unser Wagnis zielorientiert vorzubereiten. Die Aufregung in den sozialen Netzwerken sollte uns noch früh genug einholen. Gegen aktive Anfeuerung entlang des Weges durch euphorisierte Fangruppen und –gruppinnen hatten wir grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Autogrammstunden regelte unser Tourmanagment. Autogrammkarten waren ausreichend gedruckt, sie zeigen uns in allen möglichen sportlichen Posen: Zu Rad, in rasanter Fahrt, auf der Massagebank und an der Bar. Jeweils einzeln, zusammen, sowie im Kreise unseres Teams. Darüber hinaus waren an den Zielorten mobile Shops mit den Fanartikeln zu finden. Hier konnten die Treuesten der Treuen massstabsgerechte Nachbildungen unserer Velos in 1:18 / 1:24 und eine Limited Edition in Sonderlackierung in  Originalgröße erstehen, inclusive Packtaschen. Dazu jeweils handsignierte Trikots, Helme, gepolsterte Handschuhe mit abgeschnittenen Fingern, Trinkflaschen, Energie-Riegel, Konserven mit Instantnudeln (Kohlehydrate) Brillen mit Lotus-Beschichtung, Flickzeug, Luftpumpen und Ersatz-Schläuche, sowie Radklingeln, deren spezieller, eigens komponierter Ton, das Warnsignal, für Ukulele und Triangel im kryptischen Netz herunterzuladen war. Selbstverständlich auch Panoramakarten der jeweiligen Tagesetappen, umsäumt mit Livefotos und Studioaufnahmen. Eigens für den Audiobereich wurden CDs gebrannt mit den Laufgeräuschen unserer Reifen auf Asphalt sowie Schotter, dem Rasseln der Ketten auf den Zähnen der vorderen und hinteren Kränze, sowie der Schaltgeräusche und gelegentlichem Klingeln. Ohne Frage können die vor aufgeführten Aufnahmen auch digital herunter geladen werden. Bewegte Bilder sind immer und überall auf You Tube zu googlen. Zum Gesamtpaket gehörten selbstverständlich auch alle  Koordinaten für Google Maps. Auf besonderen Wunsch werden ein Dutzend handverlesene Partikel Bremsstaub vakuumiert und in mundgeblasenen Kristallglasröhrchen gefüllt geliefert. Natürlich mit einer lebenslangen Garantie auf die Unversehrtheit und Haltbarkeit und der Umwelt-Unbedenklichkeitsbescheinigung des Zentralrates der Deutschen Radfahrgemeinden Nonnenweier und Eckartsweier. Bei so einer Expedition durfte eben Nichts dem Zufall überlassen werden. Alle und Alles hatte sich nur dem einen Ziel unterzuordnen.

Sekunden vor dem Startschuss war es mucksmäuschenstill. Eine hypnotische Stille. Eine medusenhafte, angespannte Starre verbreitete eine gespenstische Atmosphäre. Man hörte das Vibrieren der sorgsam zentrierten Stahlspeichen. Doch mitten in den Knall des Startschusses der 45er Magnum löste sie sich in einer ohrenbetäubenden Eruption. Aus tausenden Kehlen – das alles in der Nähe von Kehl. Ein Blick in die Augen der männlichen Fans signalisiert uns, dass sie Jungfrauen und Lämmer opfern würden, um uns wenigstens ein paar Kilometer begleiten zu dürfen.

Der Chronist, Organisator und Navigator der Tour de Mc Pomm hatte noch vor dem Start mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Bei der Inspektion seiner Maschine stellte er überraschend fest, dass der Pneu auf der Vorderfelge einen trügerischen, tiefen Riss in der Karkasse aufwies. Es stand zu  befürchten, dass das Inlett bei rasanter Fahrt auf holprigem Makadam explosionsartig zerbersten würde. Ein nagelneuer Marathon Race von Schwalbe wurde in Sekundenschnelle fachgerecht montiert. Gerade noch rechtzeitig, bevor die rasante Fahrt Fahrt aufnahm. Getreu dem Motto: Kommt Zeit, kommt Rad.

 

Sonntag, der 16.September 2018 

Die Montage des Fahrradständers verlief ohne große körperliche Blessuren. Die kleinen Ungeschicklichkeiten waren entschuldbar, fehlte doch die Routine häufigerer Exkursionen. Die stundenlange Anreise gestaltete sich als durchaus angenehm. Wir wechselten uns am Steuer ab, nicht so beim Schlafen auf dem Sozius. Zu erwähnen ist, dass das erste Eis erst 200 km vor dem Ziel geschlotzt wurde. Da in Berlin zeitgleich der Marathon stattfand, teilte sich das Zuschauerinteresse auf, und wir erreichten weitgehend unbehelligt Waren an der Müritz. Der erste Eindruck sollte sich im Laufe der Tage bestätigen: Es gab mehr Radler als Autofahrer und wir waren in Waren und Umland die mit Abstand jüngsten Aktivisten.

Das Hotel war rasch geortet, die Anmeldung mit Touripass und allem Schickimicki brachten wir unbeschadet hinter uns – wir konnten unsere Zimmer in der Bel Etage, der Grünen Etage, sofort beziehen. Die Farbe resultierte aus dem kooperierten Designkonzept. Die moosgrüne, in die Jahre gekommene, Auslegeware war durchwoben mit schwarzen Ranken, an deren Enden sich eine vergilbte Blütenpracht über Zimmer und die Flur ergoss. Im Parterre schloss sich an das Restaurant ein Wintergarten, daran eine Terrasse an, mit freiem Blick auf die unverbaute Natur des Nationalparks und den hauseigenen Einloch-Golfparkour.

Bei der ersten oberflächlichen Erkundungstour durch Waren entdeckten wir ohne großes Suchen drei Eisbuden. Beruhigend. Nach dem Abendessen im Hafen suchten wir die nächstbeste Eisbude spontan heim. Es sollte nicht der letzte Besuch sein.

Als krönender Abschluss des Tages genehmigten wir uns noch ein Gläschen Wein im Wintergarten unserer Bleibe und bereiteten die morgige Tour vor. Am ersten Tag favorisierten wir erst einmal eine kürzere Tour, dafür mit längeren Pausen. Navi und Navigator offenbarten erste Unzulänglichkeiten. Wie sich später herausstellte, hatte der Herr über die digitalen Routen vergessen das erforderliche, regionale Generalkartenwerk herunterzuladen. Kann ja passieren. Danach klappte die virtuelle Planung zu unserer Überraschung fast ohne kryptische Wirrungen.

 

Montag, der 17.September 2018 

An einer Auswahl an Seen, die es zu umzingeln gab, mangelte es wahrlich nicht. Ganz egal in welche Himmelsrichtung wir auch schauten, waren große und kleine Seen zu sehen. Die Entscheidung fiel auf den Kölpinsee und Fleesensee mit dem Haupt-Zwischenziel Malchow.

Wenn man so die Karten vor sich liegen sah, wurde einem kaum bewusst, dass die gelben, grünen und blauen Flächen Erhebungen sein könnten. Zumal wir sie in dieser Region auch nicht wirklich erwartet hätten. Die Realität belehrte uns eines Anderen. Zusätzlich zum einkalkulierten Gegenwind bremsten auch noch etliche langgezogene Steilstrecken unsere flotte Fahrt. Während sich auf den Abschnitten bergabwärts die Hangabtriebskraft positiv bemerkbar machte, konnte ich mit Aerodynamik punkten. Unter anderem bedingt dadurch, dass ich die körper- und muskelbetonte Sportkleidung favorisierte, während sich der E-Mobilist hingegen in eher fließendem Outfit wandete.

Malchow, ein romantisches Städtchen, welches auch in Holland nicht sonderlich unpassend aufgefallen wäre. Um den Hafen reihten sich Lokale und Cafés, Eis- und Fischbuden. Und der absolute Höhepunkt des Tages: Ein Pommesbuden-Klassiker, wie er klassischer nicht sein konnte. Spontan zog es uns in die Pergola des Etablissements. Currywurst mit Pommes, A-Schorle aus der Flasche. Serviert wurde das Mahl auf bisher nirgends entdeckten Plastiktellern, mit einem Dekor aus den späten Fünfzigern. Selbst auf ländlichen Flohmärkten hätte dieses Equipment den Pokal für das phantasievollste Dekor schlechthin sicher gewonnen.  Das Besteck war aus Chromstahl. In perfektem Einklang mit dem Service gesellte sich auch das Publikum. Wir toppten das kulinarische Erlebnis mit einem leckeren Eis. Dabei beobachteten wir, wie der Brückenwart den Verkehr zum Stillstand brachte, die Zugbrücke öffnete und den zahlreichen Yachten die Passage in den nächsten See ermöglichte. In der erzwungenen Wartezeit polierte er die Brückengeländer mit einem handelsüblichen Staubwedel.

Die Currywurst begleitete uns noch den Rest des Tages.

Drei weitere Ereignisse dürfen allerdings in dieser Tages-Chronik nicht fehlen. Erstens konnte ich nach der Besichtigung des prächtigen Schlosses von Klink den Sportskameraden nur mit Mühe davon abbringen mit einem für beide fremden Rad davonzubrausen. Es wäre ein schlechter Tausch gewesen. Der Besitzer war kurzfristig nicht zu ermitteln. Zweitens entdeckte der E-Mobilist und Tierfreund tönerne Kameraden für ihr jüngstes und kleinstes Familienmitglied: Bobby. Ich wurde in der Folge mehrfach darauf hingewiesen, dass wir keinesfalls den Erwerb des Objektes vergessen dürfen. Es geschah denn auch gleich am dritten Tag. Drittens sah ich es als notwendig an, für mein Rad in eine Lampe zu investieren, da die nächtlichen Heimfahrten vom Hafen im Dunkeln mehr Sicherheit für mich und die Passanten versprachen. Bei der Montage der Flutlichtanlage erwies sich schnell, dass doch eher das Kopfwerken meinem Metier entspricht. Das Abendmahl nahmen wir auf einer Seeterrasse ein. Von da fuhren wir mit dem Velo zum Hafen, um der inzwischen bekannten Eisbude unseres Vertrauens einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.

Tagespensum: 66 km / 3,18 Std. reine Fahrzeit / 14 Kugeln Eis

 

Dienstag, der 18. September 2018 

Das Wetter zeigte sich auch heute von seiner strahlendsten Seite. Nicht so der Stromer. Ein Anfall von plötzlichem Drehschwindel hatte ihn aus dem körperlichen Gleichgewicht gebracht. Prophylaktisch wurde über die Montage von Stützrädern nachgedacht. Allerdings sofort wieder verworfen, nachdem physiotherapeutische Übungen für eine stabile Körperlage sorgten. Als Lazarus das Lazarett nach erfolgreicher Rekonvaleszenz verlassen konnte, gab es kein Halten mehr. Mit voller Kraft voraus.

Heute stand die Umrundung des Müritzsees auf dem Programm. Der, nebenbei belehrt, der größte deutsche See ohne Landesgrenzen ist! Mit gut 83 km eine ordentliche Herausforderung für Tag zwei. Durch den schönen Müritz-Nationalpark mit herrlichen, gut ausgebauten Wegen radelten wir über Boer, Rechlin nach Röbel. In den Wäldern herrschte absolute Ruhe. Keine Vögel zwitscherten, keine Kröten quakten – selbst die Natur hielt den Atem an, um uns gebührend die Ehrerbietung zu erweisen.

Nachdem wir den Nationalpark verlassen hatten, verließ uns auch das Glück mit ordentlichen Wegen. Fortan erhoben sich die Hügel höher aus dem Gelände, blies der Gegenwind heftiger, wurden die Pfade holpriger. Es ging an die Substanz. Trotz gelegentlicher Bergabstrecken strampelten wir gefühlt ständig bergauf. Garantiert stand unser Globus so unglücklich, dass wir gegen die Gravitationskräfte anzukämpfen hatten. Für Leser, denen die Einstein’sche Relativitäts-Theorie fremd ist, sei plausibel erklärt: Wir sind quasi von Down Under nach Waren gefahren.

Sichtlich ausgelaugt erblickten wir schließlich den Ortseingang von Röbel. Alle Erschöpfungszustände ignorierend suchten wir nur ein erstrebenswertes Ziel: Das Eis-Paradies Röbel. Es sollte sich im Schatten der Kirche befinden. Nach mehrmaliger Umrundung des Gotteshauses erspähten wir schließlich das Paradies. Mit letzter Kraft gelang es uns die Bestellung von Málaga, Joghurt-Kirsch, Grapefruit und co. der polnischen Bedienung in den Bestellblock zu diktieren. Kugel für Kugel belebten sich die letzten Ressourcen der geschundenen Körper. Das Leben machte wieder Sinn. Ohne lange Debatten zu führen entschlossen wir uns mannhaft, den Rest der Strecke mit der Linie Dat Bus zu absolvieren.

Mit dem besagte Dat Bus und dem Gästepass konnten wir kostenlos Fahren wohin wir wollten, bzw. nicht mehr konnten. Grundsätzlich zog Dat Bus einen Fahrradanhänger hinter sich her. Für die Nutzung hatten wir 2,-€ zuzuzahlen, für E-Bikes 2,50 €. Das geschieht den Stromern recht!

Im Dat Bus gab es ein Wiedersehen mit dem Frauchen von Rudi, einem Rüden, der der Zwillingsbruder von Bobby hätte sein können. Nur, dass Rudi es genoss im Korb seines Frauchen mit auf dem Rad fahren zu dürfen. Im Dat Bus hatte das Frauchen Rudi nicht dabei, dafür ihren körpereigenen Geruch. Sie versprach uns hoch und heilig, Rudi unsere herzlichsten Grüße auszurichten.

Tagespensum: 70 km / 3,48 Std. reine Fahrzeit / 13 Kugeln Eis

 

Mittwoch, der 19. September 2018 

Nach einem ausgiebigen Frühstück drückten wir der gesprächigen Hotelherrin unser Storno für die Nacht auf Samstag rein. Noch stürmigeren Wind, Regen und Kälte prophezeiten die Wetterfrösche. Da jagt man noch nicht einmal einen Hund vor die Tür, auch wenn er nur tönern sein sollte. Und so zogen wir die geordnete Heimfahrt am Freitag der Nässe und den unumgänglichen Erfrierungen vor!

Tja, wie soll ich es beschreiben? Noch gleich am gestrigen Abend, als unsere stählernen  Revuekörper frisch geduscht waren, die ersten Cerealien in Form eines frisch gezapften Blonden dem ausgelaugten Körper zugeführt worden war, arbeiteten wir die Strapazen des Tages noch einmal verbal auf. Es hätte auch schlimmer kommen können. Und, es kam schlimmer!

Unser Ziel: Die Umzirkelung des Plausees. Der Startschuss fiel in Lenz und führte uns gleich nach wenigen Metern auf die Lenzer-Höhe. Die Steigung hätte auch herausragend die Lenzer-Heide (bekannter Schweizer Skiort) repräsentieren können. Die weiteren tektonischen Erhebungen machten der erst genannten alle Ehre. Bereits nach wenigen Kilometern zeichnete sich ein Ganzkörperermüdungsbruch ab. Müßig zu erwähnen, dass der Gegenwind an Intensität nicht nachgelassen hatte. Wie soll ich die weiteren Imponderabilien bildhaft ausmalen? Auf den Radverkehrswegen musste die Stasi ihre Staatsfeinde, gefoltert haben! Die ESBZ war bekannt dafür, dass sie nicht im Überfluss schwelgte. Eine Ausnahme müssen die Platten für die Plattenbauten gewesen sein. Ich bin mir relativ sicher, dass die Wiege für den Begriff „einen Platten“ am Rad haben hier am Plausee stand. Die üppig vorhandenen Plattenbauplatten eigneten zwar keinesfalls für den Straßenbau, wurden aber offensichtlich doch dafür verwendet. Schließlich mussten die Folterkammern für die potentiellen Republikflüchtlinge ja irgendwo einen angemessenen Platz finden. Im Abstand von ca. 3 – 5 Metern, also zwischen den Plattenbauplatten, breiteten sich XXL-Dehnfugen aus. Sie waren einerseits fester Bestandteil des Foltergerätes, andererseits ergab sich daraus ein beachtliches Einsparungspotential von 1%. Also alle 100 Plattenbauplatten eine Plattenbauplatte. Es ist nicht überliefert, ob die Delinquenten selbst Erbauer ihrer eigenen Folterinstrumente sein mussten. Zwischen den XXL-Dehnfugen zerbarst in unregelmäßigen Abständen das Wurzelwerk der Methusalembäume den Beton in entgegengesetzter Richtung. Also nach oben. Auf eine XXL-Dehnfuge folgten etliche Wellen, deren Verlauf sich in keine Gesetzmäßigkeit fassen ließ.

Aufatmen ließ der Wechsel von den Plattenbauplatten-Folterstraßen auf Waldwege. Doch die ersten erleichterten Eindrücke waren trügerisch. Die Wurzelwerke der Methusalembäume streckten ihre Tentakel genauso nach unseren Pneus aus. Nur noch gewaltiger und unkontrollierbarer. Um den Spuk zu komplettieren, waren die Wege mit Sandgruben gespickt. Ein taktisches Ausweichen nach links oder rechts des Weges verwehrte uns eine undurchdringliche stachelige Macchia. Wer bei den Sandgruben an seine Kindheit zurückdenkt und vor seinem geistigen Auge an mit Holzsitzflächen umsäumte Spielstätten denkt, dem sei gesagt: Die Mc Pommschen Sandgruben präsentierten sich ebenfalls im XXL-Format. Sie entsprachen garantiert der Europäischen Norm für Sandkästen zur Bespassung von mindestens 1.000 lebhaften Vorschülern. Die Körnung wird ermittelt nach EN ISO 14688. Die jeweilige Korngröße entspricht dem Äquivalentdurchmesser, dem hydrodynamischen Durchmesser (gleiche Fallgeschwindigkeit in einer Wassersäule). Von der Fallgeschwindigkeit eines durchtrainierten Körpers konnte ich mich persönlich gleich zweimal überzeugen. Während sich der Elekbriker auf die künstliche Power aus der Thermoskanne verlassen konnte, konnte ich nur mit unwiderstehlicher Muskelkraft überzeugen. Erschwerend kam hinzu, dass meine Reifen, mit einer Laufbreite von gerade einmal 2,5 cm, sich nicht als sehr vorteilhaft für Sandgruben entpuppten. Wer schon einmal die Sahara mit einem Standard-Treckingrad durchquert hat, der weiß wovon ich spreche! Mein kongenitaler Partner hatte sein Rad mit einer Art Balloonwheels bestückt, die auch für die Mondlandefähre Eagle ausgereicht hätten. Auf diesem Teilstück ist in mir eine epochale Entscheidung gereift: Mein nächstes Rad wird meine Muskeln auch mit Strom unterstützen.

Trotz einem schmerzhaften Ganzkörperermüdungsbruchs schleppten wir uns zum halben Etappenziel Plau. Ein wunderschönes Örtchen am See mit hysterischer Altstadt. Auf maximal einhundert Meter offerierten uns eine Fischbrötchenbude, zwei Eisbuden und ein Coffeeshop mit 55 Varianten ihre unwiderstehlichen Angebote.

Der Rückweg um die verbleibende Hälfte des Plausees verlief diametral zur halben Hinrunde. Klaglos spulten wir die Strecke ab. Treuer Begleiter war hier das Matjesbrötchen. Das Königspilsener  im Hafen von Waren hatten wir uns radlich verdient! Auch die Kugeln in der Eisbude, zu deren Stammkunden wir uns mittlerweile erschleckt hatten. Die goldene Waffel mit smaragdfarbenem Plastikspachtel stand unmittelbar vor der Verleihung. Am diesem Abend blieben die stählernen Rosse unberührt. Die Speisung nahmen wir im Restaurant des Hotels ein. Es folgte rasch die bleierne Nachtruhe.

Tagespensum: Knapp 60 km / 3,20 Std. reine Fahrzeit / 11 Kugeln Eis

 

Donnerstag, der 20. September 2018 

Taufrisch, wie ein lauer Frühlingsmorgen, erholt und voller Tatendrang aber konzentriert und einigermaßen Wortkarg, bereiteten wir uns mental auf die finale Tour vor. Der Krakowsee stand auf der Agenda. Über Dobbin nach Glave, weiter  in Richtung Wadehäng (welch geniale Doppeldeutigkeit) bis zum Luftkurort Krakow am See. Mit voller Absicht hatten wir mit nur 35 km eine gemütliche Runde zum Ausklang des Abenteuers erkoren. Die geschundenen Pos sollten sich pö a pö (peu a peu) wieder an normale Sitzungen gewöhnen. Der Rückweg führte uns über Serrahn, wo unbestätigten Gerüchten zufolge die gleichnamigen Kochfelder erfunden sein sollten. Aber das nur nebenbei.

Obwohl ich noch nie einem Frosch höchstpersönlich sowie selbstlos über die Straße geholfen habe, meinte das Wetter es auch am letzten Tag gut mit uns. Inzwischen waren die Sandmulden keine echte Herausforderung mehr. Was zwei elegante Abstiege über den Lenker jedoch nicht vermied. Nach wenigen Kilometern stand eine Entscheidung mit großer Tragweite an. Entweder wählen wir die See nahe Route mit Panoramablick. Oder die mit Mückenschwärmen biblischen Ausmaßes. Wir entschieden uns leider nicht für den Ritt durch die Sanddünen des Waldes. Wir favorisierten die finnische Variante.

Je weiter wir uns von den Touristenballungszentren entfernten, umso dünner war die Gegend besiedelt. Irgendwann musste sie jedoch urbanisiert und bewohnt worden sein. Ruinen menschlichen Daseins säumten den Weg. Sogar die Vögel flogen auf dem Rücken, um das Elend nicht sehen zu müssen. Nach kurzer Fahrt erreichten wir den Luftkurort Krakow am See. Er verdiente die Auszeichnung Kurort in keinster Weise. Treffender wäre Kuhkaff gewesen. Glockenschlag 12.00 Uhr zogen sogar die ersten Zirrus-Wolken am Firmament auf. Passend zu Krakow von zartem Mausgrau changierend bis zu katzenjämmerlichem Anthrazit. Selbst das einzige Eiscafé hatte schon die Plastikstühle gestapelt und diebstahlsicher ans Haus gekettet sowie den Laden und die Läden geschlossen. Das Ende und der Beginn der Eiszeit gleichzeitig.

Was sie in Mc Pomm absolut perfekt beherrschen der sind lange Alleen. Alleen und Kartoffeln in jedweder Art. Gekocht, mit und ohne Schale, gebraten, gestampft und frittiert. Also die Kartoffeln meine ich. Die Alleen sind von uralten, prächtigen Kastanienbäumen flankiert. Sie schleuderten bei dem Gegenwind ihre reifen Früchte mit Wucht nach Stahlross und Reiter. Teils in stacheligen Mänteln, teils nur den harten Kern. Uns konnte wahrlich aber auch gar nichts mehr erschüttern bzw. vom Rad werfen.

Den Abschluss der letzten Etappe feierten wir mit Apfelkuchen und Kaffee in Waren an der Hafenpromenade. Obendrauf eine Gerstenkaltschale. Bei Zeiten nahmen wir die Henkersmahlzeit an der Seeterrasse ein. Und zu guter Letzt sollte es dann noch mal ein Eis sein. Natürlich an der Eisbude unseres Vertrauens.

Tagespensum: 34 km / reine Fahrzeit 2 Std. / nur 5 Kugeln Eis (!)

 

Freitag, der 21. September 2018 

Den gebührenpflichtigen Parkplatz am Hafen hatte man bereits gegen Mittag des Vortages gesperrt, um die Feierlichkeiten zu unserer Verabschiedung in Ruhe gebührend vorzubereiten. Einheimische, Gäste sowie Abordnungen der Partner- und Zwischenzielstädte aus ganz Mc Pomm und Europa sollten uns mit folkloristischen Darbietungen erfreuen. Die Organisten zogen alle Register. Besonders talentierte Dorfschönheiten glänzten mit Soloeinlagen, der Seemanns-Spielzug wurde von den Schiffssirenen untermalt und Möwengezänk begleitet, die kessen Müritzkehlchen trällerten munter drauflos, der römisch-katholische Männerchor überraschte mit Georgianischen Gesängen, die Vorschüler unter der Leitung von Frl. Meier gaben Flötentöne zum Besten und zum Finale Grande schmetterte die Gospel-Combo „You`ll never bike alone“! Parallel dazu demonstrierten die Pilates- und Yogagruppen Figuren zur Entspannung und Meditation, wie Virabhadrasana (die Heldenhaltung), oder der Storch in der Morgensonne.

In alle Empathie über die Darbietungen mischte sich doch ein wenig Wehmut, Melancholie. Der Abschied nahte unbarmherzig. Schließlich obsiegte die Vorfreude auf die Lieben daheim. Und wer weiß, welche Region das Par de deux im nächsten Jahr gedenkt heimzusuchen. Schaun ma mal.

54° Nord / 8° Ost

Der Norden hat es uns angetan. Erst Norditalien, dann Nordsee. Die Elfi lag da quasi auf dem Weg. Und selbst die Rekord-Rolltreppe, den Panorama-Hafenrundblick, die imposante Architektur sowie die gigantischen Kosten habe ich mit meiner Höhenangst ohne volle Hosen überstanden.

Von Hamburg ging es weiter zum Epizentrum Deutschlands, nach Sylt. Dort ins Epizentrum von Sylt, nach Kampen. Und zur Einstimmung ins Epizentrum von Kampen: Ins Gogärtchen. Wer sich über die hohen Benzinpreise echauffiert, der sollte sich mal im Gogärtchen ein Gläschen Wein kredenzen lassen! Im Preis inbegriffen ist jedoch der perfekte Blick auf die Welt der Pfeffersäcke und die der gerne Gesehenwerdenwollenden. Oder auch nicht. Hier regiert die Dekadenz.

Das meistgefahrene Verkehrsmittel ist zweifelsfrei das E-Bike. Es folgt eine epidemische Dichte an Porsche. Daimler kontert mit den G-Modellen ab 6 Zylinder aufwärts. Ansonsten flanieren die GT, GS, RS, M, AMG, X, Y, Z und weitere Varianten des Alphabetes. Ehrensache, dass das BlueTech oder BlueMotion-Logo ein absolut umweltbewusstes Verhalten dokumentiert. Der stete Wind führt allerdings einen aussichtslosen Kampf, wie dereinst Don Quijote, gegen die alliierte Artillerie der V-Motoren mit vierfach bestückten Auspuffrohren. Erfreulich gilt es zu vermelden, dass das Gaspedal nicht ständig im Posingrhythmus durchgetreten wird und die Frisöre der Chauvinisten offensichtlich keinen Undercut kennen.

In der Kleidung gibt Mann und Frau sich deutlich markentreuer. Die Moncler Jäckchen, natürlich sowohl mit und ohne Ärmel, in jedem Fall aber gesteppt, sind quasi das National-Trikot der Neu- und Altreichen. Soweit, so teuer.

Nach Alpen, Pasta und Pizza nun also Dünen, Krabben und Scholle. Apropos Dünen – die höchste Erhebung ist die erhabene, legendäre Düne Uwe. Mit einer Sandprise höher als 52 Meter über NHN. Wusstet ihr eigentlich, dass man auf Sylt am Ellenbogen laufen kann?

Die Sansibar haben wir dieses Mal ignoriert. Unser Ziel am Strand war die Buhne 16 und, logisch Gosch, die nördlichste Fischbude Deutschlands. Hier konnte man den Brand nach der stürmischen Brandung genüsslich löschen. Während man auf sein Essen wartete, konnte man in aller Ruhe die Ideenflut auf den T-Shirts in aller Ruhe auf sich wirken lassen. Die Dienstkleidung des Service-Personals war erfreulich nicht mit dem Moncler-Logo bedruckt, sondern mit allerlei lustigen Texten, wie zum Beispiel: „Ich habe auch nur vier Flossen!“

Während man für wirklich „Kleines Geld“ gut, schmackhaft und sättigend essen kann, wird man bei den Getränken im wahrsten Sinne des Wortes über die Düne gezogen. Nicht nur beim Wein! An MAGNUS kam man einfach nicht vorbei! Ob Gogärtchen, Gosch oder Strandbar, es wurde ausschließlich Magnus offeriert. Dieses allgegenwärtige Allheilwasser war angereichert mit mehreren hundert Prozent Marge. Unter 7,50€ pro Flasche war kein Durst zu erquicken. Es sei denn mit einem Flens. Plopp!

Im zuverlässig täglichen Schichtdienst zerren Ebbe und Flut an dem eigentlichen Reichtum der Insel – dem Strand und Sand. Die Insel wird in den Zyklen sukzessiv Opfer der Erosion, während die Freikörperkulturler ihr Silikon, Botox, ihre Intimfrisuren und Tattoos in die Brandung werfen. Der Plastikmüll in den Weltmeeren nimmt atemberaubend zu. Aus dem Strandkorb 105 (keine Primzahl, da sich die Quersumme durch drei teilen lässt!) war es uns vergönnt das Strandtreiben aus erster Reihe zu studieren. Wendete man sich für ein paar Augenblicke von der Literatur ab, stellte man zwei Trends fest:

  1. Neopren-Anzüge oder -Hosen waren der Renner. Nicht nur beim Surfen! Wer sich jemals von der Brandung hat peitschen lassen, der weiß warum.
  2. Im Nachhinein fällt es mir schwer zu verstehen, dass wir als hundeloses Paar den Aufenthalt genehmigt bekommen haben. Wie bei den Porsche bzw. den Moncler-Jäckchen gab es auch hier eine Rangliste zu verzeichnen. Die Labradore absolut konkurrenzlos! Erstaunlich, dass die Dackel repräsentativ stark vertreten waren. Die diversen Schoßhündchen und getunten Ratten lasse ich mangels Abscheulichkeit unerwähnt. Zu erwähnen sind allerdings die Wesen am anderen Ende der Leine. Bemerkenswert ihre offensichtliche Seh-und Hirnschwäche, ihre schier unglaubliche Ignoranz und Selbstherrlichkeit. Obwohl nahezu alle hundert Meter in großen Lettern darauf hingewiesen wurde, dass Hunde immer an der Leine zu führen sind, dass an vielen Stränden sogar gar keine Hunde erlaubt sind, liefen die Vierbeiner frei herum und durften ihre Duftmarken an jede Staude Strandhafer setzen.

In den Flaniermeilen von Westerland, Kampen und Keitum erspähten wir neben den edelsten Edelboutiquen ebensolche für die Dünenpinkler. Hier gab es alles was der Geldbeutel hergab. Von Halsbändern aus Leder von seltenen Amazonas-Süßwasser-Krokodilen, bestickt mit Namen und Blutgruppe aus Kaschmir von freilaufenden Himalaya-Ziegen, über Dental-Pflegesets aus geschmuggeltem Elfenbein bis zu pfotenlosen, aber gesteppten Jäckchen (ausnahmsweise nicht von Moncler! Eine echte Marktlücke!).

Auf Sylt ist eben alles ein wenig anders. Allen Umweltaktivitäten zum Trotz nimmt man seine Longdrinks und Sundowner via Plastik-Röhrchen zu sich. Die Strohhalme hingegen tackert man in großen Mengen schichtweise auf die Dächer! By the way – das war der einzige Textbeitrag am vorletzten eines ansonsten gedankenlosen Strandtages.

Am leider schon letzten Tag hat uns der Blanke Hans noch einmal ordentlich den Marsch geblasen. Die Sylter-Eismanufaktur sollte wandernd aufgesucht werden. Gegen den böigen Wind und durch den Sand und über die Dünen entpuppte sich die an sich famose Idee als echte Herausforderung. Ich habe mir gleich drei Kugeln gegeben, ohne mich von dem Sylter Highprice abschrecken zu lassen. Für 1,70 € / Kugel stand man dann doch gerne gut 20 Minuten an.

Wie auch immer – Sylt ist jeden Cent wert. Wir kommen wieder!

Dienstag Ruhetag

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! Und, Herr Google weiß doch nicht alles! Aber beginnen wir von vorn: Angesagt war eine kurze Wanderung (max. ½ Std.), mit Einkehrschwung inklusive Vesper nebst geordnetem Rückmarsch. Um es kurz zu machen – schon der Anmarsch verzögerte sich, da 1/3 der eifrigen Wandersleute keinen verbindlichen Entschluss über das Schuhwerk fassen konnte. Die Aussagen der Ortskundigen zur Dauer der kurzen Wanderung pendelte inzwischen zwischen ½ Std. und 1 ½ Std. Bei den 1 ½ Std., so stellte sich im Laufe des Hin und  Hers heraus, handelte es sich bei der Zeiterfassung um einen Rückmarsch bei Dunkelheit bei meteorologischer Mondfinsternis, bei dem auch der Genuss von Alkohol eine ganz entscheidende Rolle gespielt haben muss. Die aus Sicherheitsgründen gebildete Menschenkette* führte u.a. nicht nur in die Irre sondern auch in achtlos herumstehende Gebiete mit undurchdringlicher, naturblasserer Wildnis. Spontan aber überlebenswichtig entzündete Tempotaschentücher, von denen man sich flutlichtartige Ausleuchtung des Weges versprach, bestätigten die hoffnungslose Lage.

*Die Menschenkette fand dieses Mal ausnahmsweise nicht zur Demo gegen z.B. die Atomkraft statt!

Weiter im Text. Das Eindrittel entschied sich schließlich für feste Wanderschuhe. Hatte man doch schon negative Erfahrungen gesammelt, ob zu leichtem Gehwerkzeug. Bis sich der Tross in Bewegung setzte nahmen die 1 ½ Std. dann doch eher Kontur an. Alle freuten sich auf ein kühles Bierchen und eine zünftige Vesper auf der Terrasse des Martinsteinhiesli.

Der Weg war klassisch und ordentlich ausgezeichnet. Gelegentliche Diskussionen über den Verlauf der Route wurden durch die männlichen Voten demokratisch überstimmt. Zur Debatte stand auch der Pionierweg. Aber wer wollte schon Neuland entdecken? Wir erwogen den Rückmarsch auszukundschaften. Das  Ziel bereits vor Augen vernahmen wir anstelle Geräusche von Gemurmel und Besteckklappern lediglich das Kreischen einer Flex. Platz war, an diesem Dienstag, reichlich. Um es genauer zu sagen: Wir waren die einzigen durstigen und hungrigen Ausflügler. Neben der Tür lümmelte ein Hinweisschild: „Ab 18:00Uhr geöffnet“ und ein weiteres „Eingang um die Ecke“. Es war 18:00Uhr jedoch der Eingang öffnete sich nicht. Weder der vorne, noch der um die Ecke! Verwünschungen und Beschwörungen verhallten im Wald zur Happy Hour Stunde. Der Organisator verwies auf das Wissen eines gewissen Herrn Google, der die Öffnung ab 11.00Uhr weissagte. Er verschwieg allerdings, das montags und dienstags generell Ruhetage seien.

Der gern genommene Vorteil einer Rückkehr bei Tageslicht, und die damit verbundene Vermeidung eines Verlaufens in der Wildnis, sowie das Abfackeln von Tempotaschentüchern, wurden dankbar geschätzt. Das Erleuchten mittels offenen Feuers war bei der wochenlangen Dürre ohnehin fragwürdig und weniger ratsam. Galt es nur noch die Hürde des Pionierweges zu umschiffen. Da nach wie vor Uneinigkeit herrschte, fiel die Entscheidung auf der sicheren Seite der kurzen Wanderung mit Einkehrschwung zu bleiben.

Der Montag sowie Dienstag entpuppte sich schließlich als von Ortenauer Gastronomen gerne genommener Ruhetage. So entwickelte sich neben dem Hin und Her der Schuhwahl auch die Wahl der Lokalität zur lebhaften Begleiterin auf der Durststrecke. Die, im Gegensatz zum Hinweg, recht lang und steil bergauf verlief. Verlaufen haben wir uns übrigens nicht. Nicht nur mangels der erhofften Bierchen.

Was vor dem Abmarsch eine gewisse Verzögerung mit sich brachte, sollte sich bei der Rückankunft wiederholen. Allerdings nicht ohne auf einen absoluten Fauxpas hinzuweisen, in Form von grauen Socken in Sandalen! Es gelang uns fünf Imageberatern den Träger des Gehteigentlichgarnicht davon zu überzeugen, auf die grauen Socken zu verzichten. Dieser versuchte standhaft mit dem Hinweis auf eine mögliche Blasenentzündung zu kontern. Erfolglos! Im Biergarten verzichtete er dann sogar auf ein gestauchtes Bier! Auch hier bestand latente sowie akute Gefahr einer schmerzhaften Blasenentzündung! Ob diese auch ohne die prophylaktische Einnahme von Medikamenten abgewendet werden konnte, ist bisher nicht recherchiert worden. Der möglicherweise Gepeinigte möge es mir nachsehen.

Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis an den Organisator: Die freiwillige Übernahme der ersten Runde haben wir nicht nur genossen, sondern auch gerne genommen. Wir erkennen sein schlechtes Gewissen durchaus an, nehmen aber die Ablassung als gelungen entgegen. Es sei ihm verziehen! Evtl. kann die Rechnung ja bei Herrn Google geltend gemacht werden?!

Schöne Aussichten

Da denkt man nichts Böses und begibt sich an einem sonnigen Sonntag auf einen mit viel Lob gehudelten Wanderweg: Den Panoramaweg bei Zell a.H.. Abfahrt vom Treffpunkt, Aufteilung der Fahrgemeinschaften und der Konvoi mit zwei Autos verlief geschmeidig. An den bekannten Blitzersäulen musste die Geschwindigkeit nicht angepasst werden, der gefürchtete Sonntagsmittagsausflugsverkehr sorgte automatisch für strassenverkehrsordnungsmäßiges Crusen. Der Abmarsch war an dem ausgeschilderten Parkplatz goldrichtig geplant. Ohne den Einsatz von Navis wurde dieser auch auf Anhieb angesteuert. Große Bäume spendeten den ersehnten Schatten. Ich sage nur Ledersitze! Unter dem ersten Baum hatte ein sichtlich in die Jahre gekommenes Pärchen das Vesperpaket in Arbeit. Wie sich später herausstellte, gehörte der Kleinwagen den Ausflüglern, die zwischen zwei prächtigen Eichen im Schatten eingeparkt hatten. Die Lücken rechts und links daneben waren gerade noch ausreichend für je ein Fahrzeug,  jedoch hätten jeweils der Fahrer bzw. Beifahrer auf die Teilnahme an der Wanderung verzichten müssen. Die Eichen machten keine Anzeichen zum Weichen. Es blieb ein halbschattiges Parkplätzchen auf der dürren Wiese. Das staubige Rangieren hielt die Picknicker nicht vom herzhaften Biss in ihre Stullen ab. Der Belag wurde nicht erkundschaftet.

Wer ohne Nutzung des Navis den Parkplatz findet, der verläuft sich auch auf dem ordentlich ausgeschilderten Panoramaweg nicht. Quasi parallel zum Panoramaweg hatte Sebastian Kneipp diverse Wassertretstellen erbaut. Allerdings ohne Wasser! Die Dürre machte eben auch für Sebastian Kneipp keine Ausnahme. Somit waren die Wassertretstellen eigentlich überflüssig.

So schlenderte die sportive Gruppe über den Panoramaweg. Doch im Wald war das Panorama weg. Lichte Momente offerierten uns hin und wieder das angepriesene  Panorama auf Wiesen und Felder rings um Zell a. H.. Sinniger Weise hatte die ersehnte Wanderhütte im August geschlossen. Die Erfrischung musste hinten anstehen und die mitgeführte Flasche Wasser neigte sich dem Flaschenboden zu. Mein kühler Vorrat hatte die Grenze zwischen halbvoll und halbleer fließend überschritten, da der Verschluss unsachgemäß geschlossen wurde. Der Vorteil einer gekühlten Rückenpartie nebst dem oberen Teil der fünf Buchstaben war bei den Temperaturen jedoch nur von kurzer Dauer.

Nach gefühlten zwei Dritteln des hochgelobten Panoramaweges führten uns die Schilder aus dem Wald heraus unmittelbar hinein ins Panorama zurück nach Zell.a.H.. Die ersten Fata Morganen flimmerten vor unserem geistigen Auge. Das Kondenswasser perlte außen am Glas, reichlich gefüllt mit einem gespritzten Bier. Mit jedem Schritt auf dem asphaltierten Panoramaweg, mitten im Panorama, wuchs das Fassungsvermögen des Glases. Jetzt nur noch durch das Neubaugebiet die Hauptstraße entlang ins Zentrum. Es ist erstaunlich wie lang sich in solchen Dörflein Hauptstraßen, deckungsgleich mit einem Panoramaweg, ziehen können! Verwundert ordneten wir die ganz in jungfräulichem weiß gehaltenen Hinweisschilder an den Türen der örtlichen Gastronomie unter „Halluzinationen“ ein. Hier stand in großen Buchstaben: Sonntags Ruhetag bzw. Geöffnet ab 17:30 Uhr. Offensichtlich wähnte man die munteren Wanderer dann doch länger auf dem Panoramaweg. Eiscafés und eine Dönerbude luden eher zur Einkehr aus. Trotz der quälenden Tortur über Asphalt und Kopfsteinpflaster und wider aller Fata Morganen beschlossen wir direkt den Parkplatz aufzusuchen um nachzuschauen, ob das Picknickpärchen noch dem Dessert frönte oder ihren persönlichen Parkplatz für weitere Schattenparker zur Verfügung gestellt hatte.

Am Leben hielt uns die vage Hoffnung, dass die reservierten Sitzplätze im wunderschönen Gartenrestaurant schon frei sein würden. Das Picknickpärchen hatten wir ja nicht mehr zu befürchten. Die ersten Überlegungen fanden statt, ob man den Inhalt der Gläser mit den Kondenzperlen auch ohne jegliche Hinzugabe von Wasser zu sich nehmen könnte.

Der Tisch war frei! Obwohl sich doch noch ein paar Gruppen vom Mittagstisch an dem Panorama und den kühlen Getränken berauschten. Ohne auf zwei fußkranke Nachzügler zu warten, wollten wir umgehend die Getränke ordern. Andrew, der Wirt verkündete uns noch bevor wir auch nur einen einzigen Wunsch äußern konnten, dass auf Grund der Temperaturen und der großen Anzahl durstiger Seelen das letzte Bierfass leider gänzlich zur Neige gegangen sei. Aus lauter Frust haben wir uns mit alkoholfreiem, aber wenigstens kühlem, Bier die Kante gegeben. Das Essen war ok. So neigte sich dann, dem letzten Fässchen Bier folgend, der Wandertag dem Ende zu. Ich fürchte, dass der Panoramaweg in Zukunft ohne uns bewandert wird. Selbst wenn Sebastian Kneipp wieder Wasser unter die Füße bekommen sollte, alle Hütten wieder geöffnet sein sollten und die Fässer den Darbenden die ersehnte Labsal gewähren könnten.

Strassenverkertordnung

Auf der A5 und A8 stauen sich die Aggressionen auf mehrere Kilometer Länge. Irgendwann kann man von Passau bis Pusemuckel auf den Dächern der Kraftfahrzeuge laufen, ohne ein einziges Mal den Boden zu berühren! Aber das nur am Rande. Grund meines Nachrichtens ist nämlich ein anderer. Ein, aus gegebenem Anlass, aktueller. Ich hatte die einmalige Chance eine Verkehrsstudie durchzuführen. Während einer stundenlangen Fahrt über diverse hundert Autobahnmeilen, ausschließlich auf deutschem Gefilde. Dabei sind mir wider besseren Wissens folgende Gesetzmäßigkeiten aufgefallen, die ich so penetrant nicht mehr auf dem Schirm hatte.

Die Wohnwagengespanne mit den gelben Nummernschildern bevölkern immer noch zahlreich alle Fahrspuren. Daran haben wir uns ja nun mittlerweile schon gewöhnt. Neues gibt es bei den Rentnern. Hier  hat ein Paradigmen-Wechsel stattgefunden. Sie bevorzugen inzwischen nicht mehr die altgediente Traditionsmarke Opel, sondern fahren auf die statusmäßig deutlich höher eingestufte Marke Mercedes ab. Bei dieser dominieren die A- und B-Klassen. Hinlänglich auch verspottet als fahrende Garagentore. In Ermangelung einer Hutablage, die der kompakten Bauweise zum Opfer gefallen ist, liegen die Strohhüte achtlos auf der Rückbank. Wackeldackel und umhäkelte Klorollen gehören gänzlich der Vergangenheit an. Auch das Kissen mit der liebevoll geklöppelten KFZ-Nummer musste ersatzlos weichen. Sie führen nun ein gar tristes Dasein in einer wenige besessenen Sofaecke. Bei der Zielgruppe der sportliche „Best Ager“ ist unübersehbar eine Tendenz zum SUV zu verzeichnen. Der rückenfreundliche höhere Ein- respektive Ausstieg und das Kofferraum-Volumen sei Dank. Es lassen sich die Utensilien für ausgedehnte Radtouren, Bergtouren sowie Rafting oder Drachenfliegen problemlos verstauen. Außerdem erreicht man die entlegensten, schwer zugänglichen Ausgangspunkte für alle möglichen Adventures.

Mit der bevölkerungstechnischen Entwicklung hin zum Erst- bzw. sogar Zweitkind wächst auch die Liebe zum Van, welches gleichzeitig zum überaus praktischen Helikoptereltern-Shuttle mutiert ist. Die neusten Modelle sind täglich vor Kitas und Grundschulen zu bestaunen. Diese Familienkutschen erkennt der versierte Autonarr an den TV-Monitoren im rückwärtigen Teil der Kopfstützen der Vordersitze. Auf den Heckscheiben prangen die Namen der kleinen Racker: Bronx oder Shannon an Board. Was waren das noch für Zeiten, in denen ein  smarter Sylt- oder Allgäu- oder Toskana-Aufkleber auf einem Audi 80 das beliebte Urlaubsziel dokumentierte? Nähert man sich heute einem Van von hinten, dann kann man schnell dem Trugschluss erliegen, man hätte ein autonom fahrendes Fahrzeug vor sich. Bei intensiverer Betrachtung bemerkt man dann jedoch den Lenkradbeisser versteckt hinter der Kopfstütze, eingepfercht zwischen Multifunktionslenkrad und elektronisch verstellbaren Sportsitzen. Vorsicht ist die Mutter der Vans. Behutsam befördern sie die muntere Kinderschar auf der Rückbank über die mittlere sowie linke Fahrspur. Mit einem unangepassten Tempo, jederzeit bereit mit ordnender Hand die Herrschaft über die Lieben und den links und rechts vorbeirauschenden Verkehr zu meistern, während „Benjamin Blümchen“ seine Zoten über die Bose-Anlage lautstark im Fond des Vans verbreitet. Sie leiden, wie gerne auch die A- und B-Klasse Fahrer, unter akuter bzw. latenter Rechtsfahrintoleranz.

Kleinwagen und Kleinlaster erkennt man sofort an der kommunikativen Art ihrer Chauffeure. Das mobile Telefon stets am linken Ohr, die rechte Hand am Schaltknüppel. Häufig auch die Überkreuzvariante, Handy mit rechter Hand zum linken Ohr, wenn die linke Hand für Blinker oder Radio oder Fensterheber oder für den Burger vom goldenen M oder so benötigt wird. Im anderen Fall wird auf die Benutzung des Fahrtrichtungswechselanzeigers verzichtet. Man hat ja schließlich nur zwei Hände! Orientierung bietet der durchgezogene Mittelstreifen. Berührt man ihn mit dem rechten Vorderreifen ist eine spontane, hektische Lenkkorrektur erforderlich, in der Hoffnung, dass die rechte Fahrspur entweder partiell frei ist, oder der Befahrer über ein ausgezeichnetes Reaktionsvermögen verfügt oder sich zwischen den polnischen LKWs eine unerwartet große Lücke ergibt. Falls nicht, dient das Handy dazu, via Whats App eine Kurznachricht über das verspätete Eintreffen abzusetzen. Zu empfehlen ist, gegen Aufpreis, der Fahrspurassistent. Alternativ wäre auch eine Freisprecheinrichtung akzeptabel. Aber was fängt man dann mit den Händen an?

Bleiben wir bei einem Fahrspurwechsel nach rechts. Bitte vorher unbedingt in den Rückspiegel schauen, und mit dem Kopf über die Schulter vorsichtig Kontakt zum fließenden Verkehr rechts aufnehmen. Rechts ist auch unter dem Begriff „das andere Links“ geläufig. Hier tummeln sich nahezu ausschließlich LKWs. Doch voller Entsetzen musste ich registrieren, dass hier, von seltenen Ausnahmen abgesehen, die man höchstpersönlich, individuell mit Handschlag begrüßen könnte, keine in Deutschland zugelassenen Trucks unterwegs sind. Diese Spur gehört den osteuropäischen Sechs- bis Achtachsern, und hier im Besonderen denen mit dem Nationalitäten-Kennzeichen PL. Also: NL Links, Mitte und gelegentlich Rechts, PL Rechts, gerne aber auch Mitte.

Nun geht es von ganz Rechts nach ganz Links. Nicht politisch bitte! Umgekehrt aber erst recht nicht! Also bitte! Diese Spur bietet den konföderierten Eidgenossen ein Eldorado der unreglementieren freien Fahrt. So denn keine A- oder B-Klasse, kein Kleinlaster oder Grachtenrutscher oder Van, mit Aufkleber „Kevin an Board“, oder Flixbus das Recht auf freie Fahrt für freie Bürger bremst. Vergessen möchte ich auch nicht die Reisebusse mit den Best Agern, der sogenannten Heizdecken-Mafia. Diese hatten den entscheidenden Vorteil, dass sie zwar auch die linke Fahrspur bevölkerten, aber in sehr konzentrierter Form. Und so, mathematisch berechnet, weitaus weniger Hindernisse darstellten.

Neben der nahtlos geschlossene Front der parallel TV-schauenden oder grillenden Osteuropäer gleitet die Kolonne einträchtig über viele Kilometer dahin, unabhängig vom Volumen des Hubraumes, der Anzahl der Zylinder sowie der „Babys an Board“ oder der Pferdestärken ausgewiesen in KW. Schön, dass Lichthupen lautlos sind.

Nachtrag zur rechten Spur: Sie ist bereits und wird wahrscheinlich zunehmend die Spur der Ökos. Wer ein E-Mobil sein Eigen nennt, der spart auch nachhaltig an Geschwindigkeit und bummelt gemächlich zur nächsten Ladestation. Beängstigend kritisch wird es erst, wenn die äußerst stabilen, Hochglanz verchromten Stossstangen der Lastkraftwagen im Rückspiegel an Format zunehmen und die Scheinwerfer-Batterie taghell aufflammt. Dann ist es an der Zeit Gas, bzw. Strom zu geben.

Die Rückfahrt, an einem Sonntag, verlief ganz anders. Sonntags dürfen keine LKWs fahren. Das nutzen die Wohnwagengespanne weidlich aus und verlegen ihre Urlaus-Anreisepläne auf die LKW freien Sonntage. Auch die Hausfrauen dürfen zur Kaffeefahrt zur Tante, die man schon länger nicht mehr heimgesucht hat, wieder einmal ans Steuer. Damit sie das Fahren nicht gänzlich verlernen. Da wünscht man sich, dass das autonome Fahren bereits den Kinderschuhen entwachsen wäre.

Bleibt mir noch euch weiterhin frohe und staufreie Fahrt zu wünschen. Bleibt aufmerksam im Verkehr!

La Lago go!

Alles begann mit einem Telefonanruf. Die ausländische Vorwahl entpuppte sich als italienische. Mit der Begründung: „Schorschi allein Zuhaus“ köderte mich der Gute ein paar sonnige Tage am Lago zu genießen. Der entleerte Koffer vom Comer See und Südtirol stand noch griffbereit im Flur – wenn das kein Zeichen war. Das Freifragen verlief erfolgreich und so konnte es schon nach wenigen Tagen erneut Richtung Italien gehen. Das Dach des neuen Roadsters war ebenfalls noch geöffnet, der Kofferraum nahm die beschränkte Garderobe raumgreifend auf, festes Schuhwerk sollte nicht fehlen und das Konto von den Gefährdeten für Altersarmut war durch die Rentenanstalt pünktlich wieder gefüllt worden. Voller Vorfreude und mit vollem Tank erfolgte der Start.

Gabi und Jürgen campten mit Luca und Lilli am Lago. Der Camper lag förmlich am Wegesrand und in meinem Kopfkino spielte der Film:  So sehen Verdatterte aus, wenn unerwarteter Besuch kommt. Der Film riss augenblicklich, als ich die Frontlinie am Lago erschlich – die Heimzusuchenden waren nebst beiden Vierbeinern ausgeflogen. Offensichtlich Gassi gehen. Da die Heimkehr unabsehbar war musste ich auf den verdatterten Blick verzichten und unverrichteter Dinge, ohne Genugtuung des geplanten Überraschungsmomentes, weiter entlang am Ufer des Lago crusen.

Hinter Verbania rechts ab bis Mergozzo, wo die Ampel an der Seepromenade wie gewohnt auf Rot stand. Bis zur Grünphase das Postkartenpanorama wirken lassen und flugs in die enge Gasse abbiegen, die nach Bracchio hinauf  führt. Die letzten Meter ähnelten eher einem unbefestigten Feldweg, der in deutschen Landen ausschließlich zum „Landwirtschaftlichen Verkehr“ freigegeben wäre. Bei Giggi ein letzter Schlenker und unter dem Gepiepse aller Abstandssensoren ins Domi-Ziel. Alles ohne Navi! Nach der ewig roten Ampel folgte das zweite Hervorsehbare: Schorschi. Offensichtlich hatte der Dorffunk irgendwie das Eintreffen des Ersehnten bereits prognostiziert, denn er erwartete mich aufgeregt am Hoftor. Die ersten Kommentare und Blödeleien verhießen ein paar entspannte, lustige Tage. Die wenigen Habseligkeiten waren im Nu verstaut, das Bett in wenigen Minuten frisch bezogen. Hier zahlte sich der Drill beim BGS in den 70er Jahren nachhaltig aus. Gelernt ist halt gelernt!

Von der Terrasse aus war es mir vergönnt den Besuchten bei der Gartenarbeit zu bewundern. Nicht nur mit dem grünen Daumen, sondern gleich mit allen zehn grünen Fingern ausgestattet, fingerte er gekonnt unerlaubt eingeschlichene Unkräuter und Gräser aus der Kolchose. Behänd wurde loses, welkes Blattwerk zusammengefegt. Selbst Zuschauer mit fahlen, farblosen Daumen erkannten auf Anhieb welch natürliche Begabung hier am Werk war. In mir keimte die Idee auf, die Geschicke des Bewunderten in einer Enzyklopädie: „Er, sein Daumen und die ganze Herrlichkeit der Flora“ zusammenzufassen und zu verlegen. Ganze Generationen von Heim- und Mondscheingärtnern würden von dem blühenden Nachschlagewerk partizipieren. Erschöpft aber glücklich und zufrieden sank der Gründäumling im Terrassensessel nieder. Er genoss die Lobpreisungen sichtlich, ehe er seinen Revuekörper in einen ansehnlichen Zustand duschte. Die Planungen für den Abend konnte in Angriff genommen werden. Mir dämmerte, dass es ein angenehmer werden würde.

Zwischen Garten-, Feldarbeit und Labsal fand noch der angekündigte Fototermin statt. Im Jahre 2004 retteten Schorschi und ich zwei hübsche Italienerinnen aus höchster Seenot und unter Einsatz unseres Lebens. Nach 14 Jahren waren auch sie etwas in die Jahre gekommen, hatten es allerdings durchgesetzt, dass wir für diese Heldentat die Ehrenbürgerschaft der Stadt Stresa erhielten, incl. der großen Ehrenplakette des nautischen Vereins zur Rettung schiffbrüchiger Nixen. Das gemeine Volk und die Honoratioren der Gemeinde jubelten uns zu. Für uns war es eine Selbstverständlichkeit Leben zu retten.

Mit der Dämmerung stellte sich auch der Appetit ein. Wir einigten uns auf ein Lokal hoch oben am gegenüberliegenden Gebirgszug.  Zur Sicherheit reservierten wir zwei Plätze. Mit den Spezialitäten Pils vom Fass und Kastanien-Gnocchi vorweg sowie Steak im Dialog mit frischem Marktgemüse, begleitet von einem kühlen Glas Wein philosophierten wir über das Leben im allgemeinen und speziellen, über die Heldentaten vergangener Epochen, mit den ganzen Huldigungen, sowie die floralen Höhepunkte des Tages. Auf der Fahrt zurück machten wir noch einen geplanten Stopp an der legendären Eisbude unseres Vertrauens. Auch hier wartete eine johlende Menge Eingeborener, die einen Blick auf die heldenhaften Retter erhaschen wollten. Mit Berta, einem ausgezeichneten Grappa, und voller Ehrfurcht über das nahende Naturschauspiel diverser Gewitter beendeten wir den anstrengenden Tag.

Lautes Geklapper in der Küche weckte mich und die Lebensgeister. Die Gewitter hatten sich noch nicht restlos verzogen und verwässerten unsere Pläne zusehends. Spontan wie es unser Naturell ist, entschieden wir uns für Shoppen in Verbania. Die begehrte Beute in Form einer hellbeigen Hose konnte nicht erlegt werden. Stattdessen erstand der Heimgesuchte zwei Scheren und zwei Frühstücksmesserchen. Scharf wie Rettich. Ach ja, und einen Gürtel aus Leder mit glänzenden Nieten besetzt. Sie, die Nieten standen im krassen Gegenteil zu den Heldentaten und anderen Begabungen. Nur der Glanz offerierte Parallelen.

Der Meister persönlich schwang in der Küche den Kochlöffel. Spaghetti al Arrabiata stand auf dem Speisenplan. Der Gruß aus der Küche bestand aus Salat und Burrata. Die Flasche Rotwein sollte schon entsorgt werden, da nach dem Öffnen weder Düfte nach reifen Beeren oder Leder unsere Sinne betörte, sondern eher Essig und Altöl. Allerdings wandelten sich die Aromen nach ein paar Minuten des Durchatmens im Glas und wir vernichteten den „Guten“ bevor er es sich noch einmal anders überlegen konnte. Um Kraft für den folgenden Tag zu sammeln beschlossen wir bei Zeiten ins Bett zu gehen. Zuvor statteten wir jedoch dem besten, weil einzigen Restaurant im Örtchen einen kurzen Besuch ab. Für ansprechende Unterhaltung sorgte die heimische Band. Sie probte im Nebenraum. Zunächst schien es als ob zwei Bands gleichzeitig probten und jede eine eigene Weise interpretierte. Emilio erschien auf der Bildfläche und klärte uns fachmännisch auf, dass im Nebenraum eine Band probte und im Kellergewölbe eine zweite Band alles gab. Da die Töne jeweils in eine Ohrmuschel links sowie rechts vom Kopf drangen, und die Darbietungen mitten im Kopf aufeinanderprallten, entfachten sie dieses unnachahmliche Notenfeuerwerk, was wir irrtümlich als Unmusikalität anprangerten. Nach einem Glas Roten war dann Schlußrambo.

Der neue Tag bescherte uns neues Glück. Das Wetter zeigte sich von seiner italienisch besten Seite. Leichtes Gewölk aber trocken. Der Wanderung stand nichts mehr im Wege. Da es nicht nur hoch hinaus, sondern auch hoch her ging, viel die Wahl der Kleidung auf mit Jäckchen. Es sollte sich bewähren, denn in der Höhe der Alpen pfiff der leichte Wind ein kühles Lüftchen. Wir erwanderten eine Hochebene wie sie sonst nur in Broschüren der Touristikverführer zu bewundern ist. Hier wurde sie leibhaftig. An den Rundkurs fügte sich nahtlos der steinerne Aufstieg in höhere Regionen an. Die Mühen sollten belohnt werden. Eine weitere Hochebene erfreute uns mit schönen Aussichten in Bild und Mahl. Vom Vesperteller aus Plastik schmachtete uns die ganze Vielfalt der Eigenherstellung an. Käse, Speck in der drei Variationen, Salami und Brot. Dazu ein Gläschen Weißwein, und der Tag war gerettet. Für den Abstieg wählten wir eine kürzere Route. Noch voll der biologischen Köstlichkeiten wollten wir auf ein Abendmahl verzichten. Der Vorsatz reichte allerdings nur bis nach dem Duschen. Per Pedes gings nach Mergozzo, mitten ins Postkarten-Idyll. Eine Pizza der besonders feinen Art und ein Gläschen Frisante rundeten einen ereignisreichen Tag ab. Um das Gewissen zu beruhigen schlenderten wir noch durch die Gassen des malerischen Örtchens zur Kirche St. Elisabetha. Hier tobte das legendäre Kirchenfest zu Ehren der Besungenen. Ohne Choräle aber mit Popmusik, die bis an die Grenze zum absoluten Tinnitus aufgedreht war. Der DJ, ein in die Jahre gekommener ergrauter Spätsechziger, plärrte auch noch zu den Evergreens ins Mikro, sodass die heilige Elisabetha ohne uns weiterfeiern musste. Ich vergaß zu erwähnen, dass die altehrwürdigen Gässchen mit bunten, wild flackernden LED Lichterketten geschmückt waren, die sicher das vergangene Weihnachtsfest zu einem Hort der Besinnung verzaubert hatten.

So schnell geht es – die Tage der Heimsuchung waren beendet und es ging zurück, heim ins Reich. Der frühe Aufbruch über den herrlichen Simplon machte sich bezahlt, da die Schar der Rückreiser erst Stunden später die Straßen und Pässe verstopfte. La Lago go! Auf ein baldiges Neues!

Mein schönstes Ferienerlebnis

Die Älteren mögen sich erinnern – mit diesem Thema quälte uns der Lehrkörper regelmäßig nach den Schulferien. Sicher, um wenigstens in den Deutschstunden eine weitere Verlängerung der unterrichtsfreien Zeit zu heimschen. Ich bin mir ebenso sicher, dass mein Deutschlehrer es absolut nicht bemerkt hat, wenn ich Jahr für Jahr über dasselbe „schönste Urlaubserlebnis“ berichtet habe. Nur die Zensuren differierten in einer unergründlichen Bandbreite.

Wie dem auch sein, heute gehe ich wesentlich entspannter an dieses Thema. Teil eins unseres Urlaubes verbrachten wir – wie immer – am Comer See. Leider jedoch nicht bei Mario Colombo sondern bei Alex. Colombo hatte sich aufs Altenteil zurückgezogen. Ein neues Domizil musste gefunden werden. Neugierig folgten wir einer Empfehlung, nicht ohne einen wehmütigen Blick auf das geliebte, beliebte Hotel Royal zu werfen. Es wartet noch auf einen Käufer / Nachfolger.

Der neue rote Roadster forderte allerlei Geschicklichkeit beim Packen der Garderobe. Ließ jedoch genügend Raum für nahezu jede Wetterlage. Und, für eventuelle textile Ergatterungen in den Filialen der Sale-Gruppe in Como, später Bozen oder Meran.

Wir starteten bereits in Nonnenweier oben ohne, also offen – entsprechend dem originären Sinn unserer Neuanschaffung. Einzige Herausforderung war die Anordnung aller Hebel und Multifunktionsinstrumente exakt entgegengesetzt zum Erstfahrzeug. Sinnvoll, mit dem Lernen des Instrumentariums beschäftigt, cruisten wir unserem Ziel entgegen. Auf dem Gotthard lag noch Schnee, eine frische Brise veranlasste uns die Heizung zu testen. Erfolgreich. Im weiteren Verlauf sogen wir, nach einem cabriolosen Jahr, Eindrücke und Düfte in uns auf, und beglückwünschten uns mehrfach zu der spontanen Entscheidung.

Es sollte uns zu denken geben, dass weder Straße noch Hotel im Navi registriert war. Dafür allerdings alle Blitzer, vor denen wir rechtzeitig gewarnt wurden. Es war reiner Zufall, dass wir am Zielort das Hinweisschild zu Alex nicht verpassten. Gut, die paar Meter bis zum U-Turn seien verziehen. Was dann allerdings folgte erforderte die totale Erfahrung und den ganzen Mut des Chauffeurs. Eng, enger, am engsten, steil, steiler, am steilsten, unübersichtlich, kurvig aber befahren – so lässt  sich der Weg zur Herberge nachvollziehbar beschreiben. Eng, unübersichtlich und steil war nicht nur der Weg als solches, eine Steigerung bescherte uns die Zufahrt zum hoteleigenen Parkplatz. Trotz der Hitze perlte eiskalter Schweiß auf der Stirn und der Beifahrerin lag es anheim, sowohl auf ausreichend Bodenfreiheit sowie Abstand ringsum abzusichern. Ohne jede Rücksichtnahme, ob wir jemals den Weg retour bewältigen würden.

Nachdem es zum Parkplatz nur steil bergauf ging, ging es zum Hotel nun wieder steil bergab. Diverse Natursteintreppen in Richtung Rezeption. Im Außenbereich erwartete uns Alex mit einer munteren Schar wild gestikulierender Italiener. Offen bis heute, ob es ausschließlich Familienmitglieder waren, oder auch Freunde und womöglich Angestellte. Erneut treppauf erreichten wir unser Zimmer – sauber und ordentlich, mit epochalem Panoramablick auf See und Berge und überhaupt.

Der kalte Angstschweiß auf der Stirn erwärmte sich alsbald beim Entladen und Transport der Kleidung. Selbstredend treppauf, treppab. Danach ein Besichtigungs-Rundgang über die verschiedenen Ebenen der Außenanlage. Pool und Liegeterrasse, sowie das Restaurant alles Richtung Panorama. Im Schatten eines Feigenbaumes ließen wir der Begeisterung dann freien Lauf und krönten sie mit einem ersten Gläschen kühlen Weißwein.

Den ersten Sinnesrausch schamlos ausnützend beichtete uns Alex, dass am Abend keine normale Karte angesagt sei, sondern ein einheitliches Menü eingerahmt von Disco inclusive Karaoke. Außerdem sei das Menü nicht repräsentativ für die Küche, weil besondere Umstände. Es sollte sich auch so bewahrheiten. Der Wein entschädigte, die Musik war ok, Gesänge fanden nicht statt und die zahlreich erschienene Dorfgemeinschaft benahm sich sittsam. Nach den Strapazen der Anreise sanken wir erschöpft aber glücklich ins Linnen.

Ein Trip nach Como, ein Ausflug nach Menaggio und ein Pool-Tag warteten auf uns. Die Küche war in der Tat deutlich besser als die Disco-Happen, der Wein verlor nicht an Genuss. Allein das Frühstücksbuffet servierte einen eher italienischen Standard.

Herzlich, als ob wir treue Stammgäste wären, verabschiedete sich Alex von. Er freute sich schon auf unseren Besuch 2019. Das Auschecken verlief ebenso schweißtreibend wie bei Ankunft. Die Weiterreise nach Südtirol einmal quer durch die Alpen war Lebensfreude pur. Streckenweise fuhren wir mutterseelenallein über die schönsten Pässe. Sogar der Mann am Steuer fand die Muse die Landschaft zu genießen.

Südtirol, Eppan, ein Viersterneplus Hotel war der Höhepunkt der Tour des Tages. Der Lift bewältigte die Etagen mit Bravur, Zimmer mit Klima-Anlage statt Ventilator und eine den Sternen angemessene Küche, nebst Degustation ließen Leib und Seele vollends erblühen.

Der Tag mit dem Bus nach Bozen verlief unspektakulär. Die Temperaturen bremsten Schuh- und Handtaschenkäufe nachhaltig, sodass sich das Kofferraumproblem gar nicht erst stellte. Tag zwei avancierte zum Abenteuertag schlechthin. Das baumlose Hochgebirge schied zum Erwandern mangels Schatten aus. Blieb eine schattige Halbhochwanderung unterhalb der Baumgrenze. Gespickt mit einem Abstecher durch die Rastenbachklamm. Gemütlich ging es zunächst dahin. Nach ca. 4km erreichten wir den Einstieg in die Klamm. Geübt in Berganpassagen erklommen wir den höchsten Punkt der Klamm. Entlang des munter murmelnden Rastenbachs, vorbei an stürzenden Fällen und über gurgelnde Strudel kletterten wir talwärts. Es gab immer wieder Gelegenheiten uns in den eisblauen Fluten des Rastenbach abzukühlen. Weniger von der Hitze als von der Anstrengung. Wie ein Damoklesschwert hing der Rückweg über uns. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die prognostizierten 500 Höhenmeter wollten noch erklommen sein. Und so kam was kommen musste. Der Aufstieg zurück zum Wanderrundweg entpuppte sich als nah der Steigeisengrenze. Wer auch immer diesen Weg als „mittelschwer“ eingestuft hat, muss mit einer Gämse verwand sein. Natürlich war es für mich, als geborener Steinbock, keine ernsthafte Herausforderung. Versteht sich von selbst. Eine derartige sollte jedoch noch auf mich warten. Angelangt an einem Punkt, an dem ein geordneter Weg zurück sinnvoll wäre, erblickte ich in einem Steilstück voller Tücken oben, in und durch Baumwipfel, eine Hängebrücke. Augenblicklich stellte sich meine gesamte Restbehaarung senkrecht wie die Eiger-Nordwand vom Körper ab. Trotz bekennendem, praktizierendem Atheismus bat ich um Beistand, dass diese Kelch in Gestalt einer Hängebrücke an mir vorbei geht. Es war offensichtlich die Rache des Angeflehten, die mein Bitten ins Leere  laufen ließ und ich stand, mit vollen Hosen, am Rande des Wahnsinns. Es waren die schrecklichsten Meter meines Daseins und ich möchte aus verständlichen Gründen nicht detailliert darauf eingehen. Eingegangen bin ich nicht, aber! Harmonisch verbrachten wir den Abend bei Speis und Trank und schwärmten von unseren glorreich überstandenen Abenteuern.

Über diverse wunderschöne Pässe schipperten wir zurück zu unseren verdorrten Pflanzen. Eine gute Woche voller neuer Erlebnisse und Abenteuer. Jetzt warten die Läden der Terrassentüren auf meine Schwarzmalerei.

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