Der Berg ruft – laut Dieter Hildebrand ruft er ja nicht mehr, er kommt selbst! Ja, wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und wer meine Reiseerlebnisse aufmerksam verfolgt, der weiß, dass es generell immer absolut merk-würdige Begebenheiten und lustige Interpretationen zu berichten gibt. Mit Südtirol beenden wir die Reisesaison 2019.
Perfektes Wetter, mit Bock auf echten Cabriogenuss zur Anreise über Davos (da, wo`s teuer ist!) nach Völlan (oberhalb von Meran). Wandern war angesagt. Die Waalwege bieten Postkartenpanorama und jede Menge Gleichgesinnter. Am Tag 1 stand der Marlinger-Waalweg zum Abarbeiten auf der Liste. Zwölf Kilometer, mittelschwer, von Töll nach Lana. Soweit, so gut. Da es kein Rundweg ist, wählten wir den Öffentlichen Nahverkehr, der uns unmittelbar zum Einstieg bringen sollte. Dass wir bei dem Traumwetter nicht die einzigen waren, die die Natur genießen wollten, war uns irgendwie schon bewusst. Aber nicht in ihrer brutalen Gänze.
Mit einem 22 Personen Büslein ging es von Völlan nach Lana. Problemlos! Sofort Anschluss an die Linie 211 nach Meran. Irgendwie ist es uns unter Einsatz aller Ellenbogen dann doch gelungen einen Stehplatz zu ergattern, der uns halbwegs Halt bot. Obwohl, umfallen konnte eh keiner. Einer und Alle! Es folgten unzählige Haltestellen mit weiteren erwartungsvollen Wanderern. Wie es auch immer möglich war, auch für diese Sportskameraden noch einen Platz zu erpressen, ist der jahrelangen Erfahrung des Busfahrers zu verdanken. In jeder noch so kleinen Kurve ging ein gar jämmerliches Stöhnen und Raunen durch den Bus, welches nur noch in Kreisverkehren zu toppen war und in leichte Panik ausuferte.
Nach gefühlt hunderten von Kreisverkehren und etlichen Spontanbremsungen erreichten die Überlebenden Meran und schwappten, einem Zunami gleich, aus dem Bus. Hier sollte sich die Spreu vom Weizen trennen. Sollte! Fakt war, einige entschieden sich zum Shoppen, das Gros wartete auf den Anschlußbus nach Töll. Leider gesellten sich deutlich mehr Naturfreunde hinzu, als Kauffreudige in Richtung Fußgängerzone entfleuchten. Strategisch bestens positioniert wurden wir in die Linie 214 gepresst. Ölsardinen dagegen fristen in ihren Dosen ein überaus bequemes, komfortables Dasein. Erste Schnappatmungen stellten sich bereits beim Verlassen der Haltestelle ein, begleitet von Schweißausbrüchen und Panikattacken. An den folgenden Haltestellen brauste der Überfüllte an den enttäuschten Massen vorbei der Erlösung entgegen. Am Zielort warteten bereits Notärzte und Sauerstoffzelte.
Wenn ihr es nicht weitererzählt….wir haben die letzte Buspassage nicht bezahlt! Genauer nicht bezahlen können. Der gute Wille war auf jeden Fall da! Allerdings waren wir bei weitem nicht die einzigen. Das beruhigte unser Gewissen ungemein.
Die Wanderung verlief ordentlich, der Beschreibung in den kostenlosen Reisführern entsprechend. Durch die sehr hohe Wanderverkehrsdichte war unsere volle Aufmerksamkeit gefordert, um nicht mit den Entgegenkommenden zu kollidieren, bzw. die Überholvorgänge der Fuß- und Geschlechtskranken unfall- und absturzfrei zu überleben. Auf einigen freien Passagen war es gefahrlos möglich, unsere Blicke über die pralle Gegend schweifen zu lassen. Auch diese stimmte mit den lobenden Beschreibungen voll überein.
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Auch derselbe hielt eine Begebenheit der besonderen Art für uns parat. Südtirol ist nicht nur für seine Landschaft beliebt, sondern besonders auch dafür, was Küche und Keller zu bieten haben. Letzteres hat bei allen Gästen eine sehr hohe Priorität. Am Nachbartisch hatte die Hotelleitung ein Pärchen platziert, das weder wanderte, noch den ausgezeichneten Weinen frönte. Begleitet wurde das fünfgängige Menü mit einem Viertelchen Rotwein. Für Beide! Hier bestand akute Gefahr, dass er vor Beendigung des letzten Ganges verdunstete.
Der folgende Tag hielt eine Begegnung der absurden Art für uns bereit. Die Wetterfrösche hatten für den Nachmittag ein paar Tröpfchen vorhergesagt. Unsere Entscheidung eine Wanderpause einzulegen und dafür die Shoppingmeile heimzusuchen erwies sich als eigentlich genial. Als ein Wermutstropfen erwies sich der Umstand, dass sich offensichtlich alle Wanderer des Vortages ebenfalls für eine Atempause entschieden hatten und die Fußgängerzone füllte sich wie tags zuvor die Waalwege. Die Preise in den tollen Geschäften waren der Höhenlage durchaus angepasst, trotzdem sah man ebenso viele Tütchen wie Rucksäcke am Vortag. Die Einkaufsmeile säumen diverse Cafés, die zum Verweilen und Betrachten des schlendernden Publikums einluden. Als die ersten Tröpfchen fielen, war der Bedarf an freien überdachten Plätzen exorbitant.
Das Schicksal wollte es, dass wir ein optimales Plätzchen ergatterten. Direkt daneben saß ein älteres Paar, offensichtlich gut situiert, passend zu Meran. „Wir haben die Plätze extra für sie freigehalten“, so wurden wir freundlich begrüßt und schwups waren wir im Gespräch. Gerlinde* und Manfred* hatten bereits ein paar Viertele genossen und waren entsprechend in allerbester Stimmung. Er, Manfred, ein ruhiger, sympathischer, angenehmer Ruheständler, sie Gerlinde, laut, schrill, schräg und mit ausgeprägtem schwäbischem Dialekt, den sie erfolglos zu verbergen suchte. Nach den ersten Floskeln, woher, wohin, präsentierte Gerlinde eine ihrer elf Louis Vuitton Handtaschen, nebst abgestimmten Portemonnaie, ihre Rolex sowie den Schal von Burlington. Ohne ihren Mann Manfred hätte sie es sich alles nie leisten können. Umso erstaunlicher war es, wie sie mit dem Angetrauten umsprang. Der Ärmste (nicht monetär) erduldete die Blossstellungen geduldig ohne jegliche Regung. Beim Nachschenken eines weiteren Viertels forderte er sie auf ihm behilflich zu sein, da er ein wenig zittere. Ob vor Wut oder bedingt durch eine Krankheit konnten wir nicht eroieren. Wäre aber nachvollziehbar!
Mit zunehmendem Promillewert nahmen auch die vulgären schwäbischen Ausdrücke an Intensität zu. Ein Bummler zwischen den Geschäften brüllte einen Hundehalter an, weil dieser seinen Köter nicht am permanenten Kläffen hinderte. Gerlinde wiederum kläffte den Bummler ordinär über die gesamte Flaniermeile hinweg an, weil sie als selbsternannte Hundemuttertheresa dem armen Köter zur Seite eilte. Also verbal natürlich nur!
Der Regen ließ nach, das Straßencafé wollte schließen, die Weinschlepper sehnten sich nach einer Mittagsruhe, uns wurde zum baldigen Aufbruch noch eine Karenzzeit von 15 Minuten gewährt. Auch diese Aufforderung wurde mit allerlei schwäbischen Beschimpfungen begleitet, wie Säckel, Dackel etc. Kurz vor dem finalen, peinlichen Abgang litt Manfred unter akuten Notdurftattacken. Er bestand darauf, vor dem Heimweg noch die Örtlichkeiten aufsuchen zu dürfen, was ihm die Ruhebedürftigen auch nicht verweigerten. Wir warteten eine gefühlte Ewigkeit auf den Erlösten. Im allgemeinen Tumult auf der Einkaufsmeile hörten wir plötzlich Hilferufe, die offensichtlich aus Richtung des WC drangen und ursächlich von Manfred gerufen wurden. Gleichzeitig bemerkten wir eine Hand durch eine stabile Gittertür verzweifelt winken. Was war geschehen? Die Betreiber des Cafés hatten ungeduldig die Tür zum Nirwana verriegelt. Manfred war gefangen! Gerlinde tobte! Der Erlöser erschien als zufällig vorbeikommender Hausmitbewohner. Dieser deutete auf einen zentralen Druckschalter, dessen Funktion es war, das verriegelte, stabile Türgitter elektrisch zu entriegeln. Die Verabschiedung war knapp aber herzlich und Gerlinde und Manfred torkelten in Richtung Bushaltestelle. Ich mochte mir nicht vorstellen, welche Dramen sich in einem überfüllten Bus abspielen werden würden. In der Fußgängerzone wurde es deutlich ruhiger und das normale Treiben ging seinen gewohnten Gang.
Die Wanderung am Folgetag, bei wolkenfreiem, azurblauem Himmel versöhnte uns mit einem Ereignis der ganz anderen Art. Der ausgewählte Waalweg genügte unseren Ansprüchen keineswegs und wir entschieden uns für einen Abstecher den Berg hinauf entlang der Höfe. Die Zahl der Outdoorsportler reduzierte sich mit jedem Höhenmeter drastisch. Der Zufall wollte es, dass wir mit einem gleichgesinnten Paar ins Gerede kamen, die das gleiche Ziel anstrebten. Sie schwärmten von einem kleinen Hof mit Wirtschaft, in dem ausgezeichnete, selbstgemachte Speisen kredenzt wurden. Wir schlossen uns den Ortskundigen an und wurden aufs angenehmste überrascht. Hühner, Enten und Gänse liefen umher, die Wirtsleute versprühten eine Ruhe und Zufriedenheit, die ansteckend wirkte. Besorgnis gab es ob des Esels, der ein wenig kränkelte und alle litten mit den Pflegern mit. Wir wünschen ihm baldige Genesung! Wir ließen uns den selbstgemachten Apfelsaft munden und der Kaiserschmarrn war einfach zum Niederknien, nebst selbstgekochter Marmelade. Fulminanter konnte der Unterschied zum Vortag nicht sein. Leider mussten wir diesen Ort der Glückseligkeit irgendwann wieder verlassen – das Abendmenü rief.
Abends an der Hotelbar kamen wir noch mit zwei Pärchen ins Gespräch, die schon seit Jahren die Gastfreundschaft genossen und mehr oder weniger zur Familie zählten. Das Highlight dieser treuen Kunden vertraute man uns nach ein paar
Bierchen zur vorgerückten Stunde vertraulich an. Am Wochenende findet traditionell das Käschdefescht (Kastanienfest) statt. Vor ein paar Jahren hatte das Paar aus dem Raum FfM zusammen mit der örtlichen Feuerwehr eine neue Spezialität eingeführt. Um die heimische Bevölkerung auch in diesem Jahr damit beglücken zu können, haben die Rheinhessen 40 (vierzig!) Kilo Saumagen mitgebracht. Na dann Mahlzeit!
Bleibt das Fazit eines abwechslungsreichen Urlaubs: Die Tiroler sind lustig. Die Südtiroler auch!
*Die Namen hat der Redakteur aus Datenschutzgründen geändert.
Neueste Kommentare