scharfsinnig - unsinnig - kurzweilig

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Walhalla

Zu meinem Zyklus „Ich, OWL* und das wahre Leben!“ möchte ich heute eine weitere heitere Episode hinzufügen. Die Protagonisten hatten die 68er schadlos überstanden und stellten sich tapfer den neuen Herausforderungen des Lebens. Und Walhalla, ein gerne besuchtes Ausflugslokal in der Nähe von Bad Salzuflen. Es war, neben dem bereits beschriebenen Hotel Twachtmann, ein zweiter Zufluchtsort zur aktiven Entspannung unseres kurzweiligen Alltags. Soweit der Prolog.

Zum Entsetzen meiner Eltern und meiner Leber startete ich nach erfolgreichem Erwerb der Hochschulreife meine Karriere in einer Werbeagentur. In einer Zeit, in der Werbung noch Reklame genannt wurde und das Image nicht auf den vordersten Rängen der seriösen Berufe rangierte. Im Nachhinein kann ich diese Einstufung nachvollziehen. Als Kreativdirektor der Agentur heuerte mich Barni (ebenfalls bereits bekannt aus „Hotel Twachtmann“), während eines ausufernden Frühschoppens in vorgenanntem Hotel Twachtmann, als Volontär an. Für Kreative war es Usus, in einer prachtvollen Villa aus der Gründerzeit zu residieren. Und in einer solchen sollte ich nun das Handwerk des Werbers von der Pike auf erlernen. Es sollte mein weiteres Leben maßgeblich prägen, wenn auch die „Lehrjahre“ nicht wirklich koordiniert bzw. ergebnisorientiert gestaltet wurden. Immerhin hatte Barni aber meine Talente entdeckt und gefördert, die schlummernde Kreativität in mir wachgeküsst.

Eine der konsequent beherzigten Regelmäßigkeiten war das ausgiebige Feiern des Bergfestes. Will heißen, pünktlich jeden Mittwoch um 12:00 Uhr begannen die wöchentlichen Feierlichkeiten. Der harte Kern der Traditionalisten Barni, seine Frau Petrilein, der freie Graphiker Klaus, meine Wenigkeit sowie Kinski, der Agentur-Basset. Suchtartig zog es uns in das nahegelegene China-Restaurant „Zum goldenen Drachen“ (oder ähnlich), in dem es noch kein „All you can eat –Buffet“ gab. Wer dazumal zum Chinesen essen ging, der zählte schon zur kreativen Avantgarde. Der Volksmund hingegen munkelte, man würde Hund, Katze und Maus serviert bekommen. Oder gar Schlimmeres! Die Intoleranzen gegen Laktose, Glutamin und Co. waren noch nicht erfunden und Veganer gaben sich noch ausgiebig der Fleischeslust hin und es gab kein Thai-Curry-Grünkohl mit Tofu-Würstchen. Das reichhaltige Speisenangebot interessierte uns eigentlich nicht wirklich. Es gab nur einen einzigen Grund warum wir jeden Mittwoch den Drachen heimsuchten: Die Speisen Nr. 18 + 88! Die 18, als Vorspeise, „WanTan Suppe“, die 88 „Weisses Huhn mit Gemüse, Pappreis und Soße süss/sauer“. Letztere konnte man auf der Rückseite eines Löffels löffeln, da der Glutaminanteil derart dominant war, dass die Soße süss/sauer wie der schwere Samtvorhang am Portal schlaff über dem Besteckrücken herabhing und am Stück zu verzehren war. Nicht, dass dieses Gericht sich zu kulinarischen Höhen aufschwang, nein, es war die Tatsache, dass die Bedienungen

sich äußerst dämlich mit der Aussprache der 8 anstellten. Die Bestätigung unserer Bestellung hörte sich demzufolge folgendermaßen an: „aaaaaaaaaghtzen (18) und aaaaaaaaaaaaaaaaghtunaaaaaaaaaaaahgtzig (88). Ich warne jeden Leser eindringlich sich an einen Eigenversuch zu wagen!

Allein diese Sekunden waren es uns wert, WanTanSuppe und Weisses Huhn zu unseren absoluten Favoriten zu erklären. Woche für Woche. Selbstverständlich bestellte jeder für sich. Außer Kinski natürlich! Und jedes Mal wieder freuten wir uns diebisch, denn die Prozedere wiederholte sich beim Servieren und Bezahlen abermals. Das Bergfest war gerettet!

Voller Freude und Glutaminsoße, nebst einiger Gläschen Reiswein folgte, was folgen musste – die Einkehr in der Walhalla. Das Schicksal wollte es, dass Klaus mit der Wirtstochter der Walhalla, Ingrid, leiert war. Ganz zu ihrem Leidwesen, war sie von ihren Eltern als legitime Nachfolgerin erkoren, worüber sich ihre Begeisterung in übersichtlichen Grenzen hielt. Wir profitierten allerdings von der Liaison mit Klaus, denn mittwochs war mit unglaublicher Zuverlässigkeit der schattigste, beste Tisch auf der Terrasse für uns reserviert. Doch damit nicht genug. An der Fusssohle der kurvenreichen Auffahrt genügte ein kurzes Hupzeichen, um an unserem Stammtisch ein kühles Pilsken, sowie ein wohlverdientes Verdauungsschnäpschen anzutreffen. Der Einstieg in einen bunten Nachmittag war damit gesichert. Die Villa aus der Gründerzeit blieb regelmäßig unbevölkert. Da es weder Internet, Handy noch Rufumleitung gab, konnten wir uns ungestört dem kreativen Bergfest hingeben.

Mit zunehmendem Promillewert erweiterte sich auch unser Horizont und die spontanen Ideen steigerten sich, denn schließlich deklarierten wir die Aufenthalte während der offiziellen Arbeitszeit in Walhallas Biergarten als konstruktiven Gedankenaustausch (heute Brainstorming). Und alsbald wähnten wir uns auch in der nordischen Mythologie, im Götterpalast angekommen, dem Ruheort für tapfere, gefallene Kämpfer, den sogenannten Einherjer. Das „Gefallen“ interpretierten wir mit „Gefallen finden“ frei- und großzügig zu unseren Gunsten. Am Ende des arbeitsreichen Tages checkte Klaus bei Ingrid ein, Petrilein chauffierte Barni, mich und Kinski heim zu sich, wo wir die Wartezeit auf meine Frau, die mich abholte, mit einem Scheidebecher (badisch bekannt als Fluchtächtele) sinnvoll verkürzten. Eine deckungsgleiche Kopie erfolgte konsequent, konstant jeden Mittwoch – das nennt man ostwestfälische Tradition.

Epilog: Das Ausflugslokal Walhalla existiert heute leider nicht mehr. Ebenso die Werbeagentur. Ob es den „Goldenen Drachen“ noch gibt ist nicht überliefert. Und ob die Bedienungen sich mit der Aussprache der 8 immer noch eine Stimmbandzerrung zuziehen ebenfalls. Die legendären Speisen 18 + 88 sind sicher immer noch unverzichtbare Bereicherung asiatischer Gastronomie. Sicher ist ebenfalls, dass reichlich Glutamin die Soße süß/sauer schwängert.

*Kleine geographische und histerische Exkursion.

Mich erreichen immer wieder von Ortsunkundigen die Fragen: „ Was ist oder wo liegt OWL?“ OWL ist die amtliche Abkürzung für die Region „Ostwestfalen-Lippe“. Sie ist wie folgt zu verorten: Sicher kennt jeder den Nabel der Welt! Und gleich daneben, quasi nur eine Handbreite entfernt, da liegt OWL! Also genau da, wo uns dereinst Arminius heldenhaft von den Römern befreite. Genau da, wo Arminia Bielefeld auch diese Saison wieder erfolgreich in der ersten Bundesliga stürmt. Die Chinesen haben das Schiesspulver erfunden. Das Backpulver kreierte Dr. Oetker aus OWL! Und die TK-Pizza. Das Rezept haben die Römer auf ihrer schmachvollen Flucht einfach liegenlassen. Es gibt tatsächlich Bielefeld, die Stadt, die es eigentlich nicht gibt, und das real existierende Herford, incl. dem Modehaus Klingenthal (siehe auch die Episoden 1 + 2: „Hotel Twachtmann“ sowie „Der fliegende Frisör“). Soweit, so gut.

Arm dran!

Die Physionomie meines Körpers ist eher für die Kopf- denn für die Handarbeit prädestiniert. Doch wer in ein neues Zuhause zieht, dem bleibt ein Schrauben und Schaufeln und was weiß ich denn noch, einfach nicht erspart. Und so kam, was kommen musste, mein Schraubarm stieß schnell an seine körperlichen Grenzen und reagierte mit einem stechenden Schmerz. Auch mein ehernes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte – was von alleine kommt, geht auch wieder von alleine – versagte jämmerlich. Ergo, die Konsultation meines Hausarztes war von Nöten.

Problem erkannt, ein Rezept fürs Sanitätshaus versprach alsbaldige Genesung. Mein letzter Besuch eines Sanitätshauses lag offensichtlich Jahrzehnte zurück, in einer Zeit, in der noch keine Einsen und Nullen unser Leben terrorisierte. Heute sind es überwiegend die Nullen, die die Speicherkapazitäten der Computer bis zum Bersten vollstopfen. Allerdings ist es immer noch ein weiter Weg, von konventionellen Formularen, nebst Durchschlägen mit Datum und Unterschriften. Denn allein die notwendigen Unterschriften trugen nicht wirklich zur raschen Genesung bei.

Nachdem das Formularwesen bedient war, wurde eine orthopädische Bandage zum Verzurren angepasst. In dezentem Anthrazit, mit pinken Applikationen aus atmungsaktivem Funktionsmaterial, sowie Klettverschluss. Nachdem die ordnungsgemäße Anprobe ordnungsgemäß dokumentiert und meinerseits ordnungsgemäß beglaubigt war, wurde die detaillierte Datensammlung von den Formularen fehlerfrei in den PC eingepflegt. Das Gesundheitskärtchen diente zur  digitalen Übermittlung meiner Stammdaten. Hier konnte kostspielige Zeit wieder gutgemacht werden.

Mein Obolus beschränkte sich auf 5,46 € und ich wurde mit guten Wünschen zum Wochenende und zur Besserung in den analogen Alltag entlassen. Sicher wird mein finanzieller Beitrag entscheidend dazu beitragen, dass die Mitarbeiter der Krankenkasse zwar umsonst aber nicht kostenlos arbeiten müssen.

Was will man Meer?

Meer Wein! Meer Liebe! Meer Cashmere! Das Motto in der Buhne 16 auf Sylt sagt ja nun wirklich alles! Ergänzend weist die Bedienung darauf hin, dass „Trinken hilft!“

Doch zuerst muss ich euch noch von der Anreise erzählen: Dem Tag in Hamburg. Anstelle eines Schaufensterbummels erfreuten wir uns an diversen Demos. Es begann mit einer Handvoll Kümmerlinge die pro oder anti den Iran (war nicht zu erkennen!) ein sparsames Fähnlein ausgerollt hatten. Vor dem Rathaus dann sind so  an die hundert überwiegend (nicht körperlich gemeint!) Damen aufmarschiert, die jede eine Pappe oder in Gruppen ein Bettlaken hochhielten, um schweigend für die Fütterung von Tauben zu demonstrieren. Diese hätten es in der Coronakrise ja besonders schwer. Es mangelt an rumfliegenden Essensresten und damit am natürlichen Fortbestand der Ratten der Lüfte. Dazu verweigere ich jegliche weitere Meinung!!!

Bevor wir das Grüppchen einer offensichtlich verwirrten Schar anonymer Wasweissichdenn passierten, die auf ihrem Poster „Flugzeuge statt Drohnen“ forderten, befanden wir uns unversehens in der Großdemo der Corona-Leugner. Gespickt mit unverbesserlichen Verschwörungstheoretiker und anderem Gesocks. Flankiert wurde die Meute(n) von aufgerüsteten, panzergleichen Polizeigarden. Dass ich das auch noch erleben durfte!

Da ich mich bereits aus diversen Urlauben über die Insel Sylt tiefsinnig ausgelassen habe, möchte ich dieses Mal von ein paar Insel-Gesprächs-Fetzen berichten. Vorweg sei gesagt, die meisten Besucher sind stinknormale Urlauber. Es gibt allerdings auch echten Geldadel und leider auch Möchtegerne und noch schlimmer neureiche Proleten.

Bei einem Abendessen im Dorfkrug in Kampen saßen zwei hoch-karätige Damen neben uns. Ihre Hunde hatten sie mitgebracht. Also, die Hunde die Damen! Denn man / Frau trägt wieder Hund. Besonders besondere Rassen. Als ein weiterer Hundling mit seinem Frauchen das Lokal betrat, bemerkte ich die aufkommende Unruhe der beiden Platzhirschinnen. Es tat sich etwas Ernstes im Revier! Der Neuankömmling, ein Rüde, trug ein mit Perlen besticktes Halsband! Augenblicklich nahmen die Hundestaffeln Kontakt auf. Woher stammt dieses Halsband? Fotos wurden geschossen, Telefonnummern getauscht, Links angehängt und Preise genannt. Gar nicht so teuer, wenn man bedenkt, dass es maßgerecht und handgefertigt ist. Von dem Geld könnte eine normale Familie gut eine Woche in Saus und Braus leben. Das Essen war inzwischen kalt!

Bei dem Genuss eines Sundowners gesellten sich vier Düsseldorfer Neureiche zu uns an den Tisch. Lauthals proleteten sie herum, dass es 14.000€ gekostet hätte, um ein Privatjet zu chartern, das sie nach Sardinien geflogen hat. So hätten sie die Hochzeit ihrer Enkelin noch rechtzeitig erreicht! Wir haben ganz spontan bezahlt und auf einen weiteren Drink verzichtet. Oder hätte womöglich meer „Alkohol geholfen“?

In selbiger Bar, nur einen Tag später, das Kontrastprogramm. Vier wahrscheinlich Vermögende gesellten sich ebenfalls an unseren Tisch. Zufall! Gedämpft und rücksichtsvoll berichteten sich die beiden Paare, die sich offensichtlich gerade erst getroffen hatten, aber gut bekannt waren, von ihren Bauvorhaben. Das eine Paar von ihrem neuen Haus auf Sylt, das andere von der ETW, die sie gerade gekauft hatten. Den Wert der Wohnung erarbeitet ein Normalo nicht in seinem Leben. Was das Haus plus Grund und Boden gekostet hatte, konnte ich nicht erlauschen. Andererseits verdient (bekommt) Messi das in einer Woche. Alles ist relativ. „Trinken hilft!“

Noch ein Wort zur Kleidung. Diese spielt auf Sylt ebenfalls eine wichtige Rolle! Neben der Anzahl der Zylinder und des Hubraums. Entgegen aller Regeln, dass man sich so gut und teuer wie möglich voneinander abkleidet (Meer Cashmere), entpuppte sich ein Strandkleidchen. Ja, Frau trägt nicht nur Hund! Hier konnte man die Massenhysterie und den Rudelwahn bewundern. Das Dekor des Objektes ähnelte den Ornamenten von Florentiner Kacheln, oder Küchenhandtüchern aus Uromas Zeiten. Allerdings in bunter Farbvielfalt – aber ansonsten tupfengleich! Der Schnitt hatte etwas von einem Kartoffelsack, der sich nach unten trichterförmig öffnet. Unterteilt in drei Etagen. Als ob der Stoff nur in den schmalen Bahnen für Küchenhandtücher gefertigt worden wäre, reihte sich eine Bahn an die andere. Ohne auf Passgenauigkeit oder gar Harmonie der Motive Rücksicht zu nehmen. So gewandet flanierten die Haute Couture-Süchtigen durch Stadt und Strand. In mir brach ein Weltbild zusammen! Sackleinen statt Cashmere! Obwohl, die Belüftung der intimen Zonen an heißen Tagen sicher für allerlei Erfrischung durch die Meeresbrise gesorgt hat. Wohlergehen vor Wohlstandsgehabe. Geht doch!

Belle de T(j)our.

Neue Woche, neues Glück! Eine weitere schöne Tour! Nach der alpinen Etappe ins Schuttertal letzte Woche, ging, genauer führte die gemeinsame Fahrt durch die Ebene. Nicht, wie man meinen könnte in Holland, vorbei an den drei Großen Ts: Tulpen, Tomaten, Tilsiter, nein, sondern durch die Alleen der Monokulturen der Maisfelder im Elsass. Es war ein perfekter Tag, am absoluten astronomischen Maximum der Sonnenstrahlung. Aber starten wir am Beginn.

Pünktlich auf die Minute, diesmal wieder mit Helm, eingenordetem Navi und perfekt gestylt, fuhr Schorschi auf den Hof. Von Kopf bis Fuß harmonisch und haarmodisch im Einklang mit dem strahlenden Weiß seines Campers. Weißes Rad, weiße Packtasche, blütenweißes, atmungsaktives T-Shirt, weiße (RAL 9010), climacoole Socken, mit gesticktem Monogramm, auf dem linken ein „L“, auf dem rechten ein „R“. Diese steckten in geländegängigen Sportsandalen. Als Krönung: schlohweißes Haar. Behände war auch mein Rad routiniert versorgt. Wir konnten starten, der Tag war noch relativ jungfräulich.

Ausgangsziel war Neu Breisach. Mitten auf dem Marktplatz, einem kostenfreier Parkplatz. Ein eifriger Gemeindekalfaktor blockierte die Zufahrt, um verdorrten Pflanzen die letzte Wässerung angedeihen zu lassen. Wir umrundeten den Markt-, Parkplatz noch einmal in einer Warteschleife und blockierten dann ungeduldig die Zufahrt zur Zufahrt, bis die Flutung der Blumentröge abgeschlossen war. Ein Hupkonzert der Eingeborenen veranlasste den Sprengmeister ein wenig schneller sein Tagwerk zu verrichten.

Ansonsten war Neu Breisach menschen- als auch touristenleer. Die historischen Wehranlagen hatten offensichtlich den Besucherströmen standgehalten. Es gab keinerlei Anzeichen von Brandschatzungen, Vergewaltigungen oder Parksündern. Drei Flics lümmelten gelangweilt im Schatten. Es war nicht zu erkennen, auf wen oder was sie harrten. Die Räder waren flugs entsorgt, Schorschi vergewisserte sich noch einmal gewissenhaft über die Funktionsfähigkeit des Navis, prüfte den Reifendruck, Bremsanlage und Beleuchtung, sowie den aktuellen Börsenkurs für Kettenöl auf „Kettenöl24“. Gerade als wir in Richtung Colmar aufbrechen wollten, sprach uns eine Frau mittlerer Altersklasse, aber höherer Gewichtklasse, an und erkundigte sich nach der Zufriedenheit mit dem Campers. Bereitwillig gab Schorschi Auskunft. Als Gegenleistung entlockten wir, der offensichtlich ortskundigen Fragenden, den besten Einstieg in die minutiös geplante Tour. Sie teilte uns darüber hinaus noch ungefragt mit, dass ihr E-Bike zur Inspektion sei. Womöglich hätte sie sich sonst uns noch anschließen wollen. Mann muss halt Glück haben!

Entgegen des Rates der radlosen Radlerin bestand unser Guide darauf dem Navi Folge zu leisten. Nachdem wir allerdings glücklich wieder auf dem Marktplatz zurück waren, stellte sich heraus, dass wahrscheinlich ein winziger Tippfehler uns innerhalb der Stadtmauern, entgegen dem Uhrzeigersinn und der erlaubten Fahrtrichtung, unbemerkt von den gelangweilten Flics, im Kreise kreisen ließ. Durch eine nadelöhrgrosse Bresche verließen wir die Feste gen Colmar. Wir durchquerten rasant Appenwihr, weder verwandt noch verschwägert mit unserem badischen Appenweier, nach Sundhoffen. Das Navi leitete uns kreuz und quer durch die Gemeinde. Stutzig machte mich, dass wir uns unversehens auf der „Rue de Appenwihr“ befanden. Ich intervenierte, doch Schorschi vertraute seinem Navi. Es war eindeutig ein Fehler! Gegen all meine Erfahrung als Westmann (Ost-Westfale!). Als wir etliche Kilometer später wieder Appenwihr in entgegengesetzter Richtung zum wiederholten Male durchquerten, erkannte Schorschi, dass sein Navi wohl wieder ein Eigenleben entwickelt hatte. Der Vorteil war, wir kannten jetzt die Strecke. Bis ins Zentrum nach Colmar mussten wir leider unseren Radweg mit diversen P- und LKWs teilen, sodass wir nur aufgereiht wie die Erpel dahinradeln konnten.

Mit Hunger und Durst im Gepäck, sowie mit Wissenshunger und -durst nach den Sehenswürdigkeiten der Altstadt, schauten wir uns nach einem sicheren Standplatz für unsere Velos um. Einige zum „U“ geformten Chromstahlrohre signalisierten, dass sie sowohl von Radlern, als auch von Hunden regelmäßig heimgesucht wurden. Nein, die Hunde nicht zum Abstellen ihrer Räder! Per Pedes gingen wir auf Entdeckungsreise, durch die Altstadt, durch die Markthalle bis ins „Kleine Venedig“. Irgendwo im Getümmel der Urlauber ergatterten wir ein schattiges Plätzchen mit allerbestem Blick auf die vorbeitrollende Menge. Das Panache war perfekt, der Flammkuchen war ebenso hauchdünn wie belegt. Wir hätten ihn zusammengerollt mit ein – zwei Bissen problem- und geräuschlos verschlingen können. Die Alternative wäre Schweinebauch, Würstchen und Sauerkraut gewesen. Na dann Prost, Mahlzeit!

Mit quasi leerem Bauch und Portemonnaie machten wir uns schließlich auf die Suche nach einer Eisbude. Der Franzose an sich, und der Elsässer im Speziellen, sind wohl eher ausgewiesene Eisverweigerer. Deshalb dauerte es diverse Gassen und Sträßchen, bis wir eine Eisbude unseres Vertrauens entdeckt hatten. Zwei € die Kugel, zwei Kugeln 3,90€. Wir haben nicht weiter recherchiert, bei welcher Anzahl von Kugeln wir den bundesdeutschen Kugelpreis erreicht hätten.

Obwohl ich für das Wiederauffinden unserer Räder im Vorfeld bereits ein bis zwei Stunden kalkuliert hatte, schafften wir es deutlich innerhalb kürzerer Zeit. Dabei muss ich gestehen, dass mir der direkte Weg doch ein wenig aus dem Kompass geraten war. Schließlich wusste sich Schorschi zu erinnern, dass eine zu Stein erstarrte, bis zur Unkenntlichkeit geschminkte Strassenkünstlerin uns den richtigen Weg zeigen würde. So sie denn nicht ihre Position signifikant, dank üppiger Spenden, geändert hätte. Ihr Hut war, Touristen sei Dank, noch spärlich bemünzt.

Die Rückfahrt, immer entlang am Rhein-Rhone-Kanal, verlief streckenweise im Schatten. Ohne P- und LKWs aber mit sehr entgegenkommenden Horden von radelnden Familien und anderen Aktivisten. Zurück auf dem kostenfreien Marktplatz zeigte sich, dass es sich gelohnt hatte, den Verlauf der Sonne voraus zu berechnen und in der Konsequenz, am Nachmittag, einen schattigen Parkplatz zu erhaschen. Den einzigen Schatten weit und breit warf jedoch unser Camper. Das astronomische Maximum hatte seine volle Wirkung entfaltet und wir suchten kühlende Zuflucht in einer Confiserie, für deren Gebäck sie weit über die Grenzen des kostenfreien Parkplatzes hinaus berühmt war. Mit einem Tässchen Kaffee und einem Stückchen Kuchen beendeten wir die Belle de Tour. Der Kuchen konnte übrigens mit seinem vorauseilenden Ruhm nicht schritthalten! Die mittelalterliche Frau vom Morgen ist wohl bei anderen Camper-Besitzern heimisch geworden. Und ob ihr E-Bike wieder flott war? Wir wissen es nicht!

Noch eine ganz kniffelige Quizfrage: Warum steigen nahezu alle Radfahrer generell von der linken Seite auf und ab? Richtig! Weil sich dort der Ständer befindet!

Résumé: 56,7 Km / 2,45 Std. schiere Fahrzeit / Durchschnitt 20,6 Km/Std. Voila!

Alternativlos

Es ist mal wieder an der Zeit, ein paar Worte über eine unserer Radtouren zu verschwenden. Nachdem uns das Virus ja eine längere Ausfahrt vergrault hat, müssen wir uns, wohl oder übel, mit Tagesetappen zufriedengeben. Eigentlich lief uns das Wasser bereits im Munde zusammen, wenn wir nur an den Plan dachten, das Königreich Belgien zu erradeln. Dicke Pommes und fette Majo, edle Confiserien und kühle Bierchen. Ja, aber! Und wo sind wir gelandet? In der Rheinebene und heute, am 21.07., im Schuttertal. Allerdings nur die Hälfte der Distance bergauf. Wenn auch äußerst gemäßigt. Der Eco-Gang hin und wieder reichte bei mir locker aus. Bei mir! Mehr muss ich ja wohl dazu nicht schreiben.

Wie immer gesellen sich die ersten größeren Probleme gleich vor dem Start zu uns. Der Fahrradständer am Camper war für so hypermoderne Räder, wie das meinige, nicht geeignet. Die Sicherungstaschen für die Reifen zu schmal, die Halterung für das gesamte Rad unbrauchbar, die Bänder zum Verzurren zu kurz. Ordinäre Gurte aus dem unerschöpflichen Repertoire meiner Garage lösten dieses Problem. Ein anderes war der Helm. Der vergessene! Ein Ersatz musste her. Selbstverständlich war im Handumdrehen das Schmuckstück aus dem Fundus meiner Frau einsatzbereit. Genauer gesagt, wäre einsatzbereit gewesen, wenn nicht Schorschi die notwendige Verlängerung höchstpersönlich gelöst hätte, um die Schmach des Vergessens vergessen zu machen. Man musste einfach nur den Nippel durch die Lasche ziehen. Als allerdings das Riemchen plötzlich komplett aus der Riemchenklemme rutschte, ahnte ich bereits, dass es eher helmlos in die Berge gehen würde. Eine einfache, leichte, handelsübliche Baseballkappe, mit simpelstem Klettverschluss, unkaputtbar, sorgte dann wenigsten für ausreichende Beschattung auf schneeweißem Haupt.

Da der Tag nun doch etwas in die Zeit gekommen war, wurde die angedachte Tour im Elsass verworfen. Die Anreise, die Aktivierung des Navis etc. hätte sehr wahrscheinlich eine ungewollte Übernachtung mit sich gebracht. Und Schorschi führte sein Babydoll ausnahmsweise nicht in seiner Satteltasche mit. Und so wurde es eben das Schuttertal. Sanft ansteigend, gut ausgeschildert – aber auch generell nicht zum Verfahren geeignet, da Täler in der Regel links und rechts durch Berge begrenzt sind.

Und so glitten wir gen Osten, in Richtung Schweighausen. Es hätte, ja hätte eine Steigerung gegeben. Über den Berg nach Ettenheim. Da der anderen Hälfte unseres Duos die Erhebungen jedoch schier zu mächtig waren, wurde der pure Gedanke daran augenblicklich als nicht durchführbar ad acta gelegt. Bis zur nahen Dorfmitte von Schweighausen musste, allen Bergauffobien zum Trotz, dann doch der ein oder andere Höhenmeter überwunden werden.

Der Dorfladen jedoch bot Erfrischungen und frisch belegte Brötchen. Die Mädels freuten sich derart über uns zwei überaus sympathische Radler, dass sie sich nicht lange bezierzen, um die Terrasse eigens für uns zu öffnen. Wir wurden sogar im SB-Dorfladen, gegen alle Regeln des Dorfladens und der Coronaregeln, gerne bedient! Na dann Prost Mahlzeit!

Auf der Rückfahrt erreichten wir eine Höchstgeschwindigkeit von 58 km/Std.! Ohne zu treten! Die Geschwindigkeit war allerdings weitaus höher als die Strecke weit, die wir zurückgelegt hatten. Und so bedurfte es einer Scheibenbremsung, um unmittelbar vor einer Eisbude in Wittelbach zum Stehen zu kommen. Besagte Eisbude war derart coronamäßig verrammelt, dass drei Bollen Eis in der Waffel nur in absoluter Schräglage durch die Durchreiche gereicht werden konnte. Das Buswartehäuschen gegenüber bot ein lauschiges Schattenplätzchen. Wir konnten hier den Gesprächen der Ureinwohner lauschen. Allerdings haben wir keine wichtigen Neuigkeiten erfahren. Zurück am Camper, der Tag war noch jungfräulich, entschloss ich mich die restliche Heimfahrt per Velo zu vollenden. Mein kongenialer Partner sattelte den Fahrradständer und caravante gen Norden.

Summit: 51,3 km / 2:32 reine Fahrzeit / Schnittgeschwindigkeit 20,2 km/Std. / Topspeed 58 km/Std!

P.S.: Schuttertal war heute, nächste Woche Elsass! Wenn alles gut läuft.

Der fliegende Frisör.

Seit Montag, ausgerechnet einem, für Frisöre heiligen, Montag, hatte die Ethik-Kommission der Bundesregierung die Auflagen in der Corona-Pandemie gelockert und ein Einsehen, Frisöre durften sich wieder über die üppige, seit Wochen unkontrolliert gewucherten Haarpracht der Daheimgebliebenen hermachen. Dank Home Office blieb es bis dato dem Gros der Schutzbefohlenen erspart, mit Hohn und Spott bedacht zu werden. Es sind diese Schlüsselerlebnisse, die Paradigmen hochpoppen lassen, wie Links oder Cookies auf diversen  Internetseiten. Animiert durch diese Bilder will und darf ich euch die folgende Episode natürlich nicht vorenthalten. Ein wahrer Schatz meiner ausgiebig und intensiv genossenen Jugend.

Fabrizio hatte in geobetriebswirtschaftlicher 1A-Lage seine Eisdiele eröffnet. Mit typisch gebrochenem Deutsch/Italienisch pries er sein damals noch recht übersichtliches Sortiment an. Man saß zentral, konnte jeden und alles sehen und vor allem, wurde auch gesehen. Was hat nun Fabrizio mit dem fliegenden Frisör gemein? Eigentlich gar nichts, er dient quasi nur als dramaturgisch perfektes Vorspiel meiner Geschichte. Bei Fabrizio hatte ich nämlich das erste Stelldichein, heute eher als Date bekannt, mit Rita. Rita, eine wohlproportionierte Schaufenstergestalterin des Modehauses Klingenthal in meiner Heimartstadt Herford (Ostwestfalen!).

Da der Undercut bei uns revolutionären Pseudoblumenkindern gänzlich aus der Mode gekommen war, stießen die Haare seit einiger Zeit aus Protest mindestens an den Hemdkragen. Wenn nicht gar pilzkopfartig darüber hinaus. Der erste Eindruck prägt – nach diesem Motto wollte ich noch rasch einen Frisör aufsuchen, um ja nicht mit einem ungepflegten Ersteindruck bei Rita ins Abenteuer zu starten. Wer In sein wollte, der ging allerdings nicht einfach zu einem Frisör. Man ging zu Willi ter Wint, dem fliegenden Frisör. Quasi dem Udo Walz von OWL. Inoffiziell war Willi, wie seine Freunde zu ihm sagen durften, sogar der schnellste Friseur Deutschlands. Bei Leibe nicht, weil er die Haare in Rekordzeit zu schneiden wusste, sondern weil Willi 1966 an der Tour d`Europe mit seinem frisierten Opel Kadett A teilgenommen hatte, einer Rallye, die quer durch Europa, von Hannover über Bukarest bis nach Travemünde führte. Für einen Haarschnitt musste man dagegen etwas länger planen.

Willi schnibbelte und föhnte in einer Seitenstraße vom Neuen Markt, unbehelligt von jeglicher Laufkundschaft. In dieser Zeit, also vor dem WeltWeitenWeb, wurden Termine, auch für Stelldicheins, z.B. mit Rita,  nicht per WhatsApp oder über Dating-Agenturen, sondern noch persönlich von Angesicht zu Angesicht getroffen. Man betrat den Laden, vergewisserte sich über die Zahl der Wartenden und entschied spontan, ob man verweilte oder es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen sollte.

In der Regel betrug die Wartezeit mangels Laufkundschaft nicht allzu lange. Außerdem boten sowohl Willi selbst, als auch sein Repertoire an Zeitschriften allerlei Kurzweil. Nicht die übliche Burda-Regenbogenpresse des Lesezirkels lag auf dem Nierentisch aus, sondern die Rallye + Racing, die Twen, der Playboy sowie die Titanic. Links und rechts flankierten zwei orangefarbene Clubsessel den Nierentisch. Durch die minimierten Sitzmöglichkeiten war der Überblick über die Menge der Wartenden einigermaßen rasch zu erfassen.

Willi war ein Meister seines Fachs, der in seinem Salon ausschließlich Herren bediente. Er war auch der einzige. Geschickt jonglierte er abwechselnd zwischen zwei Behandlungsstühlen (oder genauer gesagt Beischneidungsstühle?). Ob er insgeheim auf eine Erweiterung der Kapazität spekulierte blieb im nebulösen Dunst des Haarsprays verborgen. Anstelle des Meisterbriefes zierten Fotos von seinen legendären Renneinsätzen, sowie die Reliquie eines geplatzten Pneus, und der damit geplatzten Siegeschancen,  die Wände. Und, Willi war ein unübertroffener Meister der bildhaften Erzählkunst. Dabei schilderte er aus seinem reichhaltigen Repertoire nicht nur jeden Millimeter Kurventechnik seiner abenteuerlichen Rallyefahrten, nein, auch dem Jazz, speziell dem Kontrabass, konnte Willi mit vollem Körpereinsatz viel abgewinnen. Und so fuchtelte er in wilden Gesten mit Schere, Föhn und Rasiermesser hinter seinen Kunden herum, dass man nicht nur um seine Fasson, als auch um die körperliche Unversehrtheit generell bangen musste. Ruhiger und diskreter wurde im innersten Zirkel das Thema Boxenluder in epischer sowie erotischer Breite erörtert. Dabei redete er unentwegt spiegelverkehrt auf die Kunden ein und bezog selbstverständlich auch die Wartenden in den orangefarbenen Clubsesseln mit ein.

Gelegentlich benutzte Willi auch einen Rollhocker, um seinen Rücken zu schonen. Mit ihm kurvte er in seinem Salon ebenso geschickt umher, wie mit seinem Opel Kadett auf der Rennpiste. Besonders illuster wurde es, wenn Willi sein Werkzeug ablegte und virtuos auf seinem Schattenkontrabass zupfte. Dabei brummte er dumpf, aber immer rhythmisch im Takt. Bevor er sich endgültig in ein musikalisches Nirwana zupfte, musste man bei Willi ernsthaft intervenieren und ihn wieder in die Realität, auf die Bretter seines Herrensalons, zurückbeamen. Wer also terminlich gebunden war, dem war geraten die Konversation eher im Allgemeinen zu halten. Hier bot sich auch schon in den Sechzigern das Wetter als neutrales, unverbindliches  Thema an. Aber, wer wollte das schon? Schließlich war die Frisur eigentlich zur reinen Nebensache degradiert. Trotz aller Unkenrufe schaffte ich es an besagtem Tag das Stelldichein mit Rita bei Fabrizio pünktlich wahrzunehmen. Natürlich hatte ich auch ausgiebig zu berichten. Von Willi, der Kurventechnik und dem Kontrabass. Übers Wetter hatten wir, so glaube ich mich zu erinnern, weniger gesprochen. Hier endet die Episode. Die Liaison mit der wohlproportionierten Schaufensterpuppe hingegen währte einen erlebnisreichen Sommer lang, bis nach dem WSV.

Fahrt ins Grüne.

Gesund und munter aus dem Urlaub zurück, allerdings ohne Umwege direkt in die Virusfalle!  Aber beginnen wir von vorn. Unser Skiurlaub 2020 verlief nicht wirklich ohne Sorgen. Die Anreise gestaltete sich abwechslungsreich. Will heißen, die Fahrer wechselten sich ischiasgenervt ab. Wir, das heißt, ein Brettler / zwei -rinnen und ein Zufussgeher machten sich auf nach Tirol, genauer gesagt, nach Kirchberg nah bei Kitzbühel. Genau dahin, wohin es uns bereits 2019 gezogen hatte. Der zum Skifahren zwingend erforderliche Schnee streckte sich wie eine Zunge, nur eben nicht in rot, die grünen Hänge hinab ins Tal. Man berichtete mir, dass es früh am Tag noch erfahrbar war, später, gegen Mittag, machte es Sinn sich dem Apres zuzuwenden und mit einem Bilderbuch-Einkehrschwung die nächste Obstlerbude anzusteuern. Während ich die Umgebung bewanderte und mich bei Zeiten ebenfalls zur Einkehr wieder einfand.

Der alltägliche Dekathlon begann um 15:30 Uhr mit einer Jause und Sundowner. Anschließend saunieren, ab in den Ruheraum und später die volle Konzentration auf das Fünf-Gang-Menü mit begleitenden Weinen. Zur Verdauung, danach im Leder, einen destillierten Geist. Zum Zeitvertreib wurde mit bezifferten Plastikklötzchen gespielt. Sie mussten, farblich passend und in auf- oder absteigender Reihenfolge, den lauernden Gegnern dargeboten werden. Die Unerfahrenen erspielten sich konstant die hinteren Plätze – was sich im Laufe der Woche, mit ein wenig mehr Praxis, aber nur marginal besserte. Frühstücken stand um 09:00Uhr auf dem Programm des folgenden Tages. Eigentlich jeden Tages!

Begleitet von den beiden Mädels eroberten wir eines sonnigen Tages die Millionen-stadt Kitzbühel. Dort residieren nicht etwa Millionen Einwohner, sondern Einwohner und andere Zwielichtgestalten, wie etwa Kaiser Franz, die Millionen auf ihren Bankkonten mehr oder weniger legal gebunkert haben. In der kleinen aber nicht mindert elitären Fußgängerzone erkannte man die Eingeborenen sofort an ihren knielangen Lodenmänteln und den großkrempigen Filzhüten, an denen bunte Federn oder Geissbockbärte oder –bürzel prangten. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass wir ein perfektes Plätzchen in einem Straßencafé ergatterten, um dem bunten Treiben zuzusehen und um die Exoten mit lustigen, einfallsreichen Kommentaren zu begleiten. Die Rechnung war unerwartet günstig und obwohl ich einen Weißwein plus ein Mineralwasser getrunken hatte, habe ich kein Trinkgeld erhalten. Die Bedienungen selbst waren, anders als in gemeinen, ordinären Touri-Zentren üblich, ausschließlich in edlem Tuch gewandet. Das grassierende Corona-Virus schien niemanden zu interessieren, angsteinflößend war allendhalben eine epidemische Insolventia. Allerdings steht die Rettung der Banken ja bereits ganz oben auf der Agenda der Krisenmanager.

Auf dem Rückweg vom sozialen Brennpunkt, von ca. einer Stunde Dauer, ersann ich eine kleine mathematische Denksportaufgabe, um neben dem Körper auch den Geist zu ertüchtigen. Mit einem einfachen Dreisatz sollte zu lösen sein, wieviel im Schnitt die einzelnen der vier Getränke gekostet haben, oder, alternativ wieviel im Schnitt die vier Getränke für uns drei Gäste gekostet haben. Der Einfachheit halber interpolierte ich die Summe mit der Priemzahl eins, um Zahlen hinter dem Komma zu vermeiden. Technische Hilfe durfte nicht in Anspruch genommen werden. Das Handy wurde lediglich zu Fotodokumentationen eingesetzt. Mit der Denkzeit vergingen auch die Kilometer und da das traute Heim bald in Sichtweite zu erwarten war, reduzierte ich die Aufgabe auf eine simple Division. Zu empfehlen sei der Besuch eines VHS-Kurses zum Thema malen nach Zahlen. Man(n) hat es nicht leicht!

Eine ganze Korona Italiener am Nachbartisch ließen die akute Gesundheitsfrage  hochkochen. Gott sei Dank ergaben Recherchen im Internet, dass das Virus mit Alkohol vernichtend zu geschlagen sei. Wir gingen ganz auf Nr. Sicher!

Ins schöne Kufstein sollte uns die Kauflust am vorletzten Tag magisch ziehen. Genauer ins Outlet der Glasbläserei Riedel. Nicht, dass es uns an gleichnamigen Gläsern mangeln würde. Ganz im Gegenteil. Ernsthafte Gedanken über den sicheren Hort der Unterbringung bzw. des sicheren Heimtransportes der ergatterten Schnäppchen trieben uns tiefe Sorgenfalten ins Gesicht. Die Freude war groß, als eine unvorhergesehene Abwechslung uns, die beiden Männer, von der mittlerweile fünften Darbietung des Imagevideos, loseiste. Der Oberbläser Maximilian J. Riedel höchstpersönlich gab sich die Ehre, seinem Outlet einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Mit attraktiven Offerten trotzte er dem viralen Käuferschwund.

Bevor wir das Ortsausgangsschild von Kufstein passierten, statteten wir Anita noch einen Besuch ab. Anita, ein weiteres Outlet für Dessous und Bademoden. Unsere Damen und ein paar weitere Anwesendinnen waren dankbar für unsere kompetente, fachlich fundierte Imageberatung in obiger Sache. Allein mit der passenden Bewertung der Oberweitengrößen taten wir uns ein wenig schwer. Besonders bei der Zuordnung der tragfähigen Buchstaben, aufsteigend von „A“. Es ist müßig zu erwähnen, dass unsere Mädels fündig geworden sind. Von Anita selbst waren wir, die Männer, eher enttäuscht. Realität und Wirklichkeit standen in einem krassen Missverhältnis. Während uns die überlebensgroßen Poster an der Aussenfront des Gebäudes optischen Hochgenuss vorgaukelten, gaben die Anitas zwischen den Regalen eher Anlass zur Eile zu drängen.

Auf der Heimfahrt platzierten sich die Mädels zwischen den Riedelgläser-Kartons. Ihre neuen Badeanzüge und Badelatschen fanden noch im Koffer Platz. Der Sommer kann kommen!

Der Berg ruft!

Der Berg ruft – laut Dieter Hildebrand ruft er ja nicht mehr, er kommt selbst! Ja, wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und wer meine Reiseerlebnisse aufmerksam verfolgt, der weiß, dass es generell immer absolut merk-würdige Begebenheiten und lustige Interpretationen zu berichten gibt. Mit Südtirol beenden wir die Reisesaison 2019.

Perfektes Wetter, mit Bock auf echten Cabriogenuss zur Anreise über Davos (da, wo`s teuer ist!) nach Völlan (oberhalb von Meran). Wandern war angesagt. Die Waalwege bieten Postkartenpanorama und jede Menge Gleichgesinnter. Am Tag 1 stand der Marlinger-Waalweg zum Abarbeiten auf der Liste. Zwölf Kilometer, mittelschwer, von Töll nach Lana. Soweit, so gut. Da es kein Rundweg ist, wählten wir den Öffentlichen Nahverkehr, der uns unmittelbar zum Einstieg bringen sollte. Dass wir bei dem Traumwetter nicht die einzigen waren, die die Natur genießen wollten, war uns irgendwie schon bewusst. Aber nicht in ihrer brutalen Gänze.

Mit einem 22 Personen Büslein ging es von Völlan nach Lana. Problemlos! Sofort Anschluss an die Linie 211 nach Meran. Irgendwie ist es uns unter Einsatz aller Ellenbogen dann doch gelungen einen Stehplatz zu ergattern, der uns halbwegs Halt bot. Obwohl, umfallen konnte eh keiner. Einer und Alle! Es folgten unzählige Haltestellen mit weiteren erwartungsvollen Wanderern. Wie es auch immer möglich war, auch für diese Sportskameraden noch einen Platz zu erpressen, ist der jahrelangen Erfahrung des Busfahrers zu verdanken. In jeder noch so kleinen Kurve ging ein gar jämmerliches Stöhnen und Raunen durch den Bus, welches nur noch in Kreisverkehren zu toppen war und in leichte Panik ausuferte.

Nach gefühlt hunderten von Kreisverkehren und etlichen Spontanbremsungen erreichten die Überlebenden Meran und schwappten, einem Zunami gleich, aus dem Bus. Hier sollte sich die Spreu vom Weizen trennen. Sollte! Fakt war, einige entschieden sich zum Shoppen, das Gros wartete auf den Anschlußbus nach Töll. Leider gesellten sich deutlich mehr Naturfreunde hinzu, als Kauffreudige in Richtung Fußgängerzone entfleuchten. Strategisch bestens positioniert wurden wir in die Linie 214 gepresst. Ölsardinen dagegen fristen in ihren Dosen ein überaus bequemes, komfortables Dasein. Erste Schnappatmungen stellten sich bereits beim Verlassen der Haltestelle ein, begleitet von Schweißausbrüchen und Panikattacken. An den folgenden Haltestellen brauste der Überfüllte an den enttäuschten Massen vorbei der Erlösung entgegen. Am Zielort warteten bereits Notärzte und Sauerstoffzelte.

Wenn ihr es nicht weitererzählt….wir haben die letzte Buspassage nicht bezahlt! Genauer nicht bezahlen können. Der gute Wille war auf jeden Fall da! Allerdings waren wir bei weitem nicht die einzigen. Das beruhigte unser Gewissen ungemein.

Die Wanderung verlief ordentlich, der Beschreibung in den kostenlosen Reisführern entsprechend. Durch die sehr hohe Wanderverkehrsdichte war unsere volle Aufmerksamkeit gefordert, um nicht mit den Entgegenkommenden zu kollidieren, bzw. die Überholvorgänge der Fuß- und Geschlechtskranken unfall- und absturzfrei zu überleben. Auf einigen freien Passagen war es gefahrlos möglich, unsere Blicke über die pralle Gegend schweifen zu lassen. Auch diese stimmte mit den lobenden Beschreibungen voll überein.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Auch derselbe hielt eine Begebenheit der besonderen Art für uns parat. Südtirol ist nicht nur für seine Landschaft beliebt, sondern besonders auch dafür, was Küche und Keller zu bieten haben. Letzteres hat bei allen Gästen eine sehr hohe Priorität. Am Nachbartisch hatte die Hotelleitung ein Pärchen platziert, das weder wanderte, noch den ausgezeichneten Weinen frönte. Begleitet wurde das fünfgängige Menü mit einem Viertelchen Rotwein. Für Beide! Hier bestand akute Gefahr, dass er vor Beendigung des letzten Ganges verdunstete.

Der folgende Tag hielt eine Begegnung der absurden Art für uns bereit. Die Wetterfrösche hatten für den Nachmittag ein paar Tröpfchen vorhergesagt. Unsere Entscheidung eine Wanderpause einzulegen und dafür die Shoppingmeile heimzusuchen erwies sich als eigentlich genial. Als ein Wermutstropfen erwies sich der Umstand, dass sich offensichtlich alle Wanderer des Vortages ebenfalls für eine Atempause entschieden hatten und die Fußgängerzone füllte sich wie tags zuvor die Waalwege. Die Preise in den tollen Geschäften waren der Höhenlage durchaus angepasst, trotzdem sah man ebenso viele Tütchen wie Rucksäcke am Vortag. Die  Einkaufsmeile säumen diverse Cafés, die zum Verweilen und Betrachten des schlendernden Publikums einluden. Als die ersten Tröpfchen fielen, war der Bedarf an freien überdachten Plätzen exorbitant.

Das Schicksal wollte es, dass wir ein optimales Plätzchen ergatterten. Direkt daneben saß ein älteres Paar, offensichtlich gut situiert, passend zu Meran. „Wir haben die Plätze extra für sie freigehalten“, so wurden wir freundlich begrüßt und schwups waren wir im Gespräch. Gerlinde* und Manfred* hatten bereits ein paar Viertele genossen und waren entsprechend in allerbester Stimmung. Er, Manfred, ein ruhiger, sympathischer, angenehmer Ruheständler, sie Gerlinde, laut, schrill, schräg und mit ausgeprägtem schwäbischem Dialekt, den sie erfolglos zu verbergen suchte. Nach den ersten Floskeln, woher, wohin, präsentierte Gerlinde eine ihrer elf Louis Vuitton Handtaschen, nebst abgestimmten Portemonnaie, ihre Rolex sowie den Schal von Burlington. Ohne ihren Mann Manfred hätte sie es sich alles nie leisten können. Umso erstaunlicher war es, wie sie mit dem Angetrauten umsprang. Der Ärmste (nicht monetär) erduldete die Blossstellungen geduldig ohne jegliche Regung. Beim Nachschenken eines weiteren Viertels forderte er sie auf ihm behilflich zu sein, da er ein wenig zittere. Ob vor Wut oder bedingt durch eine Krankheit konnten wir nicht eroieren. Wäre aber nachvollziehbar!

Mit zunehmendem Promillewert nahmen auch die vulgären schwäbischen Ausdrücke an Intensität zu. Ein Bummler zwischen den Geschäften brüllte einen Hundehalter an, weil dieser seinen Köter nicht am permanenten Kläffen hinderte. Gerlinde wiederum kläffte den Bummler ordinär über die gesamte Flaniermeile hinweg an, weil sie als selbsternannte Hundemuttertheresa dem armen Köter zur Seite eilte. Also verbal natürlich nur!

Der Regen ließ nach, das Straßencafé wollte schließen, die Weinschlepper sehnten sich nach einer Mittagsruhe, uns wurde zum baldigen Aufbruch noch eine Karenzzeit von 15 Minuten gewährt. Auch diese Aufforderung wurde mit allerlei schwäbischen Beschimpfungen begleitet, wie Säckel, Dackel etc. Kurz vor dem finalen, peinlichen Abgang litt Manfred unter akuten Notdurftattacken. Er bestand darauf, vor dem Heimweg noch die Örtlichkeiten aufsuchen zu dürfen, was ihm die Ruhebedürftigen auch nicht verweigerten. Wir warteten eine gefühlte Ewigkeit auf den Erlösten. Im allgemeinen Tumult auf der Einkaufsmeile hörten wir plötzlich Hilferufe, die offensichtlich aus Richtung des WC drangen und ursächlich von Manfred gerufen wurden. Gleichzeitig bemerkten wir eine Hand durch eine stabile Gittertür verzweifelt winken. Was war geschehen? Die Betreiber des Cafés hatten ungeduldig die Tür zum Nirwana verriegelt. Manfred war gefangen! Gerlinde tobte! Der Erlöser erschien als zufällig vorbeikommender Hausmitbewohner. Dieser deutete auf einen zentralen Druckschalter, dessen Funktion es war, das verriegelte, stabile Türgitter elektrisch zu entriegeln. Die Verabschiedung war knapp aber herzlich und Gerlinde und Manfred torkelten in Richtung Bushaltestelle. Ich mochte mir nicht vorstellen, welche Dramen sich in einem überfüllten Bus abspielen werden würden. In der Fußgängerzone wurde es deutlich ruhiger und das normale Treiben ging seinen gewohnten Gang.

Die Wanderung am Folgetag, bei wolkenfreiem, azurblauem Himmel versöhnte uns mit einem Ereignis der ganz anderen Art. Der ausgewählte Waalweg genügte unseren Ansprüchen keineswegs und wir entschieden uns für einen Abstecher den Berg hinauf entlang der Höfe. Die Zahl der Outdoorsportler reduzierte sich mit jedem Höhenmeter drastisch. Der Zufall wollte es, dass wir mit einem gleichgesinnten Paar ins Gerede kamen, die das gleiche Ziel anstrebten. Sie schwärmten von einem kleinen Hof mit Wirtschaft, in dem ausgezeichnete, selbstgemachte Speisen kredenzt wurden. Wir schlossen uns den Ortskundigen an und wurden aufs angenehmste überrascht. Hühner, Enten und Gänse liefen umher, die Wirtsleute versprühten eine Ruhe und Zufriedenheit, die ansteckend wirkte. Besorgnis gab es ob des Esels, der ein wenig kränkelte und alle litten mit den Pflegern mit. Wir wünschen ihm baldige Genesung! Wir ließen uns den selbstgemachten Apfelsaft munden und der Kaiserschmarrn war einfach zum Niederknien, nebst selbstgekochter Marmelade. Fulminanter konnte der Unterschied zum Vortag nicht sein. Leider mussten wir diesen Ort der Glückseligkeit irgendwann wieder verlassen – das Abendmenü rief.

Abends an der Hotelbar kamen wir noch mit zwei Pärchen ins Gespräch, die schon seit Jahren die Gastfreundschaft genossen und mehr oder weniger zur Familie zählten. Das Highlight dieser treuen Kunden vertraute man uns nach ein paar

Bierchen zur vorgerückten Stunde vertraulich an. Am Wochenende findet traditionell das Käschdefescht (Kastanienfest) statt. Vor ein paar Jahren hatte das Paar aus dem Raum FfM zusammen mit der örtlichen Feuerwehr eine neue Spezialität eingeführt. Um die heimische Bevölkerung auch in diesem Jahr damit beglücken zu können, haben die Rheinhessen 40 (vierzig!) Kilo Saumagen mitgebracht. Na dann Mahlzeit!

Bleibt das Fazit eines abwechslungsreichen Urlaubs: Die Tiroler sind lustig. Die Südtiroler auch!

*Die Namen hat der Redakteur aus Datenschutzgründen geändert.

Muschelschubsen

Was wäre ein Urlaub ohne an- bzw. erregende Begebenheiten und höchst erquickliche Ereignisse? Dieses Mal betrachte ich die Dinge einmal von einer ganz anderen Seite. Ihr werdet schon sehen!

Einmal im Jahr zieht es uns ins Epizentrum der Dekadenz, nach Sylt. Aber ohne einen Zwischenstopp in der Hansestadt Hamburg geht es dann doch nicht. Und von hier berichte ich dann auch gleich ein paar unbedingt wissenswerte Erkenntnisse. Ich weiß jetzt wo die Selbstmordattentäter die ganzen Jungfrauen rekrutieren: Im u.a. Kiez St. Georg sowie der Promenade rund um die Innenalster. Bereits hier finden sie sich in Gruppen zusammen, wie sie später zum Trösten der Märtyrer abgeordnet werden. Das gestrenge Aufsichts-Bodenpersonal observiert dabei die Gruppen rund um die Uhr, um jedwedes Risiko einer irdischen Entjungferung brachial Einhalt zu gebieten.

Geradezu begeistert bin ich von der neu hinzugewonnenen E-Scootermobilität! Die Ecken mögen nicht finster genug sein, um nicht ständig Zugriff auf die Relikte der Jugend zugreifen zu können. Einmal geappt, rauschen sie munter über Stock und Stein. Ach, das geht ja gar nicht, weil die süßen kleinen Rädchen nicht die erforderliche Stabilität garantieren. Also kurvt man lautlos und geschmeidig durch die Gruppen von Jungfrauen und Touristen. Gehwege und Promenaden sind ideale Slalom-Rennstrecken, die durch die Passanten die Eintönigkeit des Dahingleitens verlieren. Beim andauernden Kampf auf den Radwegen mit E-Bikern und Normalos kann man seinen Wortschatz des vulgären Vokabulars erweitern. Konrad Duden hätte seine blanke Freunde an dem Beweis, dass die deutsche Sprache eine lebendige Sprache ist. Bis dahin völlig unbekannte Wortschöpfungen lassen mich teilweise begeistert mit offenem Mund verharren. Allerdings nicht zu lange, denn man sollte jeden Wimpernschlag nutzen, um, ohne heranrauschende Gefahren, die Flucht in sichere Gefilde zu gewährleisten.

Da selbst inaktive E-Scooter exakt auch da liegen, wo man sie der einfachheithalber umfallen gelassen hat, bleiben dem traditionellen, konservativen Fußgänger erhebliche Schwierigkeiten nicht erspart. Neben den Solofahrern (nicht Solifahrern!), erfreut sich auch die Tandemfahrt aller größter Beliebtheit. Zu toppen ist dies nur noch durch einen höheren Promillewert. Besonders jüngere Konsorten testen die Kurvenlagen und Bremswege der neu ins Leben gerufenen Verkehrsmittel bis an die physikalischen Grenzen. Je höher der Pegel, desto eher auch über die Grenzwerte hinaus. Dabei erweisen sich die Passanten als lebende Airbags. Durch diese Bereicherung der Innenstädte ergibt sich eine ganz neue Einstufung der Hierarchie aller Verkehrsteilnehmer: Fußgänger (FG) gegen E-Scooter (ES); ES gegen Fahrräder (FR); ES + FR gegen E-Bikes (EB), ES, FR + EB gegen KFZ. Und

schließlich alle gegen Busse und LKWs. Wie bereits oben erwähnt, findet hier eine verbale Völkerschlacht statt. Hasstiraden, an denen LKW-Fahrer beteiligt sind, sind ohne osteuropäischen Sprachschatz allerdings unverständlich. Damit die Wirkung im allgemeinen hektischen Durcheinander jedoch nicht verpufft, wirken sie allein durch Lautstärke, Intensität sowie durch Gestik und Mimik.

Angesichts der zuvor geschilderten Bedrohungslage ist man reif für die Insel und es ist die pure Wohltat sich sicher und entspannt zwischen majestätisch dahingleitenden Acht- und Zwölfzylindern zu bewegen. Während ich keinem einzigen E-Scooter entrinnen musste und ich die Disziplin aller Radler bewunderte, taten sich ganz neue, lebendige Stehimwege auf. Man geht nicht mehr ohne Hund. Also nicht Gassi, sondern einzig und allein zur Zurschaustellung. Ihr könnt getrost davon ausgehen, dass nach dem Ausgehen zum Gassigehen Daheim die Hundenanni wartet. Oder, in  respektvollem Abstand mit Tütchen die Hinterlassenschaften der Verhätschelten einsammelt und unauffällig artgerecht entsorgt.

Da wir schon bei besagter Klientel sind, die Urlauber und Zweithausbesitzer lassen sich grundsätzlich in verschiedene Kategorien einteilen. Junge Eltern mit ihren Sprösslingen, Bänker, Reeder, Hipster und Erben, mit entweder abgrundhässlichen Modekötern oder überdimensionalen Mutationen. Dann die größte Gruppe der Rentner und Pensionäre, gerne auch mit Hündchen oder gelegentlich auch mit Enkeln, denen sie jeden Wunsch von den Augen ablesen. Nachschub für die Selbstmordattentäter ist mir nicht begegnet! Bei starkem Wind trägt man Kaschmirmützen statt Kopftücher.

Unser Hotel war/ist ein unübertroffenes heimeliges Schmuckkästchen! Seit Generationen eigentümergeführt, herzlich und in jeder Beziehung außergewöhnlich. Schon beim Betreten der Lobby (ca. 4 – 6 qm) entschleunigt das gemächliche Ticken der Standuhr. Prächtig renoviert, bietet man den Entschleunigten alles, was einem den Aufenthalt so angenehm wie möglich macht. Zwei Beispiele mögen für erlesene Gastlichkeit Zeugnis geben: Gegenverkehr am Frühstücksbuffet? Mit Nichten und Neffen! Es wurde/wird serviert! Vorab reichte man frisch gepressten Orangen- oder Pampelmusensäfte. Man konnte aber selbstverständlich auch mineralisches Wasser wählen, mit, mit ohne oder nur mit ein wenig mit. Mit Prickeln stand auch eine Flasche Champagner im Eiskühler, der jedoch in SB zu beschaffen war. Mit der Reichung der Säfte konnte auch die gewünschte Eierspeise gewählt werden, incl. der schweinischen oder vitaminischen Einarbeitungen. Schlichte weich- oder hartgekochte Varianten waren natürlich keine Herausforderung für die Küche. Die Zusammenstellung der Müsli mit frischen Früchtchen und Milchprodukten mussten persönlich individuell von Hand zusammengestellt werden. Wenn die gute Fee zum zweiten Mal nahte, kredenzte sie uns das täglich wechselnde, frische Käse- und Wurstsortiment. Die dreistufige Etagere beherbergte von oben nach unten: feine Salate oder geräucherten Lachs oder Krabben, garniert mit Tomaten, Paprika, Gurken oder so, darunter drei verschiedene Wurstsorten und auf dem untersten

Tableau drei verschiedene Käsearrangements. Hausgemachte Konfitüre, Honig, Meersalz, Kaffee oder Tee, in mir bis dahin auch unbekannten Sorten, und diverse frische, knackige Brötchen und Brotscheiben waren ebenso obligatorisch.

Widmet man sich dem Gegenteil der Nahrungsaufnahme, selbst wenn es ein nicht so ganz appetitliches aber allzu menschliches Thema ist, welches in der Öffentlichkeit nicht gerade zur täglichen Unterhaltung zählt, möchte ich es dennoch erwähnen, weil bezeichnend. Es war das weichste Toilettenpapier ever! Selbstverständlich handgeschöpft mit Nordseewasserzeichen, fair gehandelt, biologisch abbaubar aber nur mechanisch zu verwenden. Dafür ein außergewöhnliches Dekor. Die Anmutung spiegelte die tägliche Tide wider und die Prägungen verliefen sich wie die Priele im Wattenmeer.

Jetzt folgt mir bitte zum Strand, denn es gibt auch hier berichtenswertes. Beginnen möchte ich mit der Feststellung, dass junge Väter und Mütter die mit Abstand besten Sandburgenbaumeister sind, die an bunten Schäufelchen ihre ganze Erfahrung aus glücklichen Kindheitstagen ausleben können. Die staunenden Reproduktionen dienen entweder als Beschaffer von Nordseewasser, portionsweise in farbigen Eimerchen, oder ganz simpel als Staffage. Das Wasser dient im Übrigen nicht der Abkühlung oder Reinigung, sondern zur Stabilisierung der sandigen Wehranlagen gegen die erbarmungslose rhythmisch heranrauschende Flut.

Die Herren der Schöpfung trugen zu meiner großen Verwunderung entweder weiße oder hellblaue Businesshemden, die bei frischer Brise oder zum Sundowner mit dunkelblauen, respektive hellgrauen Kaschmirpullovern kombiniert wurden. Alternativ konnte man noch Westen von Moncler, ohne Naserümpfen zu ernten, tragen. Unten herum herrschte jedoch noch größere Uniformität. Nur einfachere Sandler begnügten sich mit Shorts von Lacoste, die Norm sind schwimmfähige Beinkleider von Vilebrequin (der Einfachheit halber von mir Villeroy und Boch genannt)! Dazu passt eine Begebenheit, die ich im Shop der „Buhne16“ persönlich erleben durfte. Eine junge, offensichtlich gut situierte Mutter mit ihrer Prinzessin, betrat den Raum. Das verwöhnte Balg fragte: „Mama, was machen wir hier?“ Die unkommentierte Antwort: „Shoppen! Merk dir diesen Begriff gut!“

Damit wären wir auch schon bei der Garderobe der Damen angelangt. Die Mädels waren gewandet in wallenden, seidigen Fähnchen mit einem Dekor, welches mich unweigerlich an „Delfter Kacheln“ erinnert. Neben den niederländischen Blautönen gab es sie auch in rot und schwarz. Blau dominierte. Die Kombination mit Kaschmirpullöverchen zu vorgerückter Stunde gehört selbstredend zum Standard-Outfit, vereinzelt stellte man auch farblich harmonierende Kaschmirschals zur Schau.

Abschließend muss ich dokumentieren, dass die mir Angetraute sich todesmutig in die Fluten der Nordsee gestürzt hat! Bei Ebbe. Das leicht angewärmte Gewässer polaren Ursprungs schwappt periodisch vom nordischen Eismeer an die Nordseeküste. Ich habe in der Zwischenzeit die Rettungsgasse freigehalten.

Geführte Tour mit Halbpension

Mit gemeinsamen Terminen von Rentnern ist das bekanntlich so eine Sache. Um vier Personen unter eine Hut zu bekommen, können durchaus ein paar Monate vergehen. So auch in beschriebenem Fall. Tief in den Analen schlummerten vage Erinnerungen an eine mehrtägige Wanderung über die Pfingstfeiertage entlang der Route de Cretes im Elsass. Hier sollte ein Revival stattfinden – allerdings auf nur einen Tag begrenzt. Und so buchten wir, ganz spontan, eine geführte Tour mit Halbpension bei Bekannten, die uns in punkto Wanderungen diverse Etappen voraus waren.

Pünktlich um 08:30 Uhr stand das Taxi vor unserer Tür. Voll freudiger Erwartungen startete die Gruppe in Richtung Lac Blanc, den die Tourguides als Ausgangspunkt erkoren hatten. Nach ca.1,5 Std. parkte der Shuttle am Ufer des Sees in 954m Höhe über n.N.. Ohne Rücksicht auf das Alter ging es steil bergauf, im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein. Exakter über Wurzel und Fels. Der Aufstieg konnte gerade noch ohne Steigeisen, Seilschaften und Sauerstoffmasken bewältigt werden. Und schon nach wenigen Höhenmetern machte sich die Zwiebeltechnik der Sportkleidung bezahlt – wir entledigten uns der obersten „Schalen“ und der Flüssigkeitsverlust musste erstmals an einem sicheren Standort ausgeglichen werden. Während sich ¾ der Gruppe an dem herrlichen Panoramablick erfreute, rang ich mit den Schauerwellen der Höhenangst, die wie Ameisenhorden meinen Körper hoch und runter marschierten. Neben den Schweißtropfen im Rückenbereich, unter dem Rucksack, gesellten sich Panikschweisstropfen auf der Stirn hinzu. Den Blick starr und konzentriert nach oben gerichtet hangelten wir uns bis in schwindelnde Höhen auf ca. 1.300m über n.N..

Oberhalb der Baumgrenze konnte ich dann erleichtert durchatmen und den Blick über Landschaft und Flora befreit schweifen lassen. Der frische Wind zwang uns zurück in die abgelegte „Schale“ und der Guide barg sein Haupt sogar unter einer Strickmütze. Ich vergaß zu erwähnen, dass wir natürlich auch etliche Schneefelder zu überwinden hatten, die wir jedoch routiniert, souverän meisterten.

Die Mittagssonne hatte bereits hinter den Wolken den Zenit überschritten, als wir im Windschatten einiger ungeordnet herumliegender Felsblöcke der Halbpension frönten. Nachdem die Köchin und Guidin (oder wie ist die weibliche Form von Guide?) den Tisch gedeckt hatte, ließen wir uns Fleischpflanzerln mit Dijonsenf, Käse und frisches, vorzügliches Baguette munden. Dieses hatten wir auf der Fahrt, einen kleinen Umweg in Kauf nehmend, in einem armseligen Dorf erworben. Es hatte sich jedoch gelohnt, denn das Backwerk war im wahrsten Sinne des Wortes „ausgezeichnet“!

Etwa 2/3 der Tour lag noch vor uns, als wir uns wieder auf die Socken machten. Es folgten Aufstiege und Abstiege, steinige Passagen und Anhäufungen von Felsblöcken, die wir zu überwinden hatten. Schließlich ließen wir den Lac Vert rechts liegen und erblickten in der Tiefe den Lac des Truites mit der Ferme Ou du Forlett. Sogleich spulte bei mir das Kopfkino einen bekannten Film ab, denn exakt diese Ferme hatten Schorschi und ich im Herbst vergangenen Jahres als Ziel einer Zweiertour. Den runden, langen Abgang des Grauburgunders hatte ich noch auf der Zunge und so war die Frage nach dem Getränk gleich geklärt. Ohne ausführliches Studium der Karte.

Die letzte Etappe führte uns zunächst vorbei an Almwiesen (ohne Rindviecher) mit blühenden Veilchen in kräftigem Blau, knalligem Gelb und sowohl als auch. Wir wähnten uns schon auf gemütlichem Heimweg, als uns rund um den Lac Noir erneut Felsen, Geröll und größere Gruppen eifriger Wanderer in die Quere kamen. Schließlich tasteten wir uns den finalen steilen Abstieg zu den Ufern des Lac Blanc hinab. Eine anstrengende aber wunderschöne, geführte Tour mit Halbpension war vollbracht. An dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an Guide und Guidin, in Personalunion mit Köchin, sowie an die Sherpas, die sich mit Getränken und Fleischpflanzerln, etc. abschleppen durften!

Die Heimfahrt verlief eigentlich zügig und ordentlich, bis auf einige unausweichliche Schlaglöcher, die dem Rücken nicht so wohltaten.

Summery: Gesamtstrecke 19km, 29.481 Schritte, 161 Etagen (3m = 1 Etage!), höchster Punkt 1.302m über n.N., Gesamtzeit 6,21 Std. (abzüglich Pausen).

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