Was wäre ein Urlaub ohne an-
bzw. erregende Begebenheiten und höchst erquickliche Ereignisse? Dieses Mal
betrachte ich die Dinge einmal von einer ganz anderen Seite. Ihr werdet schon
sehen!
Einmal im Jahr zieht es uns
ins Epizentrum der Dekadenz, nach Sylt. Aber ohne einen Zwischenstopp in der
Hansestadt Hamburg geht es dann doch nicht. Und von hier berichte ich dann auch
gleich ein paar unbedingt wissenswerte Erkenntnisse. Ich weiß jetzt wo die
Selbstmordattentäter die ganzen Jungfrauen rekrutieren: Im u.a. Kiez St. Georg
sowie der Promenade rund um die Innenalster. Bereits hier finden sie sich in
Gruppen zusammen, wie sie später zum Trösten der Märtyrer abgeordnet werden. Das
gestrenge Aufsichts-Bodenpersonal observiert dabei die Gruppen rund um die Uhr,
um jedwedes Risiko einer irdischen Entjungferung brachial Einhalt zu gebieten.
Geradezu begeistert bin ich
von der neu hinzugewonnenen E-Scootermobilität! Die Ecken mögen nicht finster
genug sein, um nicht ständig Zugriff auf die Relikte der Jugend zugreifen zu
können. Einmal geappt, rauschen sie munter über Stock und Stein. Ach, das geht
ja gar nicht, weil die süßen kleinen Rädchen nicht die erforderliche Stabilität
garantieren. Also kurvt man lautlos und geschmeidig durch die Gruppen von
Jungfrauen und Touristen. Gehwege und Promenaden sind ideale Slalom-Rennstrecken,
die durch die Passanten die Eintönigkeit des Dahingleitens verlieren. Beim
andauernden Kampf auf den Radwegen mit E-Bikern und Normalos kann man seinen
Wortschatz des vulgären Vokabulars erweitern. Konrad Duden hätte seine blanke
Freunde an dem Beweis, dass die deutsche Sprache eine lebendige Sprache ist. Bis
dahin völlig unbekannte Wortschöpfungen lassen mich teilweise begeistert mit
offenem Mund verharren. Allerdings nicht zu lange, denn man sollte jeden
Wimpernschlag nutzen, um, ohne heranrauschende Gefahren, die Flucht in sichere
Gefilde zu gewährleisten.
Da selbst inaktive E-Scooter
exakt auch da liegen, wo man sie der einfachheithalber umfallen gelassen hat, bleiben
dem traditionellen, konservativen Fußgänger erhebliche Schwierigkeiten nicht
erspart. Neben den Solofahrern (nicht Solifahrern!), erfreut sich auch die
Tandemfahrt aller größter Beliebtheit. Zu toppen ist dies nur noch durch einen
höheren Promillewert. Besonders jüngere Konsorten testen die Kurvenlagen und
Bremswege der neu ins Leben gerufenen Verkehrsmittel bis an die physikalischen
Grenzen. Je höher der Pegel, desto eher auch über die Grenzwerte hinaus. Dabei
erweisen sich die Passanten als lebende Airbags. Durch diese Bereicherung der
Innenstädte ergibt sich eine ganz neue Einstufung der Hierarchie aller
Verkehrsteilnehmer: Fußgänger (FG) gegen E-Scooter (ES); ES gegen Fahrräder
(FR); ES + FR gegen E-Bikes (EB), ES, FR + EB gegen KFZ. Und
schließlich alle gegen Busse
und LKWs. Wie bereits oben erwähnt, findet hier eine verbale Völkerschlacht
statt. Hasstiraden, an denen LKW-Fahrer beteiligt sind, sind ohne
osteuropäischen Sprachschatz allerdings unverständlich. Damit die Wirkung im allgemeinen
hektischen Durcheinander jedoch nicht verpufft, wirken sie allein durch
Lautstärke, Intensität sowie durch Gestik und Mimik.
Angesichts der zuvor
geschilderten Bedrohungslage ist man reif für die Insel und es ist die pure
Wohltat sich sicher und entspannt zwischen majestätisch dahingleitenden Acht-
und Zwölfzylindern zu bewegen. Während ich keinem einzigen E-Scooter entrinnen
musste und ich die Disziplin aller Radler bewunderte, taten sich ganz neue,
lebendige Stehimwege auf. Man geht nicht mehr ohne Hund. Also nicht Gassi,
sondern einzig und allein zur Zurschaustellung. Ihr könnt getrost davon
ausgehen, dass nach dem Ausgehen zum Gassigehen Daheim die Hundenanni wartet.
Oder, in respektvollem Abstand mit
Tütchen die Hinterlassenschaften der Verhätschelten einsammelt und unauffällig
artgerecht entsorgt.
Da wir schon bei besagter
Klientel sind, die Urlauber und Zweithausbesitzer lassen sich grundsätzlich in
verschiedene Kategorien einteilen. Junge Eltern mit ihren Sprösslingen, Bänker,
Reeder, Hipster und Erben, mit entweder abgrundhässlichen Modekötern oder
überdimensionalen Mutationen. Dann die größte Gruppe der Rentner und
Pensionäre, gerne auch mit Hündchen oder gelegentlich auch mit Enkeln, denen
sie jeden Wunsch von den Augen ablesen. Nachschub für die Selbstmordattentäter
ist mir nicht begegnet! Bei starkem Wind trägt man Kaschmirmützen statt Kopftücher.
Unser Hotel war/ist ein
unübertroffenes heimeliges Schmuckkästchen! Seit Generationen
eigentümergeführt, herzlich und in jeder Beziehung außergewöhnlich. Schon beim
Betreten der Lobby (ca. 4 – 6 qm) entschleunigt das gemächliche Ticken der
Standuhr. Prächtig renoviert, bietet man den Entschleunigten alles, was einem
den Aufenthalt so angenehm wie möglich macht. Zwei Beispiele mögen für erlesene
Gastlichkeit Zeugnis geben: Gegenverkehr am Frühstücksbuffet? Mit Nichten und
Neffen! Es wurde/wird serviert! Vorab reichte man frisch gepressten Orangen-
oder Pampelmusensäfte. Man konnte aber selbstverständlich auch mineralisches
Wasser wählen, mit, mit ohne oder nur mit ein wenig mit. Mit Prickeln stand
auch eine Flasche Champagner im Eiskühler, der jedoch in SB zu beschaffen war.
Mit der Reichung der Säfte konnte auch die gewünschte Eierspeise gewählt
werden, incl. der schweinischen oder vitaminischen Einarbeitungen. Schlichte
weich- oder hartgekochte Varianten waren natürlich keine Herausforderung für
die Küche. Die Zusammenstellung der Müsli mit frischen Früchtchen und
Milchprodukten mussten persönlich individuell von Hand zusammengestellt werden.
Wenn die gute Fee zum zweiten Mal nahte, kredenzte sie uns das täglich
wechselnde, frische Käse- und Wurstsortiment. Die dreistufige Etagere
beherbergte von oben nach unten: feine Salate oder geräucherten Lachs oder
Krabben, garniert mit Tomaten, Paprika, Gurken oder so, darunter drei
verschiedene Wurstsorten und auf dem untersten
Tableau drei verschiedene
Käsearrangements. Hausgemachte Konfitüre, Honig, Meersalz, Kaffee oder Tee, in
mir bis dahin auch unbekannten Sorten, und diverse frische, knackige Brötchen
und Brotscheiben waren ebenso obligatorisch.
Widmet man sich dem
Gegenteil der Nahrungsaufnahme, selbst wenn es ein nicht so ganz appetitliches
aber allzu menschliches Thema ist, welches in der Öffentlichkeit nicht gerade
zur täglichen Unterhaltung zählt, möchte ich es dennoch erwähnen, weil
bezeichnend. Es war das weichste Toilettenpapier ever! Selbstverständlich
handgeschöpft mit Nordseewasserzeichen, fair gehandelt, biologisch abbaubar
aber nur mechanisch zu verwenden. Dafür ein außergewöhnliches Dekor. Die
Anmutung spiegelte die tägliche Tide wider und die Prägungen verliefen sich wie
die Priele im Wattenmeer.
Jetzt folgt mir bitte zum
Strand, denn es gibt auch hier berichtenswertes. Beginnen möchte ich mit der
Feststellung, dass junge Väter und Mütter die mit Abstand besten Sandburgenbaumeister
sind, die an bunten Schäufelchen ihre ganze Erfahrung aus glücklichen
Kindheitstagen ausleben können. Die staunenden Reproduktionen dienen entweder
als Beschaffer von Nordseewasser, portionsweise in farbigen Eimerchen, oder
ganz simpel als Staffage. Das Wasser dient im Übrigen nicht der Abkühlung oder Reinigung,
sondern zur Stabilisierung der sandigen Wehranlagen gegen die erbarmungslose rhythmisch
heranrauschende Flut.
Die Herren der Schöpfung
trugen zu meiner großen Verwunderung entweder weiße oder hellblaue
Businesshemden, die bei frischer Brise oder zum Sundowner mit dunkelblauen, respektive
hellgrauen Kaschmirpullovern kombiniert wurden. Alternativ konnte man noch Westen
von Moncler, ohne Naserümpfen zu ernten, tragen. Unten herum herrschte jedoch noch
größere Uniformität. Nur einfachere Sandler begnügten sich mit Shorts von
Lacoste, die Norm sind schwimmfähige Beinkleider von Vilebrequin (der Einfachheit
halber von mir Villeroy und Boch genannt)! Dazu passt eine Begebenheit, die ich
im Shop der „Buhne16“ persönlich erleben durfte. Eine junge, offensichtlich gut
situierte Mutter mit ihrer Prinzessin, betrat den Raum. Das verwöhnte Balg
fragte: „Mama, was machen wir hier?“ Die unkommentierte Antwort: „Shoppen! Merk
dir diesen Begriff gut!“
Damit wären wir auch schon
bei der Garderobe der Damen angelangt. Die Mädels waren gewandet in wallenden,
seidigen Fähnchen mit einem Dekor, welches mich unweigerlich an „Delfter
Kacheln“ erinnert. Neben den niederländischen Blautönen gab es sie auch in rot
und schwarz. Blau dominierte. Die Kombination mit Kaschmirpullöverchen zu
vorgerückter Stunde gehört selbstredend zum Standard-Outfit, vereinzelt stellte
man auch farblich harmonierende Kaschmirschals zur Schau.
Abschließend muss ich
dokumentieren, dass die mir Angetraute sich todesmutig in die Fluten der Nordsee
gestürzt hat! Bei Ebbe. Das leicht angewärmte Gewässer polaren Ursprungs
schwappt periodisch vom nordischen Eismeer an die Nordseeküste. Ich habe in der
Zwischenzeit die Rettungsgasse freigehalten.
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