Alles begann mit einem Telefonanruf. Die ausländische Vorwahl entpuppte sich als italienische. Mit der Begründung: „Schorschi allein Zuhaus“ köderte mich der Gute ein paar sonnige Tage am Lago zu genießen. Der entleerte Koffer vom Comer See und Südtirol stand noch griffbereit im Flur – wenn das kein Zeichen war. Das Freifragen verlief erfolgreich und so konnte es schon nach wenigen Tagen erneut Richtung Italien gehen. Das Dach des neuen Roadsters war ebenfalls noch geöffnet, der Kofferraum nahm die beschränkte Garderobe raumgreifend auf, festes Schuhwerk sollte nicht fehlen und das Konto von den Gefährdeten für Altersarmut war durch die Rentenanstalt pünktlich wieder gefüllt worden. Voller Vorfreude und mit vollem Tank erfolgte der Start.

Gabi und Jürgen campten mit Luca und Lilli am Lago. Der Camper lag förmlich am Wegesrand und in meinem Kopfkino spielte der Film:  So sehen Verdatterte aus, wenn unerwarteter Besuch kommt. Der Film riss augenblicklich, als ich die Frontlinie am Lago erschlich – die Heimzusuchenden waren nebst beiden Vierbeinern ausgeflogen. Offensichtlich Gassi gehen. Da die Heimkehr unabsehbar war musste ich auf den verdatterten Blick verzichten und unverrichteter Dinge, ohne Genugtuung des geplanten Überraschungsmomentes, weiter entlang am Ufer des Lago crusen.

Hinter Verbania rechts ab bis Mergozzo, wo die Ampel an der Seepromenade wie gewohnt auf Rot stand. Bis zur Grünphase das Postkartenpanorama wirken lassen und flugs in die enge Gasse abbiegen, die nach Bracchio hinauf  führt. Die letzten Meter ähnelten eher einem unbefestigten Feldweg, der in deutschen Landen ausschließlich zum „Landwirtschaftlichen Verkehr“ freigegeben wäre. Bei Giggi ein letzter Schlenker und unter dem Gepiepse aller Abstandssensoren ins Domi-Ziel. Alles ohne Navi! Nach der ewig roten Ampel folgte das zweite Hervorsehbare: Schorschi. Offensichtlich hatte der Dorffunk irgendwie das Eintreffen des Ersehnten bereits prognostiziert, denn er erwartete mich aufgeregt am Hoftor. Die ersten Kommentare und Blödeleien verhießen ein paar entspannte, lustige Tage. Die wenigen Habseligkeiten waren im Nu verstaut, das Bett in wenigen Minuten frisch bezogen. Hier zahlte sich der Drill beim BGS in den 70er Jahren nachhaltig aus. Gelernt ist halt gelernt!

Von der Terrasse aus war es mir vergönnt den Besuchten bei der Gartenarbeit zu bewundern. Nicht nur mit dem grünen Daumen, sondern gleich mit allen zehn grünen Fingern ausgestattet, fingerte er gekonnt unerlaubt eingeschlichene Unkräuter und Gräser aus der Kolchose. Behänd wurde loses, welkes Blattwerk zusammengefegt. Selbst Zuschauer mit fahlen, farblosen Daumen erkannten auf Anhieb welch natürliche Begabung hier am Werk war. In mir keimte die Idee auf, die Geschicke des Bewunderten in einer Enzyklopädie: „Er, sein Daumen und die ganze Herrlichkeit der Flora“ zusammenzufassen und zu verlegen. Ganze Generationen von Heim- und Mondscheingärtnern würden von dem blühenden Nachschlagewerk partizipieren. Erschöpft aber glücklich und zufrieden sank der Gründäumling im Terrassensessel nieder. Er genoss die Lobpreisungen sichtlich, ehe er seinen Revuekörper in einen ansehnlichen Zustand duschte. Die Planungen für den Abend konnte in Angriff genommen werden. Mir dämmerte, dass es ein angenehmer werden würde.

Zwischen Garten-, Feldarbeit und Labsal fand noch der angekündigte Fototermin statt. Im Jahre 2004 retteten Schorschi und ich zwei hübsche Italienerinnen aus höchster Seenot und unter Einsatz unseres Lebens. Nach 14 Jahren waren auch sie etwas in die Jahre gekommen, hatten es allerdings durchgesetzt, dass wir für diese Heldentat die Ehrenbürgerschaft der Stadt Stresa erhielten, incl. der großen Ehrenplakette des nautischen Vereins zur Rettung schiffbrüchiger Nixen. Das gemeine Volk und die Honoratioren der Gemeinde jubelten uns zu. Für uns war es eine Selbstverständlichkeit Leben zu retten.

Mit der Dämmerung stellte sich auch der Appetit ein. Wir einigten uns auf ein Lokal hoch oben am gegenüberliegenden Gebirgszug.  Zur Sicherheit reservierten wir zwei Plätze. Mit den Spezialitäten Pils vom Fass und Kastanien-Gnocchi vorweg sowie Steak im Dialog mit frischem Marktgemüse, begleitet von einem kühlen Glas Wein philosophierten wir über das Leben im allgemeinen und speziellen, über die Heldentaten vergangener Epochen, mit den ganzen Huldigungen, sowie die floralen Höhepunkte des Tages. Auf der Fahrt zurück machten wir noch einen geplanten Stopp an der legendären Eisbude unseres Vertrauens. Auch hier wartete eine johlende Menge Eingeborener, die einen Blick auf die heldenhaften Retter erhaschen wollten. Mit Berta, einem ausgezeichneten Grappa, und voller Ehrfurcht über das nahende Naturschauspiel diverser Gewitter beendeten wir den anstrengenden Tag.

Lautes Geklapper in der Küche weckte mich und die Lebensgeister. Die Gewitter hatten sich noch nicht restlos verzogen und verwässerten unsere Pläne zusehends. Spontan wie es unser Naturell ist, entschieden wir uns für Shoppen in Verbania. Die begehrte Beute in Form einer hellbeigen Hose konnte nicht erlegt werden. Stattdessen erstand der Heimgesuchte zwei Scheren und zwei Frühstücksmesserchen. Scharf wie Rettich. Ach ja, und einen Gürtel aus Leder mit glänzenden Nieten besetzt. Sie, die Nieten standen im krassen Gegenteil zu den Heldentaten und anderen Begabungen. Nur der Glanz offerierte Parallelen.

Der Meister persönlich schwang in der Küche den Kochlöffel. Spaghetti al Arrabiata stand auf dem Speisenplan. Der Gruß aus der Küche bestand aus Salat und Burrata. Die Flasche Rotwein sollte schon entsorgt werden, da nach dem Öffnen weder Düfte nach reifen Beeren oder Leder unsere Sinne betörte, sondern eher Essig und Altöl. Allerdings wandelten sich die Aromen nach ein paar Minuten des Durchatmens im Glas und wir vernichteten den „Guten“ bevor er es sich noch einmal anders überlegen konnte. Um Kraft für den folgenden Tag zu sammeln beschlossen wir bei Zeiten ins Bett zu gehen. Zuvor statteten wir jedoch dem besten, weil einzigen Restaurant im Örtchen einen kurzen Besuch ab. Für ansprechende Unterhaltung sorgte die heimische Band. Sie probte im Nebenraum. Zunächst schien es als ob zwei Bands gleichzeitig probten und jede eine eigene Weise interpretierte. Emilio erschien auf der Bildfläche und klärte uns fachmännisch auf, dass im Nebenraum eine Band probte und im Kellergewölbe eine zweite Band alles gab. Da die Töne jeweils in eine Ohrmuschel links sowie rechts vom Kopf drangen, und die Darbietungen mitten im Kopf aufeinanderprallten, entfachten sie dieses unnachahmliche Notenfeuerwerk, was wir irrtümlich als Unmusikalität anprangerten. Nach einem Glas Roten war dann Schlußrambo.

Der neue Tag bescherte uns neues Glück. Das Wetter zeigte sich von seiner italienisch besten Seite. Leichtes Gewölk aber trocken. Der Wanderung stand nichts mehr im Wege. Da es nicht nur hoch hinaus, sondern auch hoch her ging, viel die Wahl der Kleidung auf mit Jäckchen. Es sollte sich bewähren, denn in der Höhe der Alpen pfiff der leichte Wind ein kühles Lüftchen. Wir erwanderten eine Hochebene wie sie sonst nur in Broschüren der Touristikverführer zu bewundern ist. Hier wurde sie leibhaftig. An den Rundkurs fügte sich nahtlos der steinerne Aufstieg in höhere Regionen an. Die Mühen sollten belohnt werden. Eine weitere Hochebene erfreute uns mit schönen Aussichten in Bild und Mahl. Vom Vesperteller aus Plastik schmachtete uns die ganze Vielfalt der Eigenherstellung an. Käse, Speck in der drei Variationen, Salami und Brot. Dazu ein Gläschen Weißwein, und der Tag war gerettet. Für den Abstieg wählten wir eine kürzere Route. Noch voll der biologischen Köstlichkeiten wollten wir auf ein Abendmahl verzichten. Der Vorsatz reichte allerdings nur bis nach dem Duschen. Per Pedes gings nach Mergozzo, mitten ins Postkarten-Idyll. Eine Pizza der besonders feinen Art und ein Gläschen Frisante rundeten einen ereignisreichen Tag ab. Um das Gewissen zu beruhigen schlenderten wir noch durch die Gassen des malerischen Örtchens zur Kirche St. Elisabetha. Hier tobte das legendäre Kirchenfest zu Ehren der Besungenen. Ohne Choräle aber mit Popmusik, die bis an die Grenze zum absoluten Tinnitus aufgedreht war. Der DJ, ein in die Jahre gekommener ergrauter Spätsechziger, plärrte auch noch zu den Evergreens ins Mikro, sodass die heilige Elisabetha ohne uns weiterfeiern musste. Ich vergaß zu erwähnen, dass die altehrwürdigen Gässchen mit bunten, wild flackernden LED Lichterketten geschmückt waren, die sicher das vergangene Weihnachtsfest zu einem Hort der Besinnung verzaubert hatten.

So schnell geht es – die Tage der Heimsuchung waren beendet und es ging zurück, heim ins Reich. Der frühe Aufbruch über den herrlichen Simplon machte sich bezahlt, da die Schar der Rückreiser erst Stunden später die Straßen und Pässe verstopfte. La Lago go! Auf ein baldiges Neues!