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Kategorie: G Reportagen (Seite 3 von 5)

Heidelberger Impressionen

Die siebzehnte Tour sollte uns Heidelberg historisch, kulturell und kulinarisch näher bringen. Ich nehme es vorweg: Es hat erwartungsgemäß geklappt! Aber beginnen wir von vorn. Der Vatertag fiel dieses Jahr ausnahmsweise vor den Muttertag. Und so konnten wir, die Väter, bereits am Anreisetag diverse Huldigungen entgegennehmen. Es war dieses Jahr eine recht kleine Gruppe, bestehend aus 11 Teilnehmern. Private Termine hinderten den ein oder anderen, das jährliche Highlight zu genießen. Mögen sie eventuell diesen Zeilen entnehmen, was ihnen 2018 entgangen ist.

Wenn die Hotelbar schon als Treffpunkt vereinbart wird, dann wundert es keinesfalls, dass bereits gegen 16:00 Uhr die ersten alkoholischen Erfrischungen gefragt waren. Ein Telefonat brachte kurzfristig ein wenig Unruhe in die Gruppe, und ohne detaillierte Erklärungen verließen zwei Teilnehmer die Runde. Ich komme später auf den Grund zurück, konzentriere mich zunächst auf den parallel stattfindenden Ortswechsel ins Rossi. In schönem Ambiente des Kaffees mit Biergarten (?) war ein Tisch für uns reserviert, um die erste Stärkung einzunehmen. Kuchen vom Büfett sowie Variationen von Vorspeisen fanden reichlich Zuspruch. Und selbstverständlich wahlweise Pils oder Weißwein. Uns gelang es in wenigen Minuten den recht hohen Geräuschpegel anzuheben, im Laufe der Anwesenheit sogar zu überbieten. Über die Entfernung vom Südzipfel des Tisches bis zum Nordzipfel fand ein reger Informationsaustausch statt. Die wesentlichen Inhalte hatten ausschließlich in einer gesteigerten Phonzahl die Chance verstanden zu werden. Auf Nachfragen zu unverstandenen Passagen gab es jedoch noch Reserven.

Zugegeben, die Anfahrt zum Hotel verlief nicht wirklich geschmeidig. Die kommunizierte Adresse führte mich zum Beispiel mehrere Male zum Hauptbahnhof, anstatt zum Hotel. Auf dem daraus resultierenden Rundkurs durch Heidelberg bewunderte ich die Konsequenz der Ampelschaltungen. Alle, aber auch alle standen auf Rot. Sicher eine Aktion des örtlichen Touristik-Verbandes, um sich die Stadt verkehrstechnisch eindrucksvoll zu erschließen. Die zweite Herausforderung bestand im Finden der Tiefgarage. Ohne Ortskenntnis konnte es trotz Navi durchaus zu Irrfahrten kommen. Eine dieser Odysseen endete überraschend in einer privaten Tiefgarage. Hier erkannte man augenblicklich, dass sowohl das Verhältnis zwischen der Größe des Mobils und der der Parkboxen eine gewisse Disharmonie aufwies, als auch, dass der sinnvolle Rückzugsweg ohne autorisierte Schlüsselgewalt nahezu unmöglich war. Mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel und der Hilfsbereitschaft des Hotelpersonals konnten zunächst die Irrfahrer lokalisiert und in beachtlich kurzer Zeit befreit werden. Allerdings bestand nach wie vor das Problem der Disharmonie zwischen Auto und Räumlichkeiten Herr zu werden. Zwischen Schlagbaum und der rettenden Straße war ganz besonderes Vermögen von Nöten. Die mittlerweile angestaute Menschenmenge verwandelte sich im Handumdrehen in ein Outdoor-Wettbüro. Die Quoten standen 40:60. Außerdem trug sie keinesfalls zur Beruhigung des Chauffeurs bei. Dennoch rettete er die Situation mit ruhiger, erfahrener Hand. Unter dem Jubel der Anwesenden erreichte er schließlich sein Ziel und konnte im Rossi seinen Ärger flugs herunterspülen. Gemeinsam wurde im Hotel zu Abend gegessen und der Tag klang da aus, wo er begonnen hatte – in der Hotelbar.

Tag zwei war prall gefüllt mit Aktivitäten. Bereits um 09:00 Uhr wartete Jörg am Löwenbrunnen auf uns. Jörg, der lizensierte Stadtführer. Wissensdurstig lauschten wir seinen Berichten zur Geschichte von Heidelberg und mancher Anekdote. Wir besichtigten Kirche und Karzer, mussten in der Fußgängerzone Acht geben, dass wir nicht überfahren wurden und gewannen den Eindruck, dass Heidelberg doch ein wenig angestaubt war. Im doppelten Sinne des Wortes. An der Universität wird u.a. in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten brotlose Kunst unterrichtet und werden zukünftige Taxifahrer ausgebildet. Was aus den Absolventen wird, wenn sich das autonome Fahren etabliert hat, schwebt noch im Nebulösen.

Nächster Höhepunkt das Mittagessen. Vom Hunger zermürbt fand sich die Truppe vorzeitig im Hackteufel ein. Die angedachte Freistunde wurde nicht wahrgenommen, da in der längsten Fußgängerzone Deutschlands neben Autos und Asiaten nur noch Brillengeschäfte sowie Souvenirläden auf uns lauerten. Das Mahl im Hackteufel lähmte die letzten Lebensgeister. Bleierne Müdigkeit breitete sich aus. Doch der nächste Programmpunkt mahnte zum Aufbruch. Es war kaum Zeit zum Luftholen. Zum Eisholen jedoch ergab sich noch eine Gelegenheit. Und so bequemten wir uns ohne zu kleckern zum Anlegesteg der „Weissen Flotte“.

Wir schleppten uns auf das Sonnendeck, denn der Wettergott meinte es wirklich gut mit uns. Wir waren offensichtlich zu schnell gegangen, denn wir erreichten den Seelenverkäufer mehr als rechtzeitig. Und so war es uns vergönnt, dass wir die freie, perfekte Wahl der besten Plätze hatten. Uns zuvor kam nur ein Solotrio undurchsichtiger Typen, die in intimen Verhandlungen mit drei gecharterten Mädels aus dem indonesischen Raum standen. Ob, und welcher Vertrag zustande kam blieb für uns offen.

Eine weisse Flotte der Weissen Flotte notierte unsere Getränkewünsche. Ich erwähne dies deshalb, weil es auch einen flotten Schwarzen der Weissen Flotte gab, der auf der gegenüber liegenden Deckseite bediente. Aber das nur nebenbei. Und so schifften wir flussaufwärts nach Neckarsteinach, wo Kaffee und Kuchen, respektive Bratwurst und Pommes Schranke im schattigen Biergarten auf uns wartete. Auch das Solotrio mit den drei gecharterten indonesischen Mädels erkor den Biergarten als weiteren Verhandlungsort.

Per Fußmarsch zum Bahnhöfchen, von wo die Rückfahrt starten sollte, wurde erheblich beschwerlicher. Die Bahnfahrt war relativ unromantisch und ohne besondere Vorkommnisse. Und sogar pünktlich. Taxis beförderten die Fußlahmen ins Hotel. Duschen und Umziehen standen an. Nächster Treffpunkt im Foyer des Hotels. Das Heidelberger Schloss wartete auf uns! Die Kulisse hatten wir aus diversen Perspektiven, aus Stadt, Land, Fluss bereits in Augenschein genommen.

Was wir von der Bahn erwartet hatten, realisierten die Taxis zum Schlossberg. Verspätungen. Wo sich in Jahrhunderten Könige und andere Blaublüter vergnügten wurden wir zum Sektempfang empfangen. Die Terrasse lud zum gemütlichen Verweilen ein. Eigentlich, denn Heidi, die Schlossführerin, harrte darauf ihr reichlich historisches Wissen an uns weiterzugeben. Das Heidelberger Schloss ist die größte Schlossruine Europas. Ob das Schloss in Teilen ruiniert wurde, um diesen internationalen Titel sein Eigen zu nennen ist nicht hinreichend belegt.

Was die Kulisse aus der Entfernung versprach hielt der näheren Betrachtung stand. Neben beeindruckender Bauweise begeisterte das größte Holzweinfass der Welt, mit einem Fassungsvermögen von 220.000 Litern. Bauern und Winzer hatten ihre Steuern, das Zehnt, darin abzugelten. Welch` glorreiche Zeiten: Ein Zehnt! Ein Gnom soll das Cuvee höchstpersönlich verkostet haben. Manch professioneller Trinker der heutigen Hofnarren, mehr oder weniger bekannt aus Funk und Fernsehen, eifern ihm erfolgreich nach. Ohne allerdings in Funk und Fernsehen die mediale Würdigung dafür zu erhalten.

Dem gegenüber erwies sich unsere 3 Literflasche Weissburgunder (Jeroboam) als überaus enthaltsam. Der weisse Burgunder zeigte sich von seiner besten Seite, vollmundig mit nachhaltigem, langem Abgang. Dazu passend das Dreigang-Spargelmenü. Zur Untermalung von Speisen und Getränken in herrschaftlichem Ambiente erklang Gesang von der Hofbühne. Hier fanden die letzten Proben für das nahende Sommertheater statt. Bitte nicht verwechseln mit dem zu erwartenden Sommertheater der politischen Szene!

Speis und Trank erfreuten sich allgemeiner Wertschätzung, der Abholservice war überraschend pünktlich, und in der Hotelbar ließen wir uns Spargel, Kalbsschnitzel, Weissburgunder und co. noch einmal auf der Zunge zergehen. Ein absolut gelungener Tag fand seinen würdigen Abschluss. Die Runde löste sich alsbald auf, denn wohlige, Zufriedenheit und Müdigkeit suchte alle Freunde Heim.

Zum späten Frühstück erschienen alle wieder in alter Frische. Packen, Auschecken und die Heimreise stellten keine übermäßigen Herausforderungen. Und so freuen sich schon alle Teilnehmer auf den achtzehnten Diskurs, wo immer wir uns in einem Jahr wieder treffen werden. Dem Organisator und Spender sei noch einmal ein herzlicher Dank!

 

1. Mai Standerung

Der Geist ist willig, aber das Fleisch! Doch darauf komme ich später noch zurück. Es ist die christliche Pflicht des Chronisten wahrheitsgetreu zu berichten. Im Zeitalter von fake news sicher eine lobenswerte Ausnahme. So sei es.

Es ist schon ein erhebendes Gefühl, bei der Geburt einer Tradition Pate zu stehen. Genauer gesagt, ein aktiver Teil der Niederkunft zu sein. So geschehen am 1.Mai. Ohne den Sinn des Tages in Zweifel zu ziehen, es finden derzeit mehr Hocks in den Gemeinden statt, als Demos auf den Straßen der Republik. „Samstags gehört Vati mir“ – damit fing alles an. Seit dem hat Vati Zeit, sein Auto samstags gründlich zu wienern. Und den ersten Mai begeht er auf Bierbänken. Allerdings nicht, ohne vorher eine Radtour oder Wanderung über sich ergehen zu lassen. Dutzende Gruppen fußlahmer Horden streifen unkoordiniert, mit Mann und Maus durch Wald und Flur. Immer gierig den Zapfhahn und die Grillwurst im Visier.

Da hat sich unsere Gruppe wohltuend vom gemeinen Volk abgesetzt. Unser Ziel war von vorne herein gemeinsam eine kroatische Grillpfanne zu genießen und die fette Wurst mit einem original gebrannten kroatischen Grappa zu kontern. Ohne die Spannung vorweg zu nehmen: Wir haben das Vorhaben in die Tat umgesetzt. Es war kaum ein Zehntel des Weges bewältigt, als bereits ein Profilaxe auf die Fette Wurst erforderlich war. Ein Mann, ein Wort! Den Damen war es vergönnt, sich an einem selbstgepanschten Balleys abzuarbeiten.

Ohne Fleiß kein Preis. Und so traf sich der harte Kern der Karfreitagswanderung zur 1.Mai-Wanderung. Zehnuhrdreissig war Abfahrt zum Abmarschpunkt. Die gelbe Raute wies uns den Weg durch Wiesen und Felder bergauf zum ersten Hock mit Blasmusik, die Gott sei Dank eine verdiente Ruhepause einlegte, die nahtlos in eine längere Mittagspause überging. Am Bierstand liefen Naturtrübe geschmeidig. Als Problemzone stellt sich die Grillstation heraus. Die Warteschlange hatte rekordverdächtige Dimensionen und die ersten Wartenden mussten bereits künstlich ernährt werden. Schorletransfusionen verhinderten Schlimmeres. Ungeachtet der Unzulänglichkeiten an der Grillstation half uns eine Stärkung mit Hochprozentigem.

Wie ist eigentlich die weibliche Form von „Neuling“? Ich frage das nicht grundlos, denn eine Neulingin gesellte sich unerwartet in die Gruppe. Erwähnen möchte ich dies, weil diese Neulingin bis in die frühesten Morgenstunden in den Mai getanzt war, hier bereits mit diversen vorbeugenden Trünken auf die fette Wurst gefeiert hatte, außerdem allen sportlichen Aktivitäten bisher erfolgreich widerstanden hat. Trotz all dieser Widrigkeiten erschien sie pünktlich zum Abmarsch, und absolvierte die Route ohne große Schwächeanfälle sowie wehleidiges Gejammer. So ist`s recht!

Müßig zu erwähnen, dass im Verlauf des Weges die ein oder andere Stärkung im oberen Prozentbereich über Steigungen und Stolpersteine hinweghalf. Beim Erreichen des zweiten Hocks spalteten sich die Sehnsüchte. Während ein Teil für pausenloses Weiterwandern plädierte, zog es die Andersdenkenden magisch an den Bierstand. Rasch wurde ein Kompromiss ausgehandelt. Für die Fraktion der Weiterwanderinnen ergab sich die Möglichkeit ihre Notdurft zu verrichten. Die durstigen Seelen leerten rasch ein Gezapftes innerhalb der Verweildauer. So kamen beide Parteien zu ihrem Recht.

Fast vernachlässigt hätte ich die Heimsuchung in einer Kapelle mitten im Wald, die aus hinkelsteinähnlichen Buntsandsteinblöcken unter größten Anstrengungen errichtet wurde. Innige Hochzeitsgelüste keimten in einigen Herzen auf. Irritierte Blicke der Auserwählten folgten. Die Gunst der Stunde verstrich antragslos.

Die letzten Kilometer absolvierte die Gruppe zügig. Es lockte die kroatische Grillpfanne, der selbstangebaute und gekelterte Weißwein, sowie die fette Wurst und alle sich daraus ergebenden Folgeerscheinungen.

Erschöpft aber glücklich sank die Bagage nieder. Das Ziel war erreicht. Sogleich wehten die kroatischen Düfte um die teilweise blassen bzw. geröteten Nasen. Erste Geschmacksfäden bildeten sich in den Mundwinkeln. Ein kleines 5Ltr. Holzfässchen mit Slivovic wurde fürs Digestiv bereitgestellt. Es gesellten sich weitere Fusslahme zu uns – das leckere Mal wollte sich keiner entgehen lassen. Es kehrte gefräßige Ruhe ein. Nur gelegentlich unterbrochen von ein paar Ahs und Ohs und Hms.

Der letzte Wurstzipfel war noch nicht richtig genossen, standen bereits die Stamperl für den Selbstgebrannten auf dem Tisch. Aus dem Holzfass war der Genuss des eigen produzierten Slivovic auch optisch eine Delikatesse. Synchron wurde nun Selbstgebrannter und selbstgekelteter Cuvee mit langem Abgang konsumiert, der alle Rebsorten veredelte, einmal quer durch den Weinberg. Und je fröhlicher die Runde wurde, umso verwegener wurden die Gedanken. So kam es denn auch, dass eine Wiederholung des Festmahls zur Diskussion stand, dieses alsbald aber zur jährlichen Regelmäßigkeit erkoren wurde. Ja so ist es eben wenn die Stunde der Geburt einer Tradition zuschlägt. Dann gibt es kein Halten mehr. Am Tag der Arbeit.

Abschlussfrage: Wie verhält es sich eigentlich am Tag der Arbeit mit Beamten? Und nicht zu vernachlässigen, mit Rentnern? Ernstgemeinte Zuschriften bitte unter www.armins-nach-richten.de!

Post Skriptum: Die Bezeichnung einer Standerung ergab sich aus der Tatsache, dass die Wurstprofilaxe ausschließlich im Stehen zu sich genommen werden konnte. Will heißen, es wurde eher mehr gestanden als nicht. Dennoch legten wir eine Strecke von gut zehn Kilometer zurück. Alle Achtung!

Rund um den Kaiserstuhl.

Dreihundertundvierundsechzig Meter hoch ist der aus roten Ziegeln gemauerte Schornstein eines Kohlekraftwerkes in Slowenien! Warum sage ich euch das? Ganz einfach, ich musste mir es auch anhören. Geteiltes Leid ist nun mal halbes Leid! Doch lasst mich von vorn beginnen.

Es war alles gerichtet für die erste gemeinsame Radtour als Rentner-Ehepaar. Zwei Tage Kaiserstuhl: Zum, Drumherum und zurück. Ordentlich wie ich nun mal bin, stand ein letzter technischer Check auf der To Do Liste. Die Satteltaschen waren gepackt, Kartenmaterial griffbereit, vollgetankt und Kette geölt, Lichtlein leuchten lassen (Obwohl keine Nachtetappe geplant war. Aber man weiß ja nie!), Probeklingeln und Luft aufpumpen. Das Schicksal nahm seinen Lauf, als das Ventil am Damenrad vorn die Luft nicht mehr halten konnte. Unter Ausstoßen von Verwünschungen, die nicht kinderzimmertauglich waren und auf eine nachlässige Erziehung schließen ließen, schob ich das Rad zum ortsansässigen Fahrradladen. In der Hoffnung passendes Schlauchwerk erwerben zu können. Der Besitzer, ein ausgewiesener Zweiradgeselle, eine Seele von Mensch, aber eben auch der Erfinder der Slowmotion. Da hätte ich aber großes Glück, dass ich ihn anträfe, er sei gestern erst aus Slowenien zurückgekommen. Und eigentlich physisch und psychisch noch nicht in der Verfassung seinem Handwerk nachzugehen. Als quasi Nachbar, und durch die Kenntnis unseres Reiseplanes bot er augenblicklich seine handwerklichen Fähigkeiten an. Das Damenrad und ich arbeiteten uns schon mal in die Werkstatt vor. Ein schier unglaubliches Arsenal an Schrauben und Muttern, Bremszügen und Lampen, verrosteten Pedalen und Gepäckträgern, Felgen mit Achtern und Ketten, Ketten, Ketten und noch einmal Ketten. Ich fasste sofort großes Vertrauen in den Zweiradgesellen meiner Wahl. Nach Sichtung des Malheurs begann er mit einem ausführlichen Reisebericht aus Slowenien. Wohin, warum, wie lange, Fahrtzeit, Freundlichkeit der Eingeborenen, Höhen von Schornsteinen eines Kohlekraftwerkes etc.. Nur ein flüchtiger Blick auf die Uhr spornte ihn an, sich im Laden, der eine Ewigkeit von der Werkstatt entfernt, vorne an der Hauptstraße lag, um sich nach einem passenden Schlauch mit intaktem Ventil umzuschauen. Nach der glücklichen Rückkehr genehmigte er sich erst einmal eine wohlverdiente Beruhigungszigarette, eher er sich intensiv dem Vorderrad widmete. Flugs war der Reifen von der Felge, der defekte Schlauch entfernt, des Übels Kern ausführlich begutachtet und unter Kopfschütteln in eine Kiste geworfen, in der haufenweise defekte Schläuche ein schlauchunwürdiges Dasein fristeten. Staub wirbelte auf. Nachdem die Sicht wieder frei war, folgte der fachgerechte Einbau des neuen Reifens. In wenigen Minuten war auch der Kompressor hochgefahren. Unter Schnaufen und Stöhnen, aber mit dem erforderlichen Druck wurde der Pneu unerwartet schnell in Fahrbereitschaft versetzt. Irgendwie hielt das Ergebnis dem prüfenden Blick des munteren Gesellen jedoch nicht stand. Bis zu drei Mal wiederholte sich die Prozedur, so dass ich allein vom Zuschauen eine Zweirad-Gesellenprüfung mit Summa Cum Laude hätte abschließen können.

Mit Entsetzen nahm der Reparateur die porösen Stellen des Mantels wahr. Seine Ehre als erfahrener Handwerker ließ es nicht zu, uns mit einem porösen Mantel zur Kaiserstuhlumrundung zu entlassen. Es war Gottes Fügung, dass er ein passendes Exemplar im Laden aus einem Regal aus der Jahrhundertwende kramte. Nach einer obligatorischen Beruhigungszigarette waren der poröse Mantel entsorgt, der neue montiert, die Luft eingeschnauft und der Prüfblick abgeschlossen. Mir blieb verborgen, was ihn zu einem erneuten Anlauf des gesamten Montagevorganges bewegte. Auch dann noch, als sich der Vorgang mehrere Male wiederholte. Ich beschloss nicht nach dem Grund zu fragen, da die gutgemeinten Erklärungen das jähe Ende unseres Planes bedeutet hätten. Irgendwie und irgendwann war das Werk vollbracht. Nur noch rasch das Vorderrad noch einmal ausbauen, die Profilrichtung entsprach nicht der Fahrtrichtung. Oder so. Als absoluter Fachmann für Zweiradtechnik und gemauerten Ziegelschornsteinen von slowenischen Kohlekraftwerken trat ich schließlich den Heimweg an. Ich wäre mittlerweile um eine ganze Schachtel Beruhigungszigaretten froh gewesen. Der Nichtraucher in mir siegte allerdings.

Meine Radelpartnerin und Ehefrau erwartete mich sehnsüchtig, abfahrbereit auf dem Hof. Die Satteltaschen waren im Handumdrehen angebracht. Es konnte losgehen. Es ist müßig zu erwähnen, dass mir die Rolle als Sherpa zufiel. Entgegen der Fliessrichtung des Rheins radelten wir, bei strahlendem Sonnenschein gen Kaiserstuhl. Ich hatte ausreichend Zeit von dem Werkstattaufenthalt zu berichten und die Höhe des gemauerten Ziegelschornsteins eines slowenischen Kohlekraftwerkes exakt verbal zu beschreiben.

Nach ein paar unwesentlichen Umwegen steuerten wir schließlich unser erstes Etappenziel an: Die Eisbude in Königschaffhausen. Die Köstlichkeiten der geadelten Eismanufaktur versüßten uns den warmen Herbsttag zusätzlich. Unweit der Eisbude begaben wir uns auf den Kaiserstuhlradrundweg. Obwohl es ein normaler Werktag war, nutzten offensichtlich diverse Artgenossen den goldenen Herbsttag, um ebenfalls diese Tour zu genießen. Wie Albert Einstein dereinst die Formel (e=mc²) entwickelte, kann ich die Rechte für das folgende Forschungs-Ergebnis anmelden (>60=e+). Mit unseren durch pure Muskelkraft angetriebenen Velos bildeten wir eine geduldete Minderheit. Quasi Relikte aus einer vorgeschichtlichen, akkulosen Ära. Im Schatten eines knorrigen Apfelbaumes genehmigten wir uns ein paar liebevoll gerichtete Schnittchen. Zweites Etappenziel war Breisach. Mit dem Glück des Tüchtigen ergatterten wir im Nu einen freien Platz im Café Ihringer. Die beiden jungen Mädchen störten uns nicht. Sie hatten wichtige Probleme zu klären, etwa welche Schuhe zu dem neuen Kleidchen passen würden. Die sauer gespritzten Biere zischten erquicklich und die Sonne hatte bereits an Strahlkraft eingebüßt, neigte sich langsam in Richtung Horizont. Ohne Eile genossen wir die letzten Strahlen, bevor wir uns aufmachten die letzten sechs Kilometer zum Hotel in Angriff zu nehmen.

Frisch geduscht und mit der Rückkehr des Tatendranges eroberten wir die City von Ihringen. Die Suche nach einem guten Lokal entpuppte sich als nicht ganz so leicht. Montage wurden auch am Kaiserstuhl gerne als Ruhetage genutzt. Wir landeten schließlich in einem Weinlokal (welch Zufall in Ihringen!). Mit einem knackigen Salat, Hechtklößchen, Zander auf der Haut gebraten und auf Weinsauerkraut gebettet, dazu ein ordentlicher Riesling versöhnte uns mit den Erinnerungen an gemauerte Ziegelschornsteine von slowenischen Kohlekraftwerke. Der hochwohlverdiente Erholungsschlaf war nur von kurzer Dauer. Unser Zimmer lag zur Straßenseite. Es erinnerte uns leidvoll daran, dass es ja auch noch eine arbeitende Schicht der Bevölkerung gibt. Das Frühstücksbuffett war im Internet korrekt beschrieben: Reichhaltig.

Der zweite Teil der Route war eindeutig der schönere. Und so radelten wir zufrieden und gemütlich gen Riegel, und von da wieder in Richtung gelobtes Land. Ohne besondere Vorkommnisse erreichten wir wieder Haus und Hof. Nun stand uns nur noch ein Opfergang bevor: Die Reparatur des Damenrades musste noch beglichen werden, da ich ohne Geldbeutel die Tatkraft und den Schlauch mit intaktem Ventil des Zweiradgesellen heimsuchte. An eine derartige Erweiterung der Dienstleistung hatte ich in meinen kühnsten Visionen nicht träumen wollen. Besagter vertraute auf unsere Redlichkeit und stundete uns den Betrag bis zu unserer Rückkehr. Da ich die Geschichten um den gemauerten Ziegelschornstein eines slowenischen Kohlekraftwerkes schon live erlebt hatte, ließ ich gönnend und ganz Kavalier alter Schule meiner Frau den Vortritt, um die offene Rechnung zu begleichen. Leider fand sich offensichtlich keine Zeit für einen ausführlichen Erlebnisbericht. Sonst waren es zwei wundervolle Tage. Eine Neuauflage zur Kirsch- bzw. Apfelblüte wurde schon mal angedacht. Kommt Zeit, kommt Rad.

Auf dem Hohlweg!

In einer bisher nie dagewesenen Besetzung haben wir uns auf den Hohlweg begeben. Es war Sonntag, nach dem Kirchgang, wenn den Gesangbüchern langsam Henkel wachsen, als das Motto hieß: „Auf die Plätze, fertig, Löss!“ Wenn jetzt ein Raunen durch die Leserschaft geht, dann mit Recht! Ich möchte die Unwissenden aber nicht länger auf die Folter spannen. Was will uns das obige Motto sagen? Ganz simpel, es handelt sich um die legendären Lösshohlrundwanderwege! Wer schon gemutmaßt hatte, bei der Überschrift handelt es sich um einen Schreibfehler, und es sollte „Holzweg“ heißen, der begab sich umgehend auf denselben! Löss ist ein ockergelbes, samtweiches und flaumleichtes Gestein, aus dem der Kaiserstuhl zum Großteil besteht. Dolomitenstaub, sagt man soll es sein. Sagt man. Wie auch immer, in diesen Gesteins-Formationen haben Wind und Wetter Hohlwege gefräst, die inmitten der Weinberge einfach so herumschluchten.

Durch eben diese Lösshohlrundwanderwege wandert man so dahin, bestaunt die Bewohner des samtweichen und flaumleichten Materials, und liest die Täfelchen am Rande, um zu wissen, was ihr jetzt auch wisst. Da die Lösshohlwege stetig ansteigen liest derjenige laut vor, der noch über ausreichend Puste verfügt, oder seine Lesebrille nicht vergessen hat. So wie ich. Dafür trug ich mein neues Schuhwerk! E-Wanderschuhe, die mich hermesgleich noch oben tragen. Die biodynamische Federung nutzt dabei die Energie des Drucks der Fusssohlen auf die stoß-absorbierenden Einlagen, um sie augenblicklich wieder dem Auftrieb zuzuführen. Oder so. Ähnlich einem Perpetuum Mobile, wobei optional noch der Fussschweiß über Wärmetauscher für Frischluft im Goretex-Geläuf sorgen soll. Bei mir muss die App für diese Funktion allerdings noch nicht aktiviert worden sein. Wie auch immer.

Auf jeden Fall startet man an der WG in Bickensohl, weil sich der Ortsname am besten auf Hohl reimt. Wenn man zur Linken auf die Gartenwirtschaft schaut sollte man keine allzu großen Erwartungen und Gelüste an die Rast nach der Rückkehr setzen. Wer nach einem kühlen, erfrischenden Bierchen schmachtet, gerne auch mit einem Schuss Mineralwasser versetzt, der mögen seine Erwartungen nicht allzu hoch hängen. Die schöne Gartenwirtschaft ist kein Biergarten, sondern ein Weingarten! Es war zum Weinen, denn unbefriedigter Durst kann die Laune schon ganz schön in die Knie zwingen. Gegenüber, auf der Terrasse des Rebstocks, gab es zwar Bierchen in allen Größen und Verdünnungsvarianten, allerdings war der Koch krank, und die Karte auf ein paar Hungerstiller reduziert, die das verbleibende Personal ohne zertifizierte Ausbildung zuzubereiten im Stande war. Die Atmosphäre der Terrasse glich dem Bahnhofsvorplatz in Castrop-Rauxel.

Etliche Informationsschilder weiter verließen wir die Hohlwege, die man jetzt hätte auch Höhenwege taufen können, und erhielt freie Blicke auf die bunte herbstliche Terrassen-Reblandschaft. Die freien Blicke auf die Terrassen-Reblandschaft wurde bei jeder, ich wiederhole: Jeder, Gelegenheit schamlos ausgenutzt. Mir zwang sich der Eindruck auf, dass es mehr freie Blicke als gewanderte Schritte sein mussten. Und jedes Mal brach die Wandergruppe in schieres Entzücken aus. Dabei änderte sich das Panorama nur in Nuancen, die Bewunderung aber blieb konstant auf dem hohen Level. Ich musste meine neuen E-Wanderschuhe bremsen, um nicht ohne mich davon zu stürmen. Bereits auf der Hälfte der Strecke wurden wir mit der Ausblickbewunderungs-Medaille in Silber ausgezeichnet. Jeder erhielt eine Plakette, die in Wanderstabform gebogen war, incl. zwei Mininägelchen aus Messing. Das Hämmerchen zur Befestigung der Plakette muss hauseigen gestellt werden.

Das Bergfest fand hingegen meine vollste Bewunderung! In den Rucksäcken der Wandergruppe verbargen sich wahre Köstlichkeiten: Camembert, zum Dahinfließen, ein Stück Hartkäse, verschiedene frische Weckle, Salami in Miniformat und mit Pfefferkörnern in mundgerechten Scheiben, und: Eine Flasche französischer Rotwein, der sich alsbald als wahrer Gaumenschmeichler entpuppte. Aus den Tiefen der Rucksäcke zauberten die durstigen und hungrigen Seelen dann auch noch Weingläser aus Glas, mit Stil. Hat das nicht Stil? Mit jedem Schluck waren die Strapazen der Erklimmungen vergessen, aber der Glanz in den Augen bei den nachfolgenden freien Blicken auf die herbstliche Landschaft der Weinterrassen gewann weiter, durch die Wirkung des Rotweines, an Euphorie.

Wider alle Berauschungen an herbstlichen Farben, Gerüchen und freien Blicken fanden wir zu guter Letzt noch freie Plätze für Speis und Trank. Muse, um all die herbstlichen Eindrücke noch einmal Revue passieren zu lassen. Gesättigt und rundherum zufrieden ging es wieder gen Heimat. Die Frage nach dem obligatorischen Absacker wurde ohne lange Bedenkzeit dankend angenommen. Und so klang der schöne Tag mit Koalitionsverhandlungen und Aufarbeitung der Wahlergebnisse, mit den abnormalen Leistungen des Ironman und den unwiderlegbaren Vorteilen des Daseins als Bestager harmonisch aus. Morgen fahren Gattin, geliebte, und ich mit dem Fahrrad zum Kaiserstuhl, um den Kaiserstuhl herum, und wieder zurück. Na dann viel Spaß!

 

Internationaler autofreier Tag

Exakt 100 Tage vor Silvester haben es die beiden Rentner tatsächlich geschafft, die zweite Radtour 2017 zu starten. Und wie es der Zufall wollte, am: „Internationalen autofreien Tag“! Aber beginnen wir von vorn.

Der Wettergott und Katja Horneffer persönlich hatten es prognostiziert: Freitag, den 22.September 2017 Sonnenschein pur! Nichts hielt uns mehr in der guten Stube. Treffpunkt: Nach Auflösung des Nebels, um 10:30 Uhr in Eckartsweier. Schorschi hat hoch und heilig versprochen, keines seiner Navis mitzunehmen – obwohl er für die Wahl der Strecke verantwortlich zeichnete.

Nachdem ich mich durch den Dauerstau auf der A5 gekämpft hatte, traf ich in einem akzeptablen Zeitfenster ein. Nur noch rasch das Velo zusammenbauen, und los konnte es gehen. Vorderrad eingesetzt, Radwelle eingeführt, mit Radmuttern fest angezogen, jetzt nur noch den linken Bremsklotz fixieren – fertig. Denkste! So einfach sollte es nun doch wieder nicht klappen. Dieses Mal traf es mich, respektive mein Rad. Der Spannhebel des Bremsklotzes ließ sich nicht spannen. Als international erfahrener Spannhebel-Spanner analysierte der Vergötterte sofort den Fehler: Der Exzenter, der den linken Bremsbacken auf dem felsenfest montierten Bremsbacken-Haltegestänge fixieren sollte, war verschoben. Kein Spannen, kein Halt, keine Bremse, keine Vorderzähne. Was tun, da das multifunktionale Werkzeug-Set ausgerechnet den dringend benötigten Achter nicht parat hatte? Kurzum, wir mussten den Umweg von ca. drei Kilometer nach Marlen auf uns nehmen, um einen ortsansässigen Fachbetrieb in der dritten Generation zu konsultieren. Und natürlich zurück! Das ausgebildete Personal des zertifizierten Meisterbetriebes bestätigte die fachkundige Analyse des Spannhebel-Spanners zu seiner Genugtuung. Mit einem Griff war der Achter zur Hand, das Bremsbacken-Haltegestänge in seine angestammte Position gebracht – Start frei!

Zurück nach Eckartsweier, und ohne weiteren Zwischenstopp ging die rasante Fahrt über Willstätt in Richtung Urloffen, Renchen, etc. Entlang der Schutter, durch Wiesen und Wälder – durch Gottes schöne Natur. Das Auenland hätte nicht prachtvoller ersonnen werden können. Aus gegebenem Anlass möchte ich an dieser Stelle ganz herzliche Geburtstagsgrüße an die Hobbit-Gebrüder Bibo und Frodo Beutlin übermitteln! In einem Waldstück führte uns der Radweg bis an eine Brücke, die uns trockenen Fußes über einen Entlastungskanal bringen sollte. Sollte, weil ein Baufahrzeug der Straßenbau-Meisterei uns den Weg versperrte. Auf dem Fahrersitz döste bierselig ein Bediensteter in Warnweste, hinten, zwischen allerlei Werkzeugen und Absperrgittern, saß ein erkennbar nicht Einheimischer, ebenfalls bewarnwestet, und tippte nervös auf seinem Smart-Phone. Ohne uns zu beachten. Unter großen Sicherheitsmaßnahmen, und der extremen Gefahr ins Auge schauend, in die sich Schorschi begab, sprach er den Dösenden an. Es war Mittagspause. Die neu betonierte Brücke durfte nicht passiert werden! Ohne Geländer zu beiden Seiten der Brücke war die Gefahr einfach zu groß. Genüsslich wies uns der Bedienstete die Umleitung: 900 Meter, zwei Mal links, und eine weitere, allerdings begeländerte Brücke sollte uns sicheres Geleit über den ausgetrockneten Entlastungkanal bieten. Gesagt getan – obwohl uns, ganz ehrlich gesagt, das Verständnis für diese Notwendigkeit absolut fehlte! Aber in solchen Situationen haben Bedienstete einfach die besseren Argumente.

Die Zeit war schon fortgeschritten, als wir in Appenweier vor den Entscheidung standen: Eisbude jetzt, oder gleich durchfahren nach Ulm zum Bauhöfer. Und auf der Rückfahrt Eisbude. Die Qualität des Eises riet uns für sowohl als auch. Jedoch die magere Aussicht auf die, ab 14:00Uhr, reduzierte Speisekarte bei Bauhöfers ließ uns dann, allen Gelüsten widerstehend, die direkte Fahrt in den Biergarten wählen. An unserem Tisch hatte sich bereits ein älteres Paar breit gemacht, die durch ihre kanarienvogelgelbenTrikots weithin leuchteten. Uns blieb nur ein Schattenplatz. Die Bedienung war von den schnellen Art. A-Schorle und Frikadellen mit Kartoffelsalat standen im Nu vor uns. Schorschi ging mit dem Gedanken schwanger, uns von seiner Angebeteten abholen zu lassen, und auf die Rückfahrt zu verzichten – nicht allerdings auf eine ordentliche Portion Eis.

Schorschi hat noch nicht gewählt. Wen auch? Diese Gedanken teilt er mit Millionen anderer Bundesbürger. Hingegen habe ich mich vom Wahl-Oh-Mat überzeugen lassen, dass ich seinen Rat nicht befolge. Wie dem auch sei. Uns ist aufgefallen, dass die Wahl-Strategen der Parteien die Radwege noch nicht für ihre aufgehübschten Gesichter auf Plakaten genutzt haben. Obwohl die stetig wachsende Zahl der radelnden Rentner durchaus eine stimmbringende Zielgruppe darstellt. Dabei fallen mir gleich ein paar passende Slogans ein, die die volle Aufmerksamkeit der E-mobilen Bürger auf sich ziehen könnten:

  • SPD = Hätte, hätte – Fahrradkette!
  • CDU = Wir haben die besten Radfahrer im Büro!
  • CSU = Maut für jedes Radler!
  • Grüne = E-Bikes statt Diesel-Jeans!
  • FDP = FDP, und es läuft wie geschmiert!
  • AFD = Deutsche stramm-peln rechts!
  • Linke = Vorne bremst man mit links!

Weitere ernstgemeinte Vorschläge können politisch aktive Leserinnen und Leser bei mir umsonst abfragen. Auch kostenlos!

Die Fahrt zurück begann mit einer kurzen Abfahrt und einem folgenden steilen Anstieg, der nach den Frikadellen mit Kartoffelsalat eine echte Herausforderung darstellte. Die Aussicht auf das baldige Erreichen der Eisbude ließ jedoch alle Leiden verdrängen. Es folgte der Spruch des Tages. Nein, der Woche, wenn nicht sogar des Jahres. Mindestens! Schorschi musste sich seiner A-Schorle entledigen, während ich das Eis orderte und bezahlte. Auf meine Frage an Schorschi: „Wieviel Bollen willst Du? Zwei oder drei?“ Aus der Antwort sprach das blanke Entsetzen: „Ich fahr doch keine 60 Kilometer für 3 drei Bollen Eis!“ Und das am Tag des „Internationalen Tages der weißen Schokoladen“.

Jetzt musste ich doch noch eine frische Seite beginnen. Viel bleibt mir zum Schluss eines strahlend schönen Tages gar nicht mehr zu berichten. Natur und Sonne, und Schorschi haben alles gegeben. Wir hatten milden, seitlichen Rückenwind von vorn, und berauscht von der Fahrt beklagten wir, dass es uns beiden Rentnern nicht möglich gewesen ist, dieses Jahr eine mehrtägige Tour auf die Reihe bekommen zu haben. Nächstes Jahr ist ja auch noch ein Jahr! Zurück in Eckartsweier trachtete Schorschi nach schnellem Wechsel seiner Sportkleidung. Er wollte noch joggen, und vor Einbruch der Dunkelheit wieder Daheim sein. Ich hingegen zerlegte mein Velo. Bremsklotz raus, ebenso das Vorderrad, rein in den Kofferraum und ab durch den Dauerstau auf der A5 an dem internationalen autofreien Tag.

Zum statistischen Teil: 57,5 Km, bei einer reinen Fahrzeit von 3,4 Std. / durchschnittliche Geschwindigkeit 17 Km/Std. Besondere Vorkommnisse: Loses Bremsklotzgestänge, eine Umleitung, kein Verfahren trotz ohne Navi!

 

 

Liliental

Unsere spontane frühherbstliche Wanderung führte uns ins Liliental, was weder etwas mit dem Luftfahrtpionier zu tun hat, noch habe ich eine solche Blume gesichtet. Aber dazu später mehr.

Als wir uns zu Beginn der Woche auf den Freitag verabredet hatten, ließ der Dauerregen und der stürmische Wind arge Zweifel an der Realisation aufkommen. Doch wie es das Herrgöttle wollte – Freitag strahlte die Sonne. Kurz vor der geplanten Zeit erkundigte sich Lothar telefonisch nach dem erforderlichen Schuhwerk. Ob feste, wasserdichte, atmungsaktive Outdoorbeschuhung oder leichte Sportware. Dazu sind zwei Anmerkungen notwendig:

1. Offensichtlich ging Lothar davon aus, dass ich mich um eine geeignete Tour umgetan hätte. Dem war bei Leibe nicht so, denn das Wandern ist bekanntlich nicht meine originäre Freizeitaktivität.

2. Verursachte mein Bekenntnis, kein geeignetes Outdoorschuhwerk in multicoloroptik mein Eigen zu nennen, für Verwunderung. Um psychischen Schäden vorzubeugen ergänzte ich umgehend, dass wir uns allerdings bereits mit der Anschaffung eines solchen gedanklich trügen. 

Das bewährte Transportmittel traf mit den Offenburgern leicht verspätet ein. Einer der unvermeidlichen Staus. Nach kurzer Lagebesprechung wurde einstimmig als Ziel das Liliental auserkoren. Lediglich die sinnvollste Autobahn-Abfahrt galt es noch zu definieren. Die Sitzordnung im Camper gestaltete sich wie folgt von vorne nach hinten: Fahrer, der Beifahrersitz war mir vorbehalten, die drei Mädels platzierten ihre Allerbewehrtesten auf der Bank hinter dem Klapptisch und Lothar zwängte sich ins Fond des Campers zwischen Chemie-Toilette und zweiflammigem Gasherd. Zunächst wurden einmal die aktuellen zwischenmenschlichen Beziehungen im Bekanntenkreis abgearbeitet. Wer mit wem und warum, um schließlich über Urlaubserlebnisse zum Wahl-Oh-Mat zu kommen. Für mich beruhigend, dass die gesamte Wandergilde ebenfalls von der Existenz der Minister Schmidt und Müller überrascht waren. (Siehe dazu meinen ausführlichen Bericht „Wahl-Oh-Mat“)

 Die Fahrt verlief einigermaßen harmonisch, sieht man einmal von den mehrfachen Korrekturen und gutgemeinten Warnhinweisen der Gattin des Fahrers aus dem Fond ab. Mein Eindruck, dass der Fahrer durchaus in der Lage war uns ebenso sicher wie zielsicher ans Ziel zu chauffieren, bestätigte sich auf der gesamten Fahrtnachdrücklich. Wie dem auch sei.

 Als Beifahrer hatte ich nicht nur das Privileg der Bequemlichkeit, ich konnte mich auch an der vorbeifliegenden Natur ergötzen. Kurz vor dem Erreichen des Zieles passierten wir eine Streuobstwiese mit einer blau-lila Blütenpracht. Ich wollte mich gerade mit der Frage: „Was machen denn die Kroküsse um diese Jahreszeit?“ ganz nach vorne bringen, als aus dem Fond freudig erregt in die Runde geworfen wurde: „Schaut mal die schönen Herbstzeitlosen!“ Ich schluckte meine Frage in Windeseile herunter wie eine heiße Kartoffel. Die Herbstzeitlose gehört zu der Gattung der Zeitlosen, was bedeutet, dass es offensichtlich auch Frühlingszeitlose geben könnte, die evtl. auch unter dem Namen Kroküsse bekannt ist. Ich werde recherchieren!

 Natürlich war ich wieder einmal tief beeindruckt von dem biologischen Wissen und dachte darüber ernsthaft nach, welche Stunden ich in der Schule wohl versäumt hatte. Da der Start der Route zuerst an einer ausgeprägten Versuchskultur der Uni Freiburg Fachbereich Forstwirtschaft entlang führte, vertieften sich meine Wissenslücken von Schritt zu Schritt. Mit Erstaunen lernte ich die Mispel kennen, die mir unter dem Namen Holzapfel ebenfalls nicht geläufig war. Nachdem genügend bestaunt, bestimmt und erklärt war, nahm die Wanderung an Fahrt auf. Man erfreute sich an den Vorzügen des Rentier-Daseins und bemängelte die Altersarmut. Man geißelte die Autoindustrie, verurteilte die üblich Verdächtigen, wie Trump und co., und schlenderte, berauscht von der üppigen Natur, durch die Flur. Anlässlich einer Rast auf einer Park-Bank im herbstlichen Sonnenschein verfiel das Thema wieder auf die Flora am Wegesrand. Brezelverzehrend wurden die wilde Anemone und Scharfgarbe erspäht, sowie diverse Völker wilder Bienen, die sich im sonnigen Rain ihre Nester gebaut hatten. Im weiteren Verlauf durchschritten wir Wäldchen mit Mammutbäumen und diversen Birken, vorbei an Wacholderbüschen und Klettensträuchern.

 Zurück an Start und Ziel genehmigten wir uns eine wohlverdiente Auszeit bei Kaffee und Kuchen. Zur Diskussion stand die Wahl der geeigneten Lokalität für das Abendmahl. Besonders erwähnen möchte ich die Tatsache, dass auch in unserer Altersklasse das Smartphone eine gewisse Rolle spielte. In Ermangelung eines Netzes galt die Aufmerksamkeit allerdings recht bald wieder der Gruppe.

 Bei kellertrübem Bier, Wein, und ordentlichem Essen beendeten wir die Tour. Auf der Rückfahrt hielten sich die Korrekturen am Fahrverhalten in Grenzen, und alsbald erreichten wir den heimischen Hof. Mit einigen Absackern beschlossen wir nicht nur einen wirklich sehr schönen Tag, als auch eine baldige Wiederholung. Die Korrektorin übernahm nun das Steuer für die letzten Kilometer.

 

 

Des Müllers Lust.

Man möge es nun glauben, oder auch nicht: Wir sind gewandert! Ja, ja, Aktiv-Urlaub, ohne, dass wir überhaupt noch Urlaub haben! Wir waren nur woanders. Wandern ist heute ja mega out, heute sind Outdoor-Activities angesagt. Zugegeben, unser Outfit entsprach bei Leibe nicht den Südtiroler Outdoor-Standards, dafür haben wir aber jede Art von automatisierten Personen-Beförderungsmitteln ignoriert. Beinhart erkundeten wir die ach so gelobten Routen der Touristenbroschüren entlang der Waalwege. Was, ihr kennt die Waalwege nicht?! Es handelt sich hierbei um Bewässerungssysteme, die überflüssiges Hochgebirgs-Quellwasser dahin leiten, wo es benötigt wird – in die mit EU-Subventionen gesponserten Obstplantagen. Also nicht nur mit überflüssigem Wasser versorgt, sondern auch mit überflüssigem Geldregen segnet.

Der Weitbereiste vergleicht die Waalwege mit den hinreichend bekannten Levadas auf Madeira. Wer jetzt allerdings denkt: Wasser, das geht da ja nur bergab, der sei hier und jetzt eines Besseren belehrt! Denn: Man muss diese Waale erst einmal erreichen. Und dazu geht es nun einmal bergab und auf dem Rückweg bergauf. Oder umgekehrt. Oder mit öffentlichen Personen-Beförderungsmitteln, die wir ja bekanntlich ignoriert haben.

Jede Wanderung beginnt mit dem ersten Schritt. Sogar die allererste. Es ging unerwartet steil bergab. Die einzelnen Etappenziele wurden optimal angezeigt, ein Verlaufen mit womöglich verzweifeltem Herumirren in fernen Ländern war auszuschließen. Als hinterhältig entpuppten sie sich im Nachhinein dennoch! Die Zeitangaben schienen durchaus korrekt zu sein, sie addierten sich allerdings zusehends. Zehn Minuten hier, fünfzehn da und am nächsten Meilenstein noch einmal zwanzig. Es ging immer noch steil bergab und Ungemach bahnte sich an: Der Rückweg verhieß absolut nichts Gutes. Und es sollte sich bewahrheiten.

Was wäre die Menschheit ohne sinnvollen Fortschritt? Ohne begeisternde Technologien, ohne JPS und UPS, ohne Internet und Fitness-Uhren? Fakten lügen nicht, jedenfalls noch nicht bei Outdoor-Aktivitäten. Ausnahmen jetzt kurz vor den Wahlen möglich. Und selbst da sind es unter Umständen nur alternative Fakten, bzw. freie Interpretationen. Immer am Puls der Zeit sind eben genannte Fitness-Uhren! Sie dokumentieren alles, was das Herz begehrt. Auch Dinge, die um das Herz nicht unbedingt dokumentiert werden möchten. Und, diese ursprünglich für eine korrekte Angabe entwickelten Zeitmessgeräte, sitzen dir erbarmungslos im Nacken. Auch, wenn du einfach nur mal Seele und Beine baumeln lässt. Täglich rasseln die Resultate des Tages auf der Uhr selbst, und via Mail aufs Tablett. Kein Entrinnen! „Hast du keine Lust auf einen Spaziergang?“ – diese Nachricht terrorisierte uns während des Mittagsschläfchens auf der Relaxliege am Pool. Und in der Wochenstatistik wurde es uns zu allem Überfluss auch noch mit dicken roten Lettern als „Am wenigsten aktiver Tag“ erneut unter die Nase gerieben. In Eintracht mit einem Emoji, der die Flappe ganz schön hängen ließ.

Herausragend jedoch die grünen Dokumentationen. 81.310 Schritte, bei einem Tagesdurchschnitt von 11.616 und einem Toptag mit 18.435 Schritten! Das entspricht einer Gesamtstrecke von sage und schreibe 54,4 KM, einem Tagesschnitt von 7,77KM und dem genialen Toptag mit 12,33 KM. Inclusive bergauf und bergab, wie die 346 Etagen beweisen, mit 49 im Schnitt und dem Toptag mit 108 Etagen. Insgesamt gab es für die Aktivitäten 10 (zehn!) knallbunte Abzeichen, die mich an das Seepferdchen, respektive an die Frei- und Fahrtenschwimmer-Abzeichen in unserer Jugend, erinnern. Diese durften an keiner Badehose fehlen. Ehrensache! Leider reicht mittlerweile der Platz an der atmungsaktiven Outdoor-Treckinghose mit abnehmbaren Beinen jeweils knapp über dem Knie bzw. knapp darunter, nicht für alle Abzeichen aus, da garantiert auch noch das ein oder andere hinzukommen wird. Für die allwöchentliche Zeremonie zur Kür des „Wanderers der Woche“ meldeten wir uns ab. Die Medaille in „Gold am Wanderstab“ konnten wir in Ermangelung eines solchen nicht angemessen würdevoll repräsentieren.

Unbarmherzig wurde uns leider auch die Statistik der Gläser und Flaschen Weine präsentiert, die uns als Sundowner bzw. Begleitung zum Dinner noch einmal in der Erinnerung unserer Tagesleistungen schwelgen ließen. An dieser Stelle möchte ich ein besonderes Lob an die Erbauer der Waale und Waalwege, sowie an die Winzer in Südtirol ausschreiben. Beide warteten mit außergewöhnlichen Genüssen auf!

Abschießend sei bemerkt, dass die unbestechliche Datenerfassung bei der Gewichtsänderung ein unerwartetes 0,0 KG dokumentiert. Trotz 11.882 Kalorien, die verbraucht wurden, was ja wohl für die Qualität der Küche spricht.

P.S.: In Sachen Datenausspionieren kann ich nur den Roman von Marc Elsberg „Zero“ empfehlen, den ich in den wohlverdienten Pausen am Pool auf den Relaxliegen gelesen habe, während die Fitness-Uhr zum Spazierengehen mahnte.

 

 

 

 

Kunst und Genuss.

„Kunst und Genuss“ im Lahrer Stadtpark ist ein Event im Stadtpark von Lahr mit Kunst und Genuss. Der Sinn liegt darin begründet, dass es eine Kunst ist, den Genuss auch als solchen zu empfinden. Und wir waren erstmals dabei!

Es lagen keine wirklichen Alternativen für den Samstagabend vor. Die Fernsehanstalten vergeudeten unsere Gebühren mit dem üblichen Schwachsinn, wie, inzwischen täglichem Fußball, Wiederholungen von Krimis, mit denselben Toten und Mördern und irrtümlich Verdächtigen und Hauptkommissarinnen und Hauptkommissaren, und schrägen Hauptkommissar-Anwärtern, und stets freien Parkplätzen vor den Tatorten, und selbstverständlich den Ausgeburten einschläfernder Quizshows. Die Formate beeindrucken durch ihre niveaulose, kreatiefe Vielseitigkeit, wie: Hyperaktive Kinder gegen Helikoptereltern, Promille-Promis gegen nüchterne Beamte, Spätaussiedler gegen Frühaufsteher, Politiker gegen unbescholtene Bürger, Google gegen Konrad Duden, Veganer gegen Hamburger, Herrenknecht gegen Windräder, usw.. Moderiert werden alle Shows grundsätzlich durch seine Selbstherrlichkeit Johannes B-Punkt Kerner, und im Rahmenprogramm die unvermeidliche, atemlose Helene Fischer, der nuschelnde Gnom Peter Maffay, und all die anderen abgehalfterten, reanimierten Veteranen aus der Schlagergruft. Also dann doch lieber „Kunst und Genuss“!

Ich darf es vorwegnehmen: Uns ist das Kunststück nicht gelungen, den Genuss zu genießen. Aber der Reihe nach. Die Anfahrt verlief ohne große Hindernisse auch nicht vor und in den Kreisverkehren. Trotz frühzeitigem Aufbruch waren die Parkplätze bereits belegt. Ohne schlechtes Gewissen habe ich eine weitere Parkreihe eröffnet, auf die die örtlichen Verkehrsplaner noch nicht gekommen sind. Zugegeben, ein wenig Risiko war dabei. Aber eine knöllchenfreie Windschutzscheibe rehabilitierte meine Entscheidung nachträglich. Die Kassenhäuschen-Insassin wollte partout auf unsere Rentner-Ausweise keinen Nachlass gewähren, und auch einen Gruppentarif für zwei Teilnehmer wurde achselzuckend nicht akzeptiert. Das abendliche Lüftchen wehte lau, das Ambiente im Lahrer Stadtpark war berauschend, ein lauschiges Fest harrte unser.

Auf staubigen Pfaden, unter uralten Bäumen, vorbei an Weckgläsern mit Teelichtern von Ikea, die ursprünglich Glasuff beherbergen sollten, führte uns der Hunger auf den Eventplatz. Noch warteten hier und da Sitzgelegenheiten auf Zweisitzer und so beschlossen wir uns hemmungslos dem Genuss hinzugeben. Die Entscheidung fiel uns schwer, aus dem armhaltigen Angebot unseren Wunschgenuß zu ermitteln. Zwischen Spanferkel mit Bratkartoffeln und asiatischer Nudelpfanne mit Hähnchenbrust pendelten die Gelüste. Der Hunger siegte über den Geschmack und auch Plastikteller und Plastikbesteck ließen keinen spontanen Genuss aufkommen.

Voller Vorfreude steuerten wir auf den einzigen Weinstand zu, deren Winzer uns so fremd war, wie ägyptische Hieroglyphen auf Grabtafeln in Pharao-Pyramiden. Da sich das Gros der Kunst- und Genußsuchenden dem Mahl hingaben, war die Reihe schnell an mir. Umgehend führte das Kopfkino in meinem Kopf Regie, und spielte mir Szenen vor Augen, wie es wohl ablaufen würde, wenn mehr als zwei Trinkfeste gleichzeitig ihr Ansinnen äußern würden. Das Kopfkino war eine schamlose Untertreibung der Realität! Wer mit viel Glück, starken Nerven und einer ordentlichen Portion Stehvermögen ein Viertele ergattert hatte, dem sei zu raten gewesen sich umgehend erneut einzureihen, bevor ihm der Durst und nicht die Promille Fatamorganen vorgaukelte. Der Spuk erreichte in Bälde weitere, himmelschreiende Dimensionen. Die Gläser waren ausgegangen. Was allerdings nicht so schlimm war, denn es gab ohnehin keinen Wein und keine Cocktails mehr. Die Polizeibehörde der Ortenau löste augenblicklich ihre Kontrollen auf, da mit zu beschlagnahmten Führerscheinen an diesem Abend nicht zu rechnen war. Müßig zu erwähnen, dass der Wein, so noch vorhanden, sowohl untrinkbar als auch hoffnungslos überteuert war. Insofern hatte der Mangel auch sein Gutes! Zusammen mit dem Glaspfand zog es mir nahezu den finanziellen Boden unter den Füßen weg.

Gesäumt wurden die Plätzchen und Wege von Ausstellern von allerlei nutzlosem Zeugs, wie man es nur von Jahr- bzw. Wochenmärkten in Regionen mit überwiegend ländlicher Struktur antrifft. Glasperlen und geschliffene Steine, wie man sie in der Jungsteinzeit zum Tauschen verwendete, hübsche gedrechselte Holz-Rumstehchen, gebatikte, luftig leichte Tücher, Lakritze in Stangen- oder Schneckenform – die Kunst hat sich hauptsächlich in künstlichem Schnickschnack präsentiert. Ich muss gestehen, dass wir uns eher weniger intensiv mit den gutgemeinten Auslagen beschäftigt haben.

Ein Schwätzchen hier, ein Hallöchen da, viele durstige Seelen suchten alsbald ergiebigere Trinkstätten auf, die auf mehrere Gäste eingerichtet waren. Und so plätscherte der Abend dahin und wir sehnten uns nach einem gemütlichen Abend mit einem Gläschen Rotwein, einer langweiligen Quizshow und der einschläfernden Berieselung durch Johannes B-Punkt Kerner.

Ach ja, die Live-Musikdarbietungen im Lahrer Stadtpark waren echt um Klassen besser als Fischer, Maffay und Co.

 

Großwildjagd

Bitte keine Heldenverehrung! Wenn überhaupt, dann ein wenig stille Bewunderung, anerkennende Blicke und gebührenden Respekt. Dann soll´s aber auch gut sein. Zuviel Eigenlob wird gerne auch als Überheblichkeit oder Eitelkeit interpretiert, und das ist bei Leibe nicht der Fall.

Nachdem das Gejammer der Winzer und Bauern nach dem Frühjahrsfrost verebbt ist, und die Ernten voraussichtlich, allen Unkenrufen zum Trotz, doch in der Qualität akzeptabel sein werden, verwöhnt uns der Sommer mit sommerlichen Temperaturen und den dazugehörigen Gewittern. Örtlich begrenzte Hagelschauer lässt die Agrarier aber bereits wieder in ihren Grundfesten erschüttern, und auch die Lieferzeiten von Daimler sind viel zu lang.

Gut, das hat nun wirklich gar nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun, musste allerdings einmal zu Papier gebracht werden! Und die lauen Sommernächte bilden den geschmeidigen Übergang zum Kern des Ereignisses. Es war eine solche laue Sommernacht. Das Morgengrauen kündigte sich bereits an, als mich fremdartige Geräusche jäh aus lieblichen Träumen rissen. Zunächst nur unklar. Wie aus einer größeren Entfernung. Sobald sich aber Gehör und Verstand auf einem Level bewegten, gestaltete sich die Wahrnehmung deutlich konkreter: Die fremdartigen Geräusche waren erschreckend hautnah. Offensichtlich in unmittelbarem Kontakt mit unserem Haus. Da mein absolutes Hörvermögen, welches einseitig ein wenig gelitten hat, und ein wager Ansatz von Tinnitus manch stille Weise zu übertönen wagt, erhob ich mein Haupt leicht, um mit beiden Ohren eine dreidimensionale Ortung der Quelle zu ermöglichen. Alsbald wurde diese Quelle lokalisiert – auf dem Dach unseres Hauses. Ohne jeden Zweifel war dort unter einer Herde Elefanten in eine Stampede ausgebrochen. Eine andere Interpretation ließ die frühe Morgenstunde nicht zu!

Mit dem eigentlich unnötigen Absatz möchte ich ein wenig mehr Dramaturgie in die Schilderung bringen. Ähnlich einer künstlerischen Pause bei einem ergreifenden Vortrag über die Wärmedämmung von 599mm X 199mm X 150mm Ytong-Steinen.

Es war der zunehmenden Wachheit geschuldet, dass der Verstand dem Gehör folgte, und an logischem Denken gewann. Eine Elefanten-Stampede auf dem Dach unseres Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung war schlichtweg nur schwer vorstellbar, und weder mündlich noch schriftlich zu vermitteln. Augenblicklich schossen mir die täglichen Polizeiberichte durch den Kopf, dass osteuropäische Diebesbanden ihr Unwesen gerne in grenznahen Regionen ausüben. Aber auf dem Dach? Die Ratio gewann auch hier die Oberhand. Blieb eine weitere Variante: Santa Claus versucht durch den Kamin Geschenke unter dem Strauß Sonnenblumen zu platzieren. Da es bis zum Fest des Kaufrausches jedoch noch etliche Monate hin ist, schied auch diese Vermutung vernünftiger Weise aus. Schließlich entpuppte sich die Stampede der Elefanten als ein blutrünstiger, unter Naturschutz stehender, Marder. Normalerweise finden seine Streifzüge in den Motorräumen der Fahrzeuge von Laternenparkern statt. Allerlei elektrisches Kabelgedöns und Isolierungen sollen sehr schmackhaft sein, auch wenn sie weder ein Biosiegel aufweisen, noch aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt sind. Sei`s drum.

Offensichtlich liebestoll gebärdete sich der nächtliche Störenfried von Dachrinne zum First und zurück. Die Holzdecke erwies sich dabei eindrucksvoll als hervorragender Resonanzboden! Das Spielchen wollte nicht anfangen aufzuhören, und so fasste ich den mannhaften Entschluss dem Treiben ein Ende zu setzen. Todesmutig, bewaffnet mit einem Indoor-Besen, schlich ich mich elfenhaft in den ersten Stock, um direkt vor Ort den genauen Laufweg des Aufdringlings auszukundschaften. Seine Laufwege waren eindeutig abgestimmter als die der deutschen Frauen-Nationalmannschaft bei der Fußball-EM. Im Gegensatz zu ihnen beabsichtigte der Marder die erste KO-Runde zu überstehen, und meine ersten zaghaften Klopfgeräusche zu ignorieren. Ich entschied mich für eine härtere Gangart! Mittlerweile wusste ich fehlerlos die Routen auf dem Dach zu lokalisieren, und traktierte das Monster mit gezielten kräftigen Schlägen gegen die Holzdecke. Der Resonanzboden erwies sich ab sofort als mein engster Verbündeter. Nach wenigen Minuten ertrug offensichtlich das Getier die akustische Folter nicht länger und stürmte unter bestialischem Fauchen über die Dachrinne zurück in die Wildnis. Der Sieg war meiner!

Neben dem Morgengrauen leuchtete inzwischen in allen umliegenden Nachbarhäusern in allen Räumen die hellst mögliche Licht-Stufe, die man mit dem Dimmer regulieren konnte. Schemenhaft huschten leichtbekleidete Gestalten von Zimmer zu Zimmer, um schlaftrunken und verzweifelt nach dem nächtlichen Radau zu fahnden. Ergebnislos, denn ich hatte mich bereits wieder in die ehelichen Gemächer zurückgezogen.

Am Frühstückstisch schmückte ich dann die Schreckensnacht ein wenig blumig aus, um mich in den bewundernden Blicken der Gattin zu sonnen. Der Tag konnte nicht besser beginnen. Ein Held war über Nacht geboren. Immerhin wurde aus dem Elefanten keine Mücke, sondern wenigstens ein Marder. Ist doch auch was. Oder?

 

Bella Italia

Es gibt sie noch, die geliebten Kleinode in dieser Welt. Feriendomizile der besonderen Art. Eines davon wird von uns seit nahezu 20 Jahren mindestens einmal im Jahr heimgesucht. Das Royal Colombo in Menaggio am Comer See. Hier herrscht Mario Colombo und schüttet seinen ganzen Charme kübelweise über seine Heimsucher aus. Schon sein Name ist ein absoluter Klassiker: Mario Colombo! Legendär ist seine Laudatio morgens zum Frühstück, wenn er das Menü des Abends wortreich und blumig präsentiert. Selbst wenn die Grenze des Völlegefühls bereits touchiert wird, läuft einem sprichwörtlich das Gewässer im Munde zusammen. Dass er es grundsätzlich an jedem Tisch aufs Neue zelebriert ist seine ganz persönliche Note. Man kann es aber auch nicht oft genug hören – deshalb verlässt kein Gast das Szenario, bevor Mario nicht seine komplette Runde abgeschlossen hat.

Der alte Charmeur hat natürlich noch mehr auf der Pfanne als vier Gänge anzukündigen. Bei jeder passenden und gelegentlich auch unpassenden Gelegenheit flaniert er die Damenwelt mit Anekdötchen aus seinem Leben. In wie weit sie immer der reinen Wahrheit und nichts als der Wahrheit entsprechen sei dahingestellt. Ist aber auch total egal, lustig sind sie allemal. Mario lässt es sich auch nicht nehmen für jeden Landsmann und jede Landsfrau eine Fahne zu hissen. Selbstverständlich nur die Landeswappen, was aber genug Aufmerksamkeit bedeutet. Passend zu den Nationen bewegt sich Mario fehlerfrei in nahezu allen europäischen Sprachen. Angemerkt sei, dass sich sein Repertoire keinesfalls auf das schnöde Herunterbeten der Köstlichkeiten beschränkt. Im Gegenteil – auch seine Anekdötchen und beliebige freie Themen beherrscht er mit bemerkenswertem Wissen und linguistischem Geschick.

Wen wundert es also, dass wir Jahr aus, Jahr ein sein schmuckes Domizil aufsuchen, um ein paar wunderschöne Tage zu erleben. Abgesehen von den lächerlichen paar Gramm Gewichtszunahme kann man nun wirklich nicht meckern. Es liegt natürlich nicht allein an den italienischen Speisen, die grundsätzlich einen kohlenhydratischen zweiten Gang kredenzen, sondern ebenso an den dazu passenden harmonischen Getränken. Und an deren reichhaltigem Genuss! Dass Panacotta und co nicht gerade kalorienarm sind, und ein Grappa das Mahl perfekt abrundet soll an dieser Stelle auch nicht unterschlagen bleiben. Ach ja, und zum Start, sowie als Sundowner auf dem legendären Feldherrenhügel gehört unzweifelhaft ein kühler Mezzo Litre. Habe ich was vergessen? Man möge es mir verzeihen!

Untrennbar verbunden mit einer Reise an den Comer See zu Mario ist ein Frühstück am Lago. Je nach Stau am Gotthard finden wir zwischen neun und zehn Uhr bei Gabi und Jürgen einen reichlich gedeckten Tisch, wachsweiche Eier, frische Panini, Käse und Wurst, und: Rotebeetepaste von Allnatura! An dieser Stelle meinen allerherzlichsten Dank an Kathrin, die nachdrücklich darauf hingewiesen hat!!! Ohne Rotebeetepaste wäre ein Frühstück am Lago für mich kein Frühstück am Lago!

Bestens gestärkt werfen wir uns dann in das Getümmel der italienischen Gassen. Den Schlagbaum des Schweizer Zolls  noch im Rückspiegel, erfährt jeder am eigenen Leibe wo er ist. Enger und dunkler wird es in den Tunnels,  LKWs und Busse rasen hupend über die Sträßchen, bis sie sich im nächsten Örtchen mit einem holländischen Wohnwagenfahrer duellieren. Wer gewinnt brauche ich sicher nicht zu erwähnen. Dieses Prozedere wiederholt sich alle paar Kilometer in jeder, wirklich jeder Ortschaft. Nur sind es nicht generell Grachtenrutscher, auch Opelfahrer, gerne Rentner, avancieren zu mobilen Verkehrshindernissen, die selbst ich hier und da geneigt bin abenteuerlich auszumanövrieren. Außerdem katapultieren sich ständig Motorräder und Roller an uns vorbei, Hornissenschwärme gleich. Gegenverkehr wird grundsätzlich ignoriert – nach dem Motto wer bremst verliert. Ihr Outfit ist eher selten auf Sicherheit bedacht und schon dreimal nicht dem Fahrstil angepasst. Shorts und Flipflops aber Helm müssen ausreichen. Nicht weniger behindernd, aber deutlich langsamer, treten zusätzlich unzählige Radler in perfektem Look in die Pedale ihrer Rennmaschinen. Da die Randstreifen sich nahtlos an den italienischen Straßenbelag anpassen, ist klar, welchen Part der Fahrbahn sie bevorzugen.

In der vertrauten Residenz bei Mario, ohne nennenswerte mechanische Kaltverformungen am Auto und mit leicht angegriffenem Nervenkostüm, angekommen, fallen wir zunächst erleichtert in Marios Arme, bevor der Feldherrenhügel erobert wird und der tägliche Kreislauf mit einem Mezzo Litre de la Casa und einem knackig frischem Salat Tonno eröffnet wird. Der Panorama-Rundblick auf den Lago di Como, die Berge, den Pool und Marios erste Anekdötchen entschädigen umgehend für die Wohnwagengespanne mit gelben Kennzeichen und ergrauten Opelfahrer. Der Urlaub kann beginnen. Der Rest ist hinreichend bekannt.

Es war wie immer im Juni 2017. Und es war wie immer sensationell schön!

P.S.: Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Temperatur des Pools zwischen 28°C und 30°C pendelte, und die wahre Erfrischung deshalb ausnahmslos dem Mezzo Litre Vino Bianca vorbehalten blieb!

 

 

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