In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist. Denkste! Offensichtlich irrte Turnvater Jahn, denn es gab in seiner Ära nachweislich noch keine Fitnessstudios. Wie passt das zusammen? Im Prinzip hat er ja Recht, der gute alte Körperertüchtiger. Doch es gibt Ausnahmen. Ihr werdet schon sehen! Nebenbei bemerkt – ich liebe diese Wörter mit drei s, t, e, l, r oder f, wie bei Fitnessstudio, Schifffahrt, Schritttempo, Eissschnellläufer, Geschirrreinigung, Teeei oder so. Sie sehen so aus, als ob der Schreiberling den Finger aus Versehen zu lange auf die Taste gedrückt, und auch nicht mehr Korrektur gelesen hätte. Aber das nur am Rande.
Für den regelmäßigen Besuch eines Fitnessstudios benötigt man keine besonders aufwändige Ausstattung. Ein paar Sportschuhe mit drei Streifen, Raubkatze, Haken oder Ösen, ein Hemd und ein Höschen – und schon kann es losgehen. Ok, ein Handtuch wäre sicher auch nützlich. Manche Akteure bringen sogar ihren Körpergeruch mit. Darauf kann der zivilisierte Mitteleuropäer allerdings getrost verzichten. Auch ist er nicht zwingend für einen gesunden Körper von Nöten oder liefert er gar den Beweis für geistige Leistungen.
Der neutrale Beobachter teilt die Fitnesstreibenden in drei Kategorien ein. In die, bei denen Fitness mit Kraftmeierei verwechselt wird. In die zweite Gruppe, die Leidenden, die, geplagt mit körperlichen Gebrechen, sich Abhilfe oder wenigstens Linderung versprechen. Hier nennt man die Fitness eher Reha. Und schließlich in die dritte Riege, die einen Aufstieg in die zweite Liga nicht als oberste Priorität sieht.
Während bei den Gruppen zwei und drei eine geistige Fitness nicht kategorisch auszuschließen ist, widerlegt die Einser Gruppe die Jahnschen Theorien. Allein die Tatsache, dass man sich anschickt mit diversen Mittelchen die Bizeps und andere Muskelpartien künstlich aufzupeppen zeigt, dass mindestens ein Part der Hirnwendungen in die falsche Richtung verläuft, und entsprechend unterrepräsentiert ist. Selbst die Sprache und ein arg limitiertes Vokabular zeugen davon, dass bei den Zielen ihres Trainings fragwürdige Ergebnisse und nicht gesundheitliche vorrangig sind. Und dass Doping grundsätzlich nicht auch zum Aufpeppen geistiger Leistungen geeignet ist, sie sogar eher reduziert, bestätigt meinen Verdacht. Außerhalb der Fitnessstudios identifiziert man die Probanden augenblicklich an ihrer Kleidung. Sie unterscheidet sich nur in Nuancen vom Trainings-Outfit. Was will man damit zum Ausdruck bringen? Seine körperliche und geistige Fitness? Die Proportionen der Oberarme bestätigen Teil eins. Die drei Streifen am Ärmel widerlegen Teil zwei. Aber lassen wir jedem Tierchen sein Pläsierchen, und wenden uns dem entgegengesetzten Ende der Gruppierung zu.
Bei näherem Betrachten erkennt der sensible, fachkundige Beobachter unterschiedliche Motivationen. Natürlich ist die Profilaxe erklärtes oberstes Ziel. Mag man gelegentlich auch daran zweifeln, wenn der Drang zur Kaffeetheke stärker ist, als seine Kräfte an den Geräten zu stählen. Verbunden mit dem Genuss von ein paar Keksen stehen eher soziale Komponenten im Fokus. Nicht selten müssen die ernsthaften Fitn-esser ihre prophylaktischen Aktivitäten mit dem unbändigen Mitteilungsbedürfnis der Keks-esser zwangsweise teilen. Solange sich Inhalt, Lautstärke und Intensität der Mitteilungen in einem rücksichtsvollen Rahmen bewegt, schaut man mit sportlicher Fairness darüber hinweg. Aber! Anstelle an den Trainingsgeräten aktiv zu hecheln, wird die komplette Nachbarschaft durchgehechelt. Hier gewinnt der Begriff Dorf-gemein-schaft eine neue, ganz peinliche Dimension. Erstaunlich, dass bei regelmäßiger Heimsuchung der Sportstätte die Themen schier nicht ausgehen. Als wohltuenden Ausgleich gibt es männliche Kontraparts, deren Aufenthaltszeit sich äußerst einsilbig gestaltet. Mir schießt da spontan ein netter Herr durch den Kopf, der in den vergangenen Jahren mit sage und schreibe drei (3) Buchstaben ausgekommen ist. „Ade“! Diese Verabschiedungsfloskel wiederholt er jedoch, stets von einem freundlichen Kopfnicken begleitet, für jeden einzelnen Anwesenden. Unbestätigten Meldungen zufolge soll sein Wortschatz auch über die Vokabel „ebenso“ verfügen. Es gibt vertrauenswürdige Zeitzeugen, bei denen er auf die guten Wünsche für ein schönes Wochenende überraschend mit „ebenso“ geantwortet haben soll. Ich würde ihm gerne ein paar zusätzliche Worte entlocken, oder gar ganze Sätze, wenn sich dadurch der Redeschwall der Nichtssagenden automatisch reduzieren würde. Leider beschränkt (man beachte bereits die zweite Doppelsinnigkeit zwei aufeinander folgenden Sätzen!) sich der Aktionsradius der Reds(D)amen nicht auf das unmittelbare Umfeld der Kaffeetheke. Nein, der bequeme Sitzplatz auf den Trainingsgeräten bietet eine entspannte Position so viele leere Worte wie möglich, in so kurze Zeit wie nötig zu stopfen. Dass Frauen Multitasking fähig sein sollen, muss ich deshalb ernsthaft in Zweifel ziehen, da weder körperliche noch geistige Bewegungen parallel zum Redeschwall erkennbar sind. Eine revolutionäre Produktinnovation für Fitnessgeräte wäre eine Software, die automatisch einen schrillen Signalton erschallen lässt, sollten die Übungen auf den Geräten nicht innerhalb einer zumutbaren Zeit abgeschlossen sein. Dieser Ton müsste allerdings die Phonzahl der Heuchlerinnen deutlich übertreffen! Eine echte Herausforderung für qualifizierte Entwickler. Und, nach der dritten akustischen Maßregelung sollten die Geräte dauerhaft für die Nutzung der Verwarnten gesperrt werden.
Es existiert von dieser Klientel leider noch eine Abart. Die Tuschler. Sie erschleichen sich das Vertrauen durch eindringliches Flüstern in unmittelbarer Nähe der Ohrmuscheln. Dabei ist es nicht auszuschließen, dass der Atem am Ohrläppchen kondensiert. Während sich die Inhalte der Informationen nur in Nuancen von denen der Lauthälse differenziert, finden hier noch zusätzliche vage Bewegungen statt. Regelmäßiges, vorsichtiges Umherspähen verdeutlicht die Wichtigkeit aber auch die absolute Verschwiegenheit. Ihre physiotherapeutischen Behandlungen beschränken sich in der Regel ausschließlich auf die Hals-, Schulterpartie. Bis jedoch alle Mitmenschen vertraulich besäuselt sind, sind die ärztlich verschriebenen Anwendungen bereits wieder vergeudet.
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass es nur abnorme Pseudo-Fitnesser gibt. Gott sei Dank befasst sich der überwiegend größte Teil mit für Jedermann und Jederfrau konsumierbaren Themen. In verträglicher Stimmlage! Überstandene OPs / akute Schmerzzonen / heilende Therapien / globale Erderwärmung, basierend auf der aktuellen Großwetterlage / gerne auch kleine und große Katastrophen, incl. Politik / anstehende Gartenarbeiten / Schnäppchenjagd / Kochrezepte / Sport- und Kulturereignisse mit breitestem Interessen-Spektrum, sowie in intimeren Männerrunden auch Frauen und Autos, bieten eine ergiebige Palette an Gesprächsstoff. Da ich an dieser Stelle die Frauen nicht diskriminieren möchte sei offiziell erklärt, dass mir keine gesicherten Informationen vorliegen, ob in intimen Frauengruppen nicht auch das Thema Autos ein zentrales sei.
Nicht unerwähnt möchte ich die Jammerer und Stöhner lassen. Schwer atmend ringen sie schon beim Betreten der Praxis um Aufmerksamkeit. Sie schleppen sich mit letzter Kraft an die Kaffeetheke, wo ein Espresso erste Hilfe verspricht. Mit der Frage nach dem Befinden löst man das betretene Schweigen schlagartig. Nach einem tiefen Seufzer werden mit leidender schwerer Stimme alle Unpässlichkeiten in epischer Breite zelebriert. Verbunden mit der ganzen Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit des Seins an sich. Natürlich fehlt auch der Querverweis nicht, dass man im Moment nicht die Kraft aufbringt, um mit einem gezielten, konsequenten Training für eine Linderung bereit sei. Der Therapeut reißt die Anteilnehmenden in die raue Wirklichkeit zurück, und entführt den Delinquenten ins Separee, wo seinem Leidensweg allerdings auch kein schmerzfreies Ende bereitet werden kann.
Last but not least gibt es da noch die Gruppe der wirklich Bedauernswerten. Ob gerade glücklich dem OP-Tisch entronnen oder mit langwierigen Beeinträchtigungen geplagt, erfreuen sie sich der heilenden Hände, sind dankbar für gymnastische Ratschläge und sehnen sich nach baldiger Genesung. Den Einen oder die Andere können wir, nach der von Krankenkassen gesponserten Therapie, in der Runde der üblich Verdächtigen begrüßen. Sie sind ernsthaft daran interessiert sich vor weiteren operativen Eingriffen bzw. orthopädischen Übungen zu feien. Sie bestätigen, dass in einem gesunden Körper doch ein gesunder Geist wohnt. Wohnen kann.
November, der 13. 2016
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