Allerheiligen Anno 2016

Wenn man in die Jahre kommt, macht man sich so seine Gedanken. Altersarmut und altersgerechtes Wohnen reifen zu zentralen Themen. Zum altersgerechten Wohnen gehört nicht nur ein wohlsortierter Weinkeller, sondern auch ein barrierefreies Bad. Doch schon bei den ersten Planungsüberlegungen zur Modernisierung taten sich schnell Barrieren auf, groß wie ein Doppeloxer beim Mächtigkeitsspringen in Aachen. Die oberste Querstange fiel bereits beim leichten Touchieren mit dem Kontostand. Die Formel: Gefällt uns = kostet aber, bestach mit ihrer Gesetzmäßigkeit. Im internationalen Netz surften wir stunden- und tagelang auf der Welle der innenarchitektonischen, barrierefreien Glückseligkeiten. Keine Badausstellung war vor uns sicher, und beim Stichwort “Modernisierung“ flackerten die Dollarzeichen in den Augen der sogenannten zertifizierten Berater auf. Aufwendigste Kataloge zeugten von den satten Margen, die nicht ausschließlich in den Präsentationslabyrinthen verkachelt wurden. Mit jedem Besuch wuchs der Stapel Infomaterial in unserer unaltersgerechten Bleibe. Mit den Stapeln wuchs allerdings auch die Verwirrung. Wo hatten wir jetzt was favorisiert? Das WC auf oder unter Putz? Ach, das war ja bei der Kopfdusche! Das WC war mit Rinless, patentierter Hygienebeschichtung und automatisch geräuschlos, sanft absenkbarem Deckel. Ohne Fernbedienung! Und ohne automatische Spritzdüse für rückstandslose Sauberkeit am Allerwertesten. Soviel war er uns dann doch nicht wert. Als Befürworter fachgerechter Handarbeit war es schließlich nicht nur eine Frage des Budgets, sondern auch eine Frage der Konsequenz.

Nach den unabdingbaren Investitionen wie Waschbecken, Brausen, Hähnen und Brillen, folgte augenblicklich die Suche nach attraktiven Accessoires wie Becher für Zahnbürsten (trotz Ladestation für E-Bürsten), Schalen für in Handarbeit  hergestellte Seifen aus biologisch abbaubaren, nachwachsenden natürlichen Rohstoffen, schattenfreie Beleuchtung zum Schminken, Rollenhalter für hautschmeichelndes Toi-Papier (4-lagig), Handtuchhalter mit Anwärmsensoren und dergl.. Eine zentrale Frage beschäftigt uns noch heute: Wohin legen wir unsere Klamotten, wenn uns keine Badewanne mit nützlichem Badewannenrand mehr hilfreich zur Seite steht? Dafür ist der weiße Hochglanz-Hängeschrank, unabhängig vom Türanschlag, zu verwenden. Nur die Glasböden sollte man herausnehmen, bevor man die 180° Drehung vollzieht.

Es ist ja wohl eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit, dass Optik, Haptik und Anmutung eine einzigartige Harmonie in Form und Farbe ausstrahlen.

Der schöngeistige Teil der Modernisierung endete brachial am Montagmorgen mit dem Anrücken der Abrissbirnen. Ausgestattet mit schwerem Gerät, das zur Einebnung der Dolomiten durchaus prädestiniert wäre. Böse Vorahnungen wurden beim ersten Inkraftsetzen des Boschhammers zur staubigen Realität. Die Erscheinung einer der beiden Abrissbirnen ließ die Vermutung aufblitzen, dass er den Abriss mit seiner eigenen Birne hätte durchführen können. Diese Vermutung erwies sich jedoch alsbald als haltlos. Kopfhörer der höchsten Schallschutz-Kategorie, Atemschutz-Maske a la Super-Gau, Zigaretten mit Fotos von amputierten Beinen auf der Schachtel und eine Kiste Bier aus dem Sonderangebot gehörten neben dem Bosch- und Vorschlagshammer zur Grundausstattung der Rammböcke. Aber, sie verstanden ihr Handwerk! Als sie gegen Mittag aus dem Feinstaub auftauchten, ähnelten sie altägytischen Mumien. Das unaltersgerechte Bad war dem Betonboden gleich gemacht. Das Trümmerfeld glich dem Stadtkern von Hildesheim 1946 aufs Haar. Via handelsüblichen 20 Liter Eimern wurden die pulverisierten Überreste durch unser Wohnzimmer transportiert, und hinterließen eindrucksvolle Spuren der Verwüstung. Selbst kreativste, intensive Vorstellungskraft vermochten es nicht sich auszumalen, dass wir in den Ruinen jemals wieder der Reinigung unseres Körpers werden nachgehen können. Berechtigte Zweifel an dem Sinn der Modernisierung kamen auf.

Mit dem geordneten Rückzug der Abrissbirnen kehrte Ruhe ein, und wir kehrten den Bauschutt aus den hintersten Winkeln unseres gemütlichen Heimes. Dass dies zu einer wahren Sisyphusarbeit ausarten würde, wurde uns in Sekundenschnell bewusst. Sogar der Miele Blizzard CX1 saugte mit 2000 Watt an der Grenze seiner Kapazität. Der Wischmop wurde weder trocken noch kalt, und die Wettervorhersage traf sowohl für das Rheintal als auch unser Wohnzimmer zu: Der Nebel lichtete sich erst gegen spätem Nachmittag. Als gebürtige Optimisten sprachen wir uns gegenseitig Mut zu. Estrich einbringen, Fußboden-Heizung installieren, Wand- und Bodenfliesen verlegen, Wände und Decken verputzen – wo sollte denn da noch Staub herkommen?!

Jetzt warten wir seit zwei Tagen auf die Kolonne der Fliesenleger, die die offenen Krater schließen, und das altersgerechte Bad in einen Zustand versetzen soll, der dem Namen Bad zur Ehre gereicht. Ich werde detailliert berichten.