„Es ist nie zu spät für eine unglückliche Kindheit!!“ Grämt euch nicht, wenn euch die Gnade der frühen Geburt nicht privilegiert, und / oder ihr nicht in OWL aufgewachsen seid! Es gibt Schlimmeres. Jetzt werden sich die orthographisch Bewanderten fragen: „Warum diese „i(e)“ Variante im Titel?“ Diese Frage ist berechtigt. Und daran anschließend noch die neugierige Frage: “Was hat es mit dem Sti(e)l auf sich? Und das alles In einer neuen Folge meines Zyklusses „Ich, OWL und das wahre Leben!“?

Die treffendste Stilblüte, die Stielblüte schlechthin, der Stielkamm! Mann ging nicht ohne! Hinten, aus der Gesäßtasche schaute der Chromstahlstiel des Stielkamms, modisch stilsicher ganz weit vorn, heraus. Allen Unfallgefahren zum Trotz, unversehrtem Leib und Leben zuwider. Während heute das Handy ein unerlässliches Accessoire ist, diente der Stielkamm nicht nur als herausragende Rolle in der Hose, sondern auch, um seine Elvislocke schwungvoll in Form zu halten. Wie ihr jetzt folgerichtig bemerkt, hätte meine letzte Episode „Flower Power“ chronologisch erst nach diesem Bericht erscheinen müssen. Hätte! Nun findet euch damit ab!

Mit Brisk gefetteten Haaren, Nyltesthemd mit Rüschen und Mamboschleife aus Samt, Schlaghosen, deren stoffreiche, kunstvoll eingearbeitete Hosenbeinfalte mit einer Kette zusammengehalten wurde, ging es am Wochenende auf die Piste. Ohne Vorglühen, ohne Hugo oder Aperol-Spritz, ohne Vodka oder Gin. Ein kleines Gedeck war generell angesagt, Pils+Körnchen alternativ Cola+Mariacron. Später, ein paar Jahre später, wird auch noch über „Sechsämtertropfen“ zu reden sein. Aber später.

Erstaunlicherweise traf sich unsere Clique, auch ohne einen Social-Media-Account, bereits am späteren Nachmittag vor dem legendären „Jaguar-Club“. Caro (Carola Pauli, alleinerziehende Mutter) mit ihren Söhnen Axel und Harald, hatte es geschafft, den wohl populärsten, angesagtesten Beatschuppen in ganz Deutschland zu etablieren. Neben dem „Star-Club“ in Hamburg und dem „BlowUp“ in München. Wer sich die Mühe machen will, fragt mal bei Herrn Prof. Google nach, welche Creme de la Creme der internationalen Beatmusikszene da aufspielte! Gott sei Dank, dass die Rache Putins, Helene Fischer, sowie der Promillekasper Stefan Mross oder ähnliche Volksverdummungsmusikanten noch nicht ihr Unwesen trieben. Heintje, ok, da fuhren unsere Mamas ja total darauf ab. Damit waren sie zu besänftigen.

Das andere Geschlecht kam noch ohne Botox zurecht. Kunstvoll hochgestecktes Haar sorgte für Hinkucker in der oberen Köperpartie, Röckchen mit minimalem Stoffverbrauch in der mittleren bis unteren. Sie hätten damit bei jedem Retro-Model-Casting die Trostrunde gerockt!

Natürlich waren wir die absoluten Helden und auf der Hitliste der begehrtesten Junggesellen ganz weit vorne! Dank Kalla Unte, dem Türsteher (im XXL-Format ca. 2mX2mX2m), als auch dem Pauli-Klüngel, verfügten wir über excelente persönliche Kontakte und damit über kostenlosen Backstage Zutritt. Obwohl es Backstage so noch gar nicht gab! Sollte ausnahmsweise im Jaguar-Club nichts oder gar nichts los gewesen sein, zog es uns ins Tamborin. Sicher eine der ersten (auch chronologisch) Discos im weiten Rund. Hier legten Helmut Rond, Gunter Gabriel, Hannes Wader und, Achtung, auch Michael Barney auf. Letzterer, nebst seiner Gattin Petrileinchen, war ja nun mein Spezi, wie ihr allen meinen Erinnerungen entnehmen könnt. Nun muss ich eigentlich nicht aufzählen, welche unbezahlbaren Vorteile wir als intime Mitglieder der Entourage hatten! Uns standen nicht nur Tür und Tor offen! Wohl dann.

Wir waren noch nicht volljährig, keine 21! Ein eigenes Auto war reine Illusion. Aber irgendwie waren wir trotzdem immer mobil. Irgendein aufdringlicher, adipöser Möchtegerndabeisein beförderte uns jederzeit gerne zwischen den Epizentren am Wochenende hin und her. Meist ging er dann während seiner Parkplatzsuche irgendwie verloren. Einer, namens Peter, war besonders stolz auf seinen neuen Opel-Rekord. Kraftstoffverbrauch, Feinstaubwerte und CO²-Ausstoß  waren noch keine geiselwürdigen KO-Kriterien. Man stelle sich vor, der hatte damals sogar schon einen eingebauten Plattenspieler! Für nur eine Single, und jeweils nur für eine Seite. Jede Bodenwelle entsprach einem „Repeat“, der Song begann  jeweils an einer anderen Stelle erneut. Das sorgte für ein wenig Abwechslung.

Zuhause stand ein tragbarer Plattenspieler mit Batteriebetrieb. Mit Zehnerwechsel! Für Singles. LPs allerdings ausschließlich nur Single. Es musste noch von Hand aufgelegt werden. Siri und Alexa, Spotify  und Amazon-Prime gab es noch nicht. Das Chassis in Beige, der abnehmbare Deckel mit integriertem Lautsprecher in rot (RAL 3000). Funktionen: Laut und leise, zwei einstellbare Geschwindigkeiten für Single und LP. Die Eltern waren noch normale Eltern. Sie besaßen weder einen SUV noch einen Helikopter. Auf dem Buffet mit den beliebten Sammeltassen stand der absolute Brüller: Ein Rauchverzehrer in venezianischem Gondeldesign! Rauchen war noch Usus und wer ein solches Prachtstück sein Eigen nannte, der war ganz weit vorn!

Dass uns besagter Peter eines Tages unerlaubt und nicht erwischt nach Hamburg in den Star-Club chauffierte, um die Beatles live zu erleben, das erzähle ich euch ein anderes Mal. She loves you yeah, yeah, yeah!