Wer sich heute mit dem Gedanken quält einen Neuwagen anzuschaffen, der muss sich durch nicht enden wollende Zubehörlisten arbeiten, um dann festzustellen, dass der eigentliche fahrbare Untersatz das Preiswerteste an der ganzen Investition ist. Die Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten verlocken zu einem Häkchen hier und einem Kreuzchen da. Für Papa die Sportausstattung, für Mama den Parkassistenten. Sitzheizung und Klimaautomatik sorgen für Wohlbefinden bei jeder Großwetterlage, und die nette junge Dame vom Navi verströmt großes Vertrauen in den Anweisungen zur Fahrtroute. Es gibt nichts was es nicht gibt. Allerlei Angebotspakete und Finanzierungsofferten erleichtern die Entscheidung, anstelle der gerade noch fahrbaren Standard-Ausstattung doch eine exklusivere Variante zu ordern. Der Licht- und Regensensor ist ebenso inklusive wie das Multifunktionslenkrad. Ein lohnendes Geschäft. Und außerdem: Ein Fahren ohne Tempomat ist zwar möglich, aber undenkbar.
Wer erinnert sich eigentlich noch an die guten alten Zeiten? Opel Kadett B, das zweifarbige Coupé: Unten dunkelrot, oben, ab Unterfensterkante, schwarz. Auch in Nappaleder-Optik ein absoluter Hingucker! Oder in schlüpferfarbenem Hellblau! Anstelle Xenon- oder LED-Kurvenadaptierumdieeckevollausleuchtung (Puh!) funzelten klassische Glühbirnchen in der Dunkelheit herum. Diese konnte man sage und schreiben noch eigenhändig auswechseln! Riesige Halogenscheinwerfer und Breitstrahler sollten Finsternis und Nebelbänke aufhellen, brachten allerdings so manche Lichtmaschine an ihr Limit. Ohne Frage: Die gesamten Laternen wurden selbstverständlich nachträglich auf der Stossstange montiert, die aus Stahl bereits grob geschätzte 50% des KFZ-Gesamtgewichtes ausmachte. Von einer farblich abgestimmten Integration in die Karosserie unter dem Kühlergrill waren sie meilenweit entfernt.
Unweit des Lichterbaums, auf dem Kotflügel, wurden die Löcher für die Teleskop-Antenne gebohrt. Beim Abstellen des KFZs wurde diese achtsam eingeschoben, und beim Starten wieder herausgezogen. Das machte auch Sinn, weil sie in den meisten Fällen durch den Kotflügel in den Radkasten ragten, und wo es in Kurven mit den Pneus zu einer Kollision kommen würde. Dies konnte man unmittelbar an den Geräuschen erkennen, da die Karosserie als Klangkörper die Situation dramatisch wiedergab.
Ohne stromlilienförmige Außen-Rückspiegel im Nierentisch-Design ging gar nichts! Nachträglich montiert, auf Höhe der dreieckigen Ausstellfensterchen, ausschließlich manuell verstellbar. Wie bei den Löchern für die Antenne waren auch hier dem Rost in der Stahlkarosse Tür und Tor geöffnet.
Apropos Räder. Keine Alufelgen – Stahlfelgen und Radkappenblender waren vorherrschend, und unzählige dieser Radkappen zierten Straßenränder und –Gräben. Vielerorts dienten sie eifrigen Trophäensammlern als Blumenschale.
Als weiteres optisches Highlight fuhren jüngere Autobesitzer auf Kunststoffkappen ab, die sie über die Radmuttern stülpten. Ob in Wagenfarbe oder komplementär ließen sie jede Alufelge vor Neid erblassen. Nicht selten griff man auch zu verchromten Varianten. Blendende Zierde, ohne Zweifel, jedoch splitterte bereits bei der ersten Montage das ein oder andere Stück aus dem Blendwerk.
Verlassen wir nun das Äußere des Schmuckstückes und wenden uns dem überaus interessanten Innenleben zu. Das Thema Sicherheit stand noch nicht bedingungslos im Fokus – mit gut gemeinten Attrappen gaukelte man hier gerne Ernsthaftigkeit vor.
Wo heute integrierte Kopfstützen keinen Zweifel an schützender Funktion lassen, gab es derzeit, wenn überhaupt, lediglich Kopfstützen zum Aufstecken auf die Rückenlehnen der Frontsitze. Das Vertrauen bekam bereits beim Einsteigen einen jähen Dämpfer, wenn sie ohne Ankündigung oder erkennbaren Grund nach hinten in den Fußraum des Fonds fielen, wo sie weder durch Form, noch durch Funktion überzeugen konnten.
Noch abenteuerlicher als die Kopfstützen gestalteten sich die Sicherheitsgurte. Wer eine Strangulation nicht scheute, der rüstete seinen fahrbaren Untersatz mit Hosenträger-Fünfpunkt-Gurten aus. Allein die Zahl Fünf beeindruckte, garantierte allerdings keineswegs den erwünschten Schutz für Leib und Leben. Rumpf und Beine wurden fixiert, und eine zentrale Fangleine sollte verhindern was bei einem Unglück zu verhindern gewesen wäre. Die Fangleine wurde fachgerecht hinter der Rückbank, unter der Hutablage verankert. Die Schrauben mit dem Potentiometer nach DIN knallhart angezogen, und mit einer zweiten Mutter gekontert. Allerdings hielt die Kofferraumabdeckung, an der sich die Mutter klammerte, nicht den ersehnten Erwartungen auf die erforderliche Widerstandskraft. Aber sicher besser als gar nichts.
Das Lenkrad verfügte über eine zweidimensionale Multifunktion. Man konnte, mit reiner Muskelkraft, also ohne Servo-Unterstützung, jeweils nach links oder rechts chauffieren. So, wie es die allgemeine Verkehrssituation erforderte. Eine haptische Aufwertung konnte man durch einen Handschweiß absorbierenden Leder-Imitat-Schoner verwirklichen. Die Folge waren dunkle Flecken an der Zehnnachzehn-, bzw. Zehnvorzwei-Griffstellung. Waren die Befestigungsschnüre nicht straff genug gezurrt, rutschte es hin und her, was zu manch unübersichtlicher Situation, nicht nur auf kurvigen Alleen, führte.
Ultimativer Bringer war jedoch der Öldruckmesser auf dem Armaturenbrett! Das konnte nur noch getoppt werden, wenn ein Drehzahlmesser daneben zum Einsatz kam. Selbst das hübscheste Paar Beine auf dem Trottoir erlangte nicht annähernd solche Aufmerksamkeit wie dieses Pärchen innovativer Kontrolltechnik.
Gerne genommen wurden auch Kippschalter. Mehr Kippschalter als denkbare Funktionen wurden dabei von jedem Beifahrer anstandslos akzeptiert. In der Regel betätigte man damit die Funktionen „Licht an / aus“, besonders fortschrittliche Karossen auch noch die Scheibenwischer in einer Universalgeschwindigkeit. Natürlich nicht zu vergessen, die zusätzlichen Halogenscheinwerfer auf der Stoßstange!
Das Heck der Fahrzeuge präsentierte sich hingegen etwas aschenputtelig. Der schlichte, einrohrige Auspuff war lediglich durch eine Doppelrohrattrappe aufzupeppen. Sie hing meist schief, ohne jeglichen sicheren Halt in der Landschaft herum. Neben den Radkappen ziert sie weitaus mehr Straßenränder und –gräben als Auspuffrohre. Erfinderisch, wenn auch ein wenig illegal, stellten sich die akustischen Soundtunings dar. Unüberhörbar sorgte bereits ein kleines Löchlein im Auspuffrohr für Aufsehen. Manipulationen am sogenannten Topf garantierten Fehlzündungen und in besonders gründlichen Eingriffen sogar für Stichflämmchen, die dann auch für den Verlust der Doppelrohrattrappe verantwortlich.
Alle Pseudo-Rallye-Amateurpiloten fahren auf das absolut ultimative Tuning ab. Nur für die echten Cruser geeignet, für die Bekenner des reinen Heckantriebs, ist wenige Zentimeter schräg-gestellte Motorraumhaube. Spezielle Halter mit Gummiklammern sollen für zusätzliche Belüftung des Motorraumes sorgen. Die sportliche Optik überwiegt allerdings bei weitem. Oberaffen turbogeil ist dann nur noch der außen liegende Ölkühler. Ein Gerippe von Lamellen, durch die angeblich das Motoröl gepumpt wird, um bei extremer Fahrweise das Öl auf geschmeidigster Betriebstemperatur zu halten. So, wie es für jeden ambitionierten Citticruser unabdingbar erforderlich ist, da sich in den engen Häuserschluchten die Hitze ins uferlose staut.
Am Rande erwähnenswert nach all den technischen Highlights sind lediglich noch die schmückenden Aufkleber: Atomkraft, nein danke! Stoppt Tierversuche, nehmt Opelfahrer! Etc. Gott sei Dank waren derzeit solche Abarten wie: Sven an Board! CannABIs auf Rezept! Oder Kinder und Mütter zuerst in die Boote! noch nicht im freien und fairen Handel zu erwerben.
Mal ehrlich, das war doch noch Autofahren pur! Herrscher über PS statt KW. Keine Servolenkung, kein ABS, kein Bremskraftverstärker, keine Rückfahrkamera, kein Allrad, kein Navi, keine ZV, keine Verkehrsschilder-Erkennung, keine Multifunktion und Sprachsteuerung – aber jeden Samstag waschen, föhnen, polieren.
P.S./K.W.: Fast hätte ich die Romantiker der Chauffeure vergessen. Für diese Klientel entwarfen die Designgurus die Vase to go. Per Saugnapf ans Armaturenbrett fixiert, und der Angebeteten baumelte eine Plastiknelke aus der Schießbude vor der Nase herum. Theoretisch hätte es auch ein leibhaftiges Gewächs in der füllhornförmigen Vase gut gehabt. Bei einer innigen Liebesbezeugung jedoch bestand die latente Gefahr einer Neigung über 90°, was der Liebesbezeugung nicht unbedingt förderlich gewesen wäre.
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