Wer kennt noch dieses Spiel aus Jugendtagen? Titschen, die halbwegs legale Möglichkeit sein Taschengeld aufzumöbeln oder den traurigen Rest gänzlich zu verzocken! Eine Kombination aus Fingerfertigkeit und gutem Auge. Halbwegs legal deshalb, weil Titschen mit Geld und um Geld gespielt wurde. Und, weil die Gewinne an den Finanzbehörden vorbei direkt in der nächsten Eis- bzw. Pommes-Bude investiert wurden. Verluste konnten bei der Taschengeld-Auskommenssteuer leider nicht geltend gemacht werden.
Die Regeln waren denkbar einfach. Zum Spiel selbst benötigte man außer Barem in Form von Münzen (Zehnpfennig-Stücke) ein Spielfeld. Die Größe spielte eine untergeordnete Rolle, Hauptsache es wies eine gerade Kante auf. Als Untergrund empfahlen sich besonders Fliesenböden aller Art. Am besten repräsentative Hausflure oder öffentliche Flure und Räume in Schulen oder Hallen oder Hallenbädern. Selbstverständlich konnte das Spiel auch im Freien durchgeführt werden. Über die Nachteile werde ich später noch ein paar Worte verlieren.
Man stelle sich vor: Ein x-beliebiges Treppenhaus, gekachelt. Die erste Stufe war die ultimativ geeignete Anschlaglinie. Ein exakter Abstand wurde einvernehmlich definiert. In der Regel eine von der Anschlaglinie drei bis vier Schritte entfernte Kachelfuge. Mindestens zwei Teilnehmer waren erforderlich. Nach oben bot der übliche Freundeskreis automatisch das Limit. Die erste Reihenfolge der Spieler wurde ausgelost. Die folgenden Spielrunden fanden in umgekehrter Reihenfolge statt. Der Sieger der Vorrunde hatte das letzte Startrecht. Man positionierte sich an der vereinbarten Fuge und schnippte den Zehner in Richtung Treppenstufe. Der Naheliegendste hatte gewonnen. Den ersten Teil des Titschens! Jetzt war die Geschicklichkeit gefragt! Der Zwischensieger sammelte alle Münzen ein, und musste sie zu einem Türmchen stapeln. Diesen lancierte er auf die Fläche des Ellenbogens auf der Unterseite des Unterarms. Dieser war waagerecht nach oben, etwa auf Schulterhöhe, angewinkelt. Die geöffnete Handfläche zeigte ebenfalls nach oben. Nun galt es seine Geschicklichkeit zu beweisen! Man musste den Ellenbogen rasant nach unten reißen. Für den Bruchteil einer Sekunde schwebte der Münzstapel schwerelos im Raum. Es galt jetzt, mit der zuvor in Stellung gebrachten offenen Handfläche, soviel Münzen wie möglich aus der Schwebe zu schnappen. Bevor der Rest – oder im ungeschicktesten Fall alle – scheppernd im Treppenhaus herumkullerten, da die Schwebephase lediglich von kurzer Dauer war. Jetzt hielt man seinen Gewinn zwar in der Hand, durfte ihn allerdings immer noch nicht für sich auf der Habenseite verbuchen. Eine zweite Geschicklichkeitsprüfung stand noch zwischen totalem Ruin und einer Lore Pommes rot/weiß. Erneut fand ein Stapel der verbliebenen Münzen einen stabilen Standort. Diesmal auf den flach ausgestreckten Rücken der Finger. Die optimale Position war unmittelbar mittig auf dem Fingernagel des Effenbergschen Stinkefingers. Es gab nun differierende Techniken, die sich die Teilnehmer in Monaten antrainiert hatten, und für sich als besonders gewinnbringend herauskristallisiert hatten. Sie waren allerdings durch keinerlei Statistiken bestätigt, bzw. durch Videoanalysen, die im Zeitraffer oder in Zeitlupe erkenntnisreich ausgewertet werden konnten. So konnte man zum Beispiel die vorderen zwei Glieder der Finger einfach abklappen, um mit Überschallgeschwindigkeit nach dem Stapel zu schnappen, der der Schwerkraft gehorchend auf dem Fliesenboden mit ohrenbetäubendem Geschepper aufzuschlagen trachtete. Oder ihn geschmeidig einige Millimeter in die Höhe zu schleudern und die Hand blitzartig mit der Handfläche nach oben wendend, um, wie dereinst bei Sterntaler, den Geldregen aufzufangen. Ohne Zuhilfenahme des Hemdchens natürlich! Auch eine rasante Wende in horizontaler Richtung wurde akzeptiert. Dies war allerdings die gefühlt erfolgloseste Variante. Der Gewinner nebst Gewinn war final ermittelt!
Mit den restlichen Münzen durfte sich der Zweitplatzierte auseinandersetzen, gegebenenfalls der Dritte usw., usf.. Der aufmerksame Leser wird nun erkennen, dass ein Spiel im Freien den herumwirbelnden Münzen ein freies Flugfeld in die Landschaft bot. So konnte es zu höchst überflüssiger Zeitverschwendung durch breit angelegte Suchaktionen kommen.
Waren die Abstände des Spielgerätes zur Zielstufe mehrerer Teamkollegen mit dem geschulten, bloßen Auge nicht stressfrei festzulegen, entschied ein Stechen die Reihenfolge der Aspiranten.
Titschen konnte solange gespielt werden, bis die Mehrzahl der Aktiven pleite war, oder sich die Mieter über den Radau im Treppenhaus massiv beschwerten, oder die Horde der Heranwachsenden zum Abendessen gerufen wurden. Per Sozialmedia war es damals noch nicht möglich. Der Mutter Stimme rief nur einmal, aber bestimmt. In der Regel blieb dann wenig Zeit seine Gewinne zu verifizieren – abends, heimlich bei Taschenlampenlicht, unter der Bettdecke. Die Pommes rot/weiß oder der Eisbecher mussten warten. Was blieb war die Vorfreude!
Heute sieht man keine Kids mehr titschen. Sei es aus Mangel an Zehnpfennig Münzen, aus Zeitmangel durch Lesen höchst überflüssiger digitaler Mitteilungen, oder durch Überfluss an Taschengeld, oder durch zielloses Herumirren in virtuell kryptischen Tunneln. Oder so.
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