Wenn sich die letzten Vogelscharen nach Süden verzogen haben, fallen die Weihnachtsmärkte ein, wie eine biblische Plage über Städte, Gemeinden und Dörfer. Vergleichbar mit den Heuschrecken, die die ägyptischen Hirsefelder regelmäßig heimsuchen. An hoffnungslos zugeparkten Straßen und Gassen erkennt man: Hier findet ein Weihnachtsmarkt statt. Und endlich macht sich auch der SUV bezahlt, da es sich nicht vermeiden lässt, auch einmal auf einem unbefestigten Seitenstreifen parken zu müssen.
Bunte LED-Lichterketten künden schon von Ferne das nahe Inferno an. Unsere lieben Kleinen werden zu unserer Beruhigung umgehend mit einem Laserschwert bewaffnet, mit dem sie ununterbrochen in der Menge herumfuchteln. Zwischen all den Beinpaaren werden auch Vierbeiner ohne Rücksicht auf Verluste herumgezerrt. Die verängstigten Tiere wissen gar nicht in welche Wade sie zuerst Beißen sollen. Selbst ein freundschaftliches Schnüffeln am Hinterteil eines Leidgenossen fällt dem hektischen Treiben zum Opfer.
„Hallo, seid ihr auch auf dem Weihnachtsmarkt?“ Grüßen nach ein paar Metern die ersten Bekannten. Die Antworten sind ebenso genial: „Nein, wir gehen erst morgen“, oder, wahrheitsgemäß „Wir sind gerade erst gekommen“. Wie Krimis im Fernsehen, so wiederholt sich dieses Ritual mit jedem weiterem Vordringen – ohne irgendwelche Nuancen bei den Gesprächsthemen.
Das Schöne an Weihnachtsmärkten sind ohne Zweifel die Düfte. Von Anis bis Zimt sind sie allerdings ausschließlich in Form von Duftkerzen zu erschnüffeln, welche die fantasievollen Bezeichnungen tragen, wie: Adventszauber oder Weihnachtstraum oder X-Mas-Taste. Traditionsbewusste Duftkerzenanbieter tendieren gelegentlich auch zu Bratapfel oder Lebkuchen oder so. Diese Köstlichkeiten selbst wurden jedoch auf dem Altar des schlechten Geschmacks geopfert. Döner und Pizza animieren mit Knoblauch und allerlei exotischen Röststoffen zum Verzehr. Rostbratwürste konnten sich erstaunlicher Weise nach wie vor behaupten – vegetarisches Tofugullasch und vegane Labberlinge bereichern das Niveau des Speisenangebotes leider abschreckend. Wer glaubt, der klassische Weihnachtspunsch sei das kulinarische Highlight, der irrt gewaltig. Roter und Weißer Glühwein, verfeinert mit den Resten aus der Café-Freiluftsaison wie Amaretto, Cointreau oder mit einem Hauch von Orange bringen die Wangen zum Glühen. Und für unsere Hardcoretussen wird selbstverständlich Grüner Tee, Ingwertee und Kompositionen von Bachblüten aufgebrüht. Oh du Fröhliche!
Bei den Sortimenten des Schreckens rangieren die selbstgestrickten Socken ganz oben in den Weihnachtsmarkt-Charts. Und zwar deutlich vor den Namensschildern und Hausnummern aus Salzteig! Und wer einmal das Leuchten in den Augen von Müttern, Schwiegermüttern und Omas gesehen hat, der erkennt auch den Grund für diese Pole Position. In unzähligen Farbvarianten, ob uni, genderneutral, meliert, gestreift oder kunterbunt – Hauptsache sie trotzen Väterchen Frost. Vorbei sind die Zeiten der kratzenden Wollen, die Generationen von Kindern an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Und vorbei sind die Zeiten, in denen alte Pullover aufgezogen wurden und einen neuen Sinn in einem Paar Socken gefunden haben. Der Fußschweiß sorgte für rasches Verfilzen, was ihre isolierende Wirkung jäh reduzierte. Doch das Repertoire Wollwohlfühlartikel beschränkt sich keinesfalls auf Socken. Schals, mit und ohne Enden, Mützen und Kappen, Handschuhe, mit und ohne Finger, Eierwärmer und allerlei weiteres Unnützes zeigen den ganzen Ideenreichtum der Strick Liesels. Begeistert haben mich auch die Shorts mit ihren lustigen Weihnachtsmotiven. Nikoläuse, Tannenbäume, Christbaumkugeln, Knecht Ruprechts mit Sack und Rute verzieren das Darunter mit und ohne Eingriff. Ihr Kinderlein kommet!
Sobald besorgte Helikoptereltern ihren Nachwuchs in Richtung SUV zerren, erscheinen die ersten Singles. Man erkennt sie sofort an ihrem weihnachtlichen Outfit. Nikolausmützen, Mützen mit Blinklichtern anstelle der althergebrachten Bommel oder Alpakakappen mit Elchgeweih zieren ihre Häupter. Ungeachtet aller Köstlichkeiten und erwärmendem Strickwerk steuern sie zielstrebig den Glühweinständen zu, von dem sie sich im Laufe des Abends nur kurz zum ToiToi verabschieden. Der Andrang auf die heißen Köstlichkeiten führt nicht selten zu Verwirrungen des ungeschulten Personals. Die Ausgabe von Pfandmarken bei größeren Bestellungen, der Tausch der Gläser und Tassen „alt gegen gefüllt neu“ und fehlendes Wechselgeld lassen leichte Panik aufkommen und die hektischen Flecken im Gesicht sind keinesfalls auf den Genuss des Pansches zurückzuführen. Bedeutend ruhiger und entspannter geht es bei der Bewirtung in Einwegbechern zu. Platzsparend ineinander gestapelt gibt nur der Verbrauch des schwindenden fossilen Rohstoffes Anlass zur Sorge. Für die Entsorgung ist vorausschauend gesorgt. Alle Jahre wieder!
Adventliche Stimmung beschert uns auch die Beschallung aus Aktivboxen unter Einbeziehung von Blue Tooth. Aus jeder Bude plärren wechselweise Kinderchöre, gemischte Kirchenchöre und Flötenspiel im Einzelvortag oder Gruppen. Gelegentlich hört man auch ein zartes Glockenspiel. Die engelsgleichen Weisen gehen leider im all-gemeinen Singsang unter. Ich stelle mir ernsthaft die Frage, ob nicht doch Helene Fischer, Xavier Naidoo oder Peter Maffei eine wohltuende akustische Abwechslung wären. Ich verwerfe den Gedanken dann aber doch recht bald wieder zu Gunsten eines weiteren Glühweins (weiß) ohne Schuss. Schluss!
Frohe Weihnacht!
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